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TOM LIWA – Eine andere Zeit

~ 2022 (Independent) – Stil: Singer-Songwriter ~


Draußen regnet es. TOM LIWA ist gewohnt alleine unterwegs. Er ist Tom und dieses Mal noch vieles mehr, natürlich immer noch DER, DEN MEIN FREUND KANNTE. Es kommt nur auf die Perspektive an.

Tom erinnert sich sogar noch an den Regen, der vor Dekaden hinabprasselte, als er klein und ein Knirps war. Er kann allerdings auch das Mädchen sein, das ´Verliebt in den Einhornjungen´ ist und sich den Regen durch das Fenster betrachtet. Früher, damals, heute. Er versetzt sich auch in die Rolle von zwei Frauen, die im Traum des zehnminütigen ´Fast schon März auf dem Traumschiff Aida´ Mutter geworden sind. So vergehen die Jahre, Jahr für Jahr, und es ist ´Schon wieder Februar´, mit einer Melodie, die etwas von den 4 NON BLONDES besitzt und die tolle Carolin Hennig zur Gesangsunterstützung hat. Von Krieg und Aufbruch ist die Rede, doch Hoffnung und Liebe sind immer da.

Tom, oder DER, DEN MEIN FREUND KANNTE, erzählt auf seinem neuesten Solo-Album verwinkelte und metapherhafte Geschichten, teilweise sogar richtig lange Geschichten, länger als bei den FLOWERPORNOES. Er hat MARION VAN DER BEEKS SEVEN SISTERS im Schlepptau, Lars Plogschties am Schlagzeug, Didier Malherbe an Duduk & Flöten, Markus Steinebach am Bass und Stef Maldener für orcheströse Einlagen.

Selten hört Tom noch ´Metal´, lässt es dann aber im Neunzigersound krachen. Tom sinniert lieber in neun Minuten über bedingungslose Liebe, über Gertrud, Amelie und Martha, und natürlich mit Stefan Horlitz am Piano über seine imaginäre weiße Wölfin ´Hunter´, gleichsam in ´Onya´ über Leute mit einer Plattensammlung, über Coltrane anno 1959, Kräuterhexen und das Unwohlsein in Männerclubs, schlicht über sich. Tom vertreibt sich die Zeit auch lieber in einem Park, gerne ´Live In New York´, um einen zu zwitschern.

Er, der immerfort singt, erzählt von ´Agnes´, die die Rosenblätter eines Verehrerstrausses trocknet und sie nie wieder anschaut, so wie diesen Mann – über die Begegnung von Willy Brandt und Agnes Miegel. Dagegen ist ´Ein halbes Jahr in Thailand´ keine Liebesgeschichte mit Liebesschützen, denn der Schnitter ist jetzt eine Frau mit Pfeil & Bogen und trifft nicht nur Martha, sondern auch den, den er kannte. Beim zehnminütigen Kernstück des Werkes kann es sich jedoch nur um einen Albtraum aus der Isolationshaft drehen. Denn es werden ´Kekse für die Königin des Himmels´ gebacken und alle singen kurz „Von den blauen Bergen kommen wir“ an. Bessere Haschkekse scheint selbst Mick nicht einzudosen.

Tom verrät sogar in ´April Scythe´, an seiner Seite die tolle Katharina Kollmann aka Nichtseattle, dass er weiß, welche Fragen gestellt werden müssen, um den eigenen Willen durchzusetzen. Doch wer braucht schon die richtigen Fragen, wenn keiner die Antworten kennt, bei dreibeinigen Hunden und einer auf einem Bein tanzenden Katze.

TOM LIWA ist und bleibt einer der besten Songwriter seiner Generation, nunmehr auch der epischste. Bald ist Neujahr und bald wieder Februar. Es regnet noch immer.

(9 Punkte)

 

https://tomliwa.bandcamp.com/album/eine-andere-zeit
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