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HEX A.D. – Delightful Sharp Edges

~ 2023 (Apollon Records) – Stil: Heavy Metal ~


Oh, eine neues Album von HEX A.D., das wird auch Zeit, ´Funeral Tango For Gods And Men´ ist ja auch schon ein paar Tage alt. Die Vorfreude wächst gar noch, beim ersten Hören, leider erst mal nur des Promo-Downloads. Die Truppe aus dem norwegischen Larvik macht da musikalisch weiter, wo sie zuletzt aufgehört hat. Und einiges auch anders. Etwas weniger BLACK SABBATH, dafür klingen immer wieder WISHBONE ASH durch. Dazu kommt eine gewisse Verwandtschaft mit den Landsleuten von ADVENTURE. Nicht nur, weil beide Bands lyrisch immer wieder in die Geschichte reisen, auch die musikalischen Quellen sind teils ähnlich. Also, musikalisch ist die Scheibe erste Sahne. Es treibt, es groovt. Es ist gefühlvoll. Da sind Momente, die lassen die Füße wippen. Andere reizen das Zentrum für Emotionen. Allein die norwegisch gesprochenen Passagen im düsteren ´Ghost Machine´ sorgen für eine extra dicke Gänsehaut.

Aber schon der Opener (und erste Singleauskopplung) ´The Memory Division´ zeigt sozusagen die Essenz des Albums. Mit Wasserplätschern und dem Gesang eines Kindes entsteht wehmütige Stimmung, die in den 13-Minüter einführt. Weitergeführt mit traurigen Molltönen kippt die Stimmung in eine Welt zwischen wütend und verzweifelt. Dabei wird er angetrieben von markant zischenden Hi-Hats. Selten waren diese so prägnant im Vordergrund wie hier. Manche hier genutzten musikalischen Momente tauchen später auch leitmotivisch auf dem Album wieder auf. Das lässt ein inhaltliches Band vermuten, das alles zusammen hält.

Am Tag des Single-Releases entdecke ich einen Post der Band. Auf dem wird die Single beworben, für das Album heiß gemacht. Leider wurde der Opener für die Singleversion unglücklich gekürzt. Das tut nicht gut. Das nimmt ´The Memory Division´ komplett die Wirkung. Aber, wichtiger, dieser Post geht auch auf den Inhalt von Song und Album ein. Mit einem Besuch im norwegischen Holocaust-Museum. Neugierig frage ich nach.

Im Heavy Metal geht es ja gern mal um Geister und Dämonen. HEX A.D. widmen sich realen Dämonen der näheren Geschichte, hier auf dieser realen Welt. Kam die Idee im Museum? Haben sie da nur recherchiert? Aus einem Gedanken hat sich die Form entwickelt. So dreht sich auf ´Delightful Sharp Edges´ alles um Deportationen und Völkermorde in der jüngeren Geschichte. In drei Blöcke unterteilt, wird zuerst erzählt von Herman Sachnowitz. Der Sohn einer jüdischen Familie aus Larvik (genau, die Heimatstadt der Band), verlor in Auschwitz seine ganze Familie. Mutter und Schwestern wurden schon am Tag der Ankunft ins Gas geschickt. Sein Überleben verdankte er seiner Anstellung als Trompeter im Lagerorchester. Bei seiner Heimkehr war er der einzige überlebende Jude seiner Stadt. Nachlesen kann man seine Geschichte in dem von ihm mitverfassten Buch „Auschwitz. Ein norwegischer Jude überlebte“, das 1981 auch auf Deutsch erschien.

Teil Zwei führt uns nach Rwanda. Dort endete der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in einem Blutbad. Das Ganze wurde angestachelt und live übertragen von einem Radiosender. Das ging soweit, dass über den Sender Anweisungen erteilt wurden und Verstecke verraten, wo noch „Feinde“ zu finden seien. Nicht einmal Kirchen waren vor den Mörderbanden sicher.

Schlussendlich schauen wir nach Myanmar und auf die dortige Vertreibung und Vernichtung der muslimischen Rohingya durch die herrschenden Hindi. Das zeigt, keine Religion ist vor Intoleranz und Extremismus gefeit. Und das Thema ist aktuell wie eh und je.

Da reicht ein Blick in den Osten Europas. Die Nachricht vom Haftbefehl gegen Wladolf Blutin durch das Kriegsverbrechertribunal sorgt nur für einen kleinen Lichtblick. Zumindest wird international etwa zur Kenntnis genommen, dass ukrainische Kinder nach Russland entführt werden, um dort alles ukrainische auszutreiben. Der Kreis schließt sich mit dem Wissen, dass auch die deutschen Besatzer Kinder aus Norwegen entführt haben, um sie im Reich zu arifizieren.

Ich bin kein Historiker. Ich bin nur ein interessierter Mensch. Vielleicht darum finde ich den Kontrast so spannend, so erschreckend zwischen den zuweilen lebensfrohen, fast heiteren Klängen und dem ernsten Inhalt. Genau darum empfinde ich dieses Album so wirkungsvoll. Ich frage mich, wann hört es auf, dass Menschen solches anderen Menschen antun. Sei es im Kleinen, sei es im Großen. Solchen Dingen muss Einhalt geboten werden. Der Haftbefehl gegen Putin ist vielleicht nur ein Symbol. Aber es ist ein großes, das hoffentlich gesehen wird. So, wie dieses Album hoffentlich gehört und verstanden wird.

„You are the kill, you are the hate Face your fate They love the thrill, the world’s too late How can you want what you create?“

(9,5 Punkte)

 

 


(VÖ: 12.05.2023)