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THOD – Asklepios

~ 2022 (WormHoleDeath) – Stil: Blackened Noisy Doom ~


Mal ein ganz neuer Ansatz, ein Konzeptalbum über tödliche Erkrankungen zu machen, und das nicht mal als Death Metal-Band; nach der Corona-Pandemie entschuldigt sich das neue deutsch-französische Trio THOD fast schon dafür, das tatsächlich durchgezogen zu haben, die Idee entstand jedoch wohl schon zuvor. Ihr Motto ist “Ein Riff, ein Leiden, ein Lied” und bezieht sich darauf, dass sie ihren extrem düsteren, dissonanten, angeschwärzten Doom so gestalten, dass jeder Song auf nur einem Riff basiert, sozusagen dem infektiösen Material, aus dem sich dann die jeweilige Krankheit über das in allen Symptomen ausgeprägte Vollbild bis zum tödlichen Ende entwickelt.

Kein Wunder, dass dieses Debüt nach dem griechischen Gott der Heilkunst benannt ist und sein als Geier verschandelter Stab das Cover ziert, behandelt es doch seine Spezialitäten, die größten Herausforderungen für seine vereidigten Adepten: die ansteckendsten Seuchen der Menschheit, gefürchtet vom Altertum bis heute. Neun Songs, neun tödliche Infektionskrankheiten, natürlich ist es kein Wunder, dass gerade mich dieses morbide Konzept angesprochen hat, und so war der erste Hördurchgang wie ein Quiz zum Thema Seuchenkunde – die sprechgesungenen Vocals sind so plastisch bösartig, krank und röchelnd herausgespien, dass der erste Griff erschrocken zur Maske geht, um sich vor Tröpfcheninfektion zu schützen (wie soll das bloß live funktionieren???), und es gleichzeitig schwerfällt, die Texte sofort zu verstehen (wobei ausgiebiger Black Metal-Genuss da sehr hilfreich ist! Heilsam sowieso…). Die Lyrics sind, wenn man einmal den Zugang gefunden hat, zugegeben sehr phantasievoll und, soweit man das in diesem Rahmen sagen kann, poetisch formuliert.

 

 

THOD, allein schon dieser Name! Das Ganze hat einiges von DIE APOKALYPTISCHEN REITER, die ebenso abseitig reimen und einen gleichsam nihilistischen Ansatz verfolgen, die große Dosis Punk und Noise kombiniert mit der Freude am Ekel und musikalischer Brachialität wiederum erinnern an VALBORG, doch die Hauptrollen spielen hier tatsächlich Doom und Black Metal, und damit sind wir dann auch bei FÄULNIS, SickBlackArt und ´Letharg´, und mich ließ zuerst der Verdacht nicht los, dass Seuche hinter dem Pseudonym Alex Cluet stecken würde…

Musikalisch lässt man sich nicht festlegen, hat offenbar ebenso viel frühe BLACK SABBATH & weedige Konsorten wie heutige Sludger, aber auch genauso viel Progressives und elektronische bis jazzige Avant-Garde gehört, was die über fünfzig Minuten sehr abwechslungsreich gestaltet. Vor Dissonanz fürchtet man sich kein bisschen, die Dekonstruktion des Doom, gerne durch ein geradezu Brötzmannsches Saxophon oder andere Spezialitäten wie Theremin und EWI, ein elektronisches Blasinstrument, dient eher der Prävention, vielleicht stand ja auch der lange Schnabel der Pestdoktoren hier Modell für eine Nasenflöte?

Langweilig oder gar langatmig wird es jedenfalls nicht, schon gar nicht beim letzten Stück, ´Ich trage die Krone´, da bleibt nicht nur dem Hörer die Luft weg, denn wie schon der Titel andeutet geht es um Covid-19, kein Song ist experimenteller und weniger greifbar. Damit zurück zur eingangs erwähnten Quiz-Erfahrung: tatsächlich passt hier sogar die jeweilige, meist unheimlich-bedrohliche Atmosphäre zur besungenen Seuche, so dass sich auch daraus schließen lässt, um was es jeweils geht. So lädt das grindige ´Hundswut´ zum tollwütig-hurtigen Pogo, auch ´Kalkutta 1817´ lässt dem Kranken keine Ruhe, muss er doch wegen der Cholera ständig aufs Klo, während ´Wunde, Kieferkrampf und Tod´ den Wundstarrkrampf zur britisch-ernsthaften, schmerzhaft langwierigen Erstarrung werden lässt, die ebenso die Peaceville Three vertont haben könnten. Klassisch-schwermetallisch wird’s bei ´Seuche´, und ich frage mich, ob das etwa eine Andeutung an die wilden Sex, Drugs & Rock’n’Roll-Jahre sein soll, gerade die Syphilis so im 80er Stil zu arrangieren?

Erstaunlich auch, dass ´Aderlass´ schwerstmütig schräg und mit Streichereinsatz sogar eine psychische Erkrankung besingt, die tatsächlich eine der aktuell größten Geißeln der Menschheit ist – die Melancholie, heute Depression genannt, nach Ansicht der mittelalterlichen Ärzte erzeugt durch zuviel Schwarze Galle, die man damals wie fast alle Krankheiten durch Aderlass zu heilen versuchte. Dagegen hilft leider keine Impfung, die doch viele der ausgewählten Leiden in großen Teilen der Welt ausgerottet haben.

Komisch, irgendwie fehlt mir die Tuberkulose, auch Malaria, deren fiebrige Interpretation wäre interessant gewesen, aber vielleicht gibt’s ja noch eine EP? Ernsthafter Weise bleibt festzustellen, dass sich hier zwei äußerst gewiefte, düstere Doomliebhaber mit einem versierten Jazzmusiker zu einem sehr innovativen infektiösen Cocktail für Liebhaber zusammengetan haben, der das Abseitige des Metal und Punk in eine ganz neue Erfahrung überführt. Nur was für Spezialisten!

(8 Boosterimpfungen)

 

Und wer’s ganz genau wissen will… die Auflösung aller Seuchen gibt’s ganz unten!

 

thod1.bandcamp.com/album/asklepios
www.youtube.com/THOD
www.facebook.com/THOD.DOOM.BLACK
www.instagram.com/thoddoomblack

(Die neun Seuchen: Pest – Lepra – Tollwut – Wundstarrkrampf – Depression – Pocken – Cholera – Syphilis – Covid-19)


(VÖ: 17.02.2023)