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IMAGINAERIUM – Siege

2025 (Progrock.com Essentials/Just For Kicks Music) - Stil: Prog Rock

Würde sich Andrew Lloyd Webber in einem Paralleluniversum nicht seinem Faible für Musicals widmen, sondern stattdessen dem symphonischen Progressive Rock, dann könnten seine Kompositionen wie ´Siege´ tönen, dem zweiten Werk von IMAGINAERIUM, sofern er das Ganze noch mit der Dramatik von Tolkien, der Melancholie von Shakespeare und einem Soundtrack von Hans Zimmer vermischt.

In diesem Sinne hat sich das Projekt IMAGINAERIUM zum Ziel gesetzt, die längst vergangene Geschichte auf ihre eigene Art und Weise hörbar und spürbar zu machen. Und dies gelingt Cive Nolan und Laura Piazzai mit einem Paukenschlag, der durch Raum und Zeit hallt – oder besser gesagt: durch das Britannien im ersten Jahrhundert zur Zeit der römischen Besatzung.

Denn ´Siege´ ist eine durchkomponierte Rockoper, die sich um die legendäre und tragische Figur der Boudicca, der Königin der Icener, dreht. Diese Rachegöttin auf ihrem Streitwagen, eine britische Ikone und Albtraum für die Römer, wird von Laura Piazzai mit einer Stimme erweckt, die irgendwo zwischen der Kraft einer Tarja Turunen, der Zartheit einer Kate Bush und der Theatralik einer Sarah Brightman schwingt, so selbstbewusst wie eine Löwin, die in der Arena steht.

Von der ersten Note an wollen IMAGINAERIUM die Zuhörer zum Mitfühlen bringen und ihnen die Emotionen tief ins Herz tragen. Der Eröffnungstrack ´Cry Boudica!´ wirbelt ohne Vorwarnung mitten hinein in den Sturm, unterstützt von einem kraftvollen Chor, Pauken und Donnerschlägen. Clive Nolan, der Meister des progressiven Geschichtenerzählens, zeigt wieder einmal, dass er nicht nur Tasten drücken, sondern auch Gefühle in Musik verwandeln kann. Zwischen wogenden Orgelklängen, sanften Streicherflächen und sowohl klassischen als auch modernen Harmonien tauchen zwischendurch zarte Klaviermomente auf, die wirken wie scheue Schatten im Licht des Lagerfeuers. Besonders in Songs wie ´All There Is To See´ oder ´When My Eyes Are Closed´ zeigt Clive Nolan, dass ein musikalischer Effekt nicht immer laut sein muss. Aber wenn er aus voller Kehle spielen will, dann dreht er die Verstärker bis zum Anschlag auf, mit Pathetik inklusive.

Die Gitarrenarbeit, die zwischen Mirko Sangrigoli und Simone Milliava aufgeteilt ist, schwankt spielerisch zwischen einem schneidenden Metal-Sound und einer akustischen Intimität. Luis Nasser am Bass sorgt für ein solides Fundament im Soundgefüge, rhythmisch gewandt und klanglich warm. Bei diesem Album ist jeder Ton gut durchdacht, jede Melodie hat ihren Platz. Die von ´Footprints´ ist wie ein bittersüßer Marsch durch Asche und Schnee, und Lauras Stimme bringt durch jede Silbe neue Facetten von Trauer und Stärke zum Ausdruck. Dann gibt es noch das charmant verspielte ´Never Burn The Cakes´, in dem sich Historienmythen und britischer Humor vereinen, während Alfred der Große auf akustische Gitarrenklänge trifft, die besser zur Tavernenszene passen. Das beweist, dass ´Siege´ trotz aller Schwere auch Platz für leichtere Töne bietet. Das große Finale, ´Blood Moon´, gibt dem Ganzen den dramatischen Schlussakkord, der selbst dem römischen Imperator Gänsehaut bescheren würde. Fast wie eine Oper in drei Akten entwickelt sich der Song von einem ruhigen Anfang hin zu einem spektakulären, fast schon wagnerianischen Höhepunkt.

Das Schicksal der Boudicca bleibt zwar mysteriös, doch die musikalische Bewertung ist eindeutig ein großer musikalischer Triumph. Geschichte war selten so klangvoll, spannend und berührend. Am besten hört man das Ganze bei Kerzenlicht, mit einem Schwert in der einen Hand und einem guten Glas Wein in der anderen, oder einfach auf dem Weg zur eigenen, nächsten Schlacht. Geeignet für Fans von: AYREON, ARENA, Kate Bush, Andrew Lloyd Webber, SHADOWLAND, NIGHTWISH (aber ohne maßlose Effekte) und QUEEN (während eines “Phantom der Oper”-Gastspiels).

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/people/Imaginaerium-Official/61559137226854/

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