PlattenkritikenPressfrisch

MIKE OLDFIELD – Tubular Bells – 50th Anniversary Edition

~ 1973/2023 (EMI/Universal Music) – Stil: Prog Rock ~


„Wenn man sich die musikalischen Ergüsse eines angstgeplagten Teenagers noch einmal anhört, ist es schwer zu glauben, dass ich das vor 50 Jahren wirklich war. Die Musik klingt nicht so angstbesessen, aber nur ich kenne die Jahre der Arbeit und des Stresses, die ´Tubular Bells´ hervorgebracht haben. Das waren alles Live-Aufnahmen, ohne zweite Chancen oder Studiotricks, wie wir sie heute gewohnt sind. Als ich ´Tubular Bells´ aufnahm, hätte ich nie gedacht, dass es jemals jemand hören würde, geschweige denn, dass wir es fünf Jahrzehnte später feiern würden! Vielen Dank an alle, die mir über die Jahre zugehört haben“, plaudert Mike Oldfield zum 50-jährigen Jubiläum seines legendären Debütklassikers etwas aus dem Nähkästchen.

Da nach all den Jahren jeder seine schwarze Vinyl-Scheibe von ´Tubular Bells´ bis in die tiefste Rille runtergespielt haben dürfte, und kürzlich sogar das Original-Demo ´Opus One´ erstmals auf Vinyl erschienen ist, kommt die Veröffentlichung der ´Tubular Bells – 50th Anniversary Edition´ zur rechten Zeit.

Das Doppel-Vinyl erscheint nicht nur in einem neuen Half Speed Master des Original-Album-Mixes von Miles Showell, sondern umfasst auf der zweiten Scheibe die Remix-Zusammenarbeit mit YORK sowie die Original Single ´Theme From Tubular Bells´, erstmals auf Vinyl die Interpretation von Mark Snows legendärem X-Files-Thema ´Tubular X´ sowie ´Tubular Bells/In Dulci Jubilo (Music for the Opening Ceremony of the London 2012 Olympic Games)´. Zudem enthält die Jubiläums-Edition die achtminütige Einleitung ´Tubular Bells 4 Intro´ für eine weitere angedachte Version des Werkes, die Mike Oldfield allerdings auf Eis gelegt hat.

 

 

Vor genau fünfzig Jahren begann das Zeitalter der Röhrenglocken. Am 25. Mai 1973 veröffentlichte das neu gegründete Plattenlabel „Virgin Records“ sein allererstes Musik-Album: Mike Oldfields Debütalbum ´Tubular Bells´.

Die anfangs schleppenden Verkaufszahlen, allein die Mund-zu-Mund-Propaganda erhöhte langsam und unerbittlich die Anzahl der Eingeweihten, erhielten jedoch einen unwahrscheinlichen Schub durch die Verwendung des Eröffnungsthemas im Soundtrack des Horrorfilms „Der Exorzist“. Infolgedessen konnte das Album von März 1974 über ein Jahr lang seinen Platz in den britischen Top Ten verteidigen. Weltweit gingen alsdann etwa 16 Millionen Exemplare über die Ladentheke.

Eine echte Vision hatte Mike Oldfield bis zu diesem Punkt geführt, ein langes Instrumentalstück zu komponieren. Inspirationen fand er nicht nur in der klassischen Musik, sondern auch bei dem experimentellen Musiker Terry Riley, der auf ´A Rainbow In Curved Air´ mit Bandschleifen und Overdubs ein langes Stück komponiert und eingespielt hatte, sowie in dem vierteiligen Meisterstück ´Septober Energy´ der Jazz/Progressive Rock-Band CENTIPEDE.

Mike Oldfield war mit 17 Jahren Mitglied von THE WHOLE WORLD, der Band des ehemaligen SOFT MACHINE-Mitglieds Kevin Ayers, und experimentierte bereits in den Leerzeiten ihrer Albumaufnahmen mit den verschiedensten Instrumenten. Mit einem zweispurigen Bang & Olufsen-Tonbandgerät nahm er Zuhause mehrspurig auf, da es ihm gelang, den Löschkopf des Bandes zu blockieren. Erste Demoversionen enthielten die Abschnitte ´Peace´, ´Bagpipe Guitars´, ´Caveman´ und ´Opus One´.

Bei Aufnahmen in den „Manor Studios“ mit der Band von ARTHUR LOUIS lernte Mike Oldfield das Produzententeam Tom Newman und Simon Heyworth kennen. Sie wiederum gaben seine Demos an den jungen Unternehmer Richard Branson, den späteren „Virgin“-Gründer weiter. Das Produzententeam Newman und Heyworth war hingegen ganz überrascht, dass Mike Oldfield aus den einzelnen Stücken ein langes und einzelnes fabrizieren wollte. Nach anfangs erfolgloser Plattenlabel-Suche, erklärte sich letztlich zu beider Ruhm Richard Branson bereit, die Studiokosten zu finanzieren.

Für die Aufnahmen in den „Manor Studios“ ließ sich Mike Oldfield Gitarren und Schlaginstrumente, mehr als zwanzig Instrumente herankarren. Die berühmten Röhrenglocken befanden sich entweder noch von John Cale im Studio oder wurden ebenfalls angeschafft, ganz sicher weiß es niemand mehr, um auf einem Ampex 2-Zoll-16-Spur-Tonbandgerät aufzunehmen. Bei den diversen Gitarren der zahlreichen Studio-Instrumente wie „Speed-Gitarren“ oder „Fuzz-Gitarren“ handelte es sich freilich nur um eine einzige Fender Telecaster-E Gitarre.

Oldfield, Newman und Heyworth brachten das Werk allerdings nicht nur mit den ungewöhnlichsten Aufnahmetechniken aufs Band, sondern verbrachten ebenso viele Stunden im Pub. Gleichwohl kreierten sie ein zeitloses Opus Magnum über zwei LP-Seiten, das von einer Vielzahl von Tönen und Tonhöhen, Rhythmen und innovativer Sounds, eindringlicher Melodien und Harmonien lebt.

 

 

Die Musik steigert sich von Instrument zu Instrument und nimmt in ihrer Intensität stetig zu, sammelt und teilt Stimmungen und Emotionen aus, die bei jedem Hörgenuss neue Seiten von sich zeigen, ehe sie zu ihrem Höhepunkt gelangt und der sakrale und majestätische Klang der Röhrenglocken erschallt. Bei der von Oldfield im Studio eingesetzten Intensität des Schlagens platzten diese sogar. Das Interesse des Zuhörers hält Oldfield im Laufe der ersten Seite des Werkes bei gleichbleibendem Rhythmus mit sich ändernden Tonarten und Melodien aufrecht, wohingegen die zweite Seite ohne konstanten Rhythmus auskommen muss.

Bis auf einige Frauenlaute, etwa von Oldfields Schwester Sally, mit der er zuvor das Folk-Duo THE SALLYANGIE bildete, einer nasalen und dämonischen Stimme sowie der Stimme des verstorbenen Vivian „Viv“ Stanshall von THE BONZO DOG DOO DAH BAND, der als Zeremonienmeister die Instrumente vorstellt, sind die LP-langen Titel natürlich ausschließlich instrumental.

Das Besondere an ´Tubular Bells´ war von Beginn an das Faktum, dass ein schüchterner 19-jähriger Musiker nicht nur eine lange, organisch und virtuos klingende, atmosphärische und mystische Komposition eingespielt hatte, sondern als Ein-Mann-Band und irrsinnig vielen Instrumenten mit allen Regeln des Musik-Business brach. ´Tubular Bells´ ist auf seine Art einzigartig und schlichtweg eine der phantasievollsten und berühmtesten Reisen der Musikgeschichte. Ob jedoch Mike Oldfield auch auf den Bahamas, da er schon lange dem britischen Wetter und seit fünf Jahren dem Musikgeschäft den Rücken zugekehrt hat, wie vor seinem früheren Haus bei London eine rote Telefonzelle im Vorgarten stehen hat, in der er ab und an mit dem Hörer am Ohr gesichtet wird, ist bisher nicht bekannt geworden.

(Klassiker)

 

https://www.facebook.com/MikeOldfieldOfficial