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OKRA PLAYGROUND – Itku

~ 2022 (Nordic Notes) – Stil: Modern Folk ~


OKRA PLAYGROUND, ein Sextett aus Helsinki, waren mir bisher nicht bekannt. Mit Folk habe ich meist eben auch nichts am Hut. Aber der Bandname war dann zumindest ein Aufhänger, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Als Koch fiel mir das Gemüse auf, das in der orientalischen, vor allem auch indischen Küche gern in den Töpfen landet. Nach Orient klingt hier jetzt aber nicht so viel. Herzhaft im Geschmack ist ´Itku´ dennoch. Allerdings unerwartet anders.

Wer sich, also nicht so wie meinereiner, etwas mehr mit zeitgenössischer Folklore beschäftigt, könnte einigen der Musiker vielleicht schon begegnet sein. Vielleicht solo, sogar schon bei uns wie man hier sehen kann, vielleicht bei es bei Bands wie RÖNSY oder HOHKA. Live haben sich OKRA PLAYGROUND auch schon einen gewissen Ruf erspielt. Sie haben ja schon verschiedene Festivals gerockt zwischen Finnland, Belgien und Malaysia. Auch das Nürnberger Bardentreffen hatte sie schon zu Gast. ´Itku´ ist nun ihr drittes Album nach ´Turmio´ (2015) und ´Ääneni Yli Vesien´ (2018).

Auch wenn das finnische Wort „Itku“ für „Weinen“ steht, der eröffnende Titeltrack ist alles, nur nicht weinerlich. Ein Geigenriff, darunter ein technoider Beat, treibt das Stück nach vorne. Die Stimmen sorgen, wie ich finde, hitzige Stimmung. Der Funke springt über, ein Feuer wird entzündet. Der Tanz beginnt. Funken sprühen durch die Nacht. Glühwürmchen schweben umher. Gesichter, lachende Augen, jede Trauer wird hinweggetanzt. Ein wenig so stelle ich mir die blauen Nächte vor, im finnischen Sommer am Rande der Wildnis.

OKRA PLAYGROUND nutzen alte Instrumente wie die Kantele, eine Art Zither, oder die Streichharfe Jouhikko. Diese verbinden sie mit der Moderne, mit Instrumenten und Sounds von heute. Selten habe ich eine solch harmonische und spannende Mixtur aus Alt und Neu gehört. Weder schaffen das die meisten unserer Mittelalter-Rock Bands, die nähern sich, wie etwa FEUERSCHWANZ immer mehr dem Kitsch an. Auch diesen ganzen Pagan Metaller gelingt die Verbindung von einst und heute nicht wirklich überzeugend.

So bekommt man beste tanzbare Nummern wie ´Ukkonen´, wird zum Singen aufgefordert in ´Laula!´. Die einzige Schwierigkeit sind die finnischen Lyrics. Sie klingen ungewohnt, exotisch, aber mitsingen dürfte dann doch eher Zungen brechen. Lieber träumt man da im melancholisch-schwelgerischen ´Kylmä Lintu Kyyneleeni´, das wirkt, als wollte es über einen tiefen Verlust trösten. ´Veri´ klingt pathetisch, voller Drama, voller „Blut“ und Kampf. Es würde klanglich in einen Film passen, hoch im Norden, die finnischen Wälder als Schauplatz eines apokalyptischen Kampfes zwischen Gut und Böse.

Die zarten Klänge in ´Kymmenniekka Kylässä´ erinnern, um überhaupt einmal einen Vergleich zu haben an manche Epen von MIKE OLDFIELD. Ähnlich verträumte Stimmungen konnten auch die Ungarn MAYBERIAN SANSKULOTTS auf ihrem ´God Tiger Need Chemical Work´ erschaffen, wenn auch mit etwas anderen Mitteln. So laßt uns den Moment genießen, so wie es ´Hetkeen´ auffordert. Genießen wie Kinder, die an einer kleinen Spieluhr drehen, die Augen glänzend vor Vergnügen.

´Juoksen Karkuun Aurinkoa´ zu deutsch „Ich laufe vor der Sonne davon“, verbindet sie wieder, die Pole Fröhlichkeit und Melancholie. Vielleicht kann man das in Finnland (Achtung, Klischee!!!) besonders gut, wenn im Sommer die Sonne nicht untergeht, sie im Winter dagegen nicht über den Horizont steigt.

Das Okra im Bandnamen hat mit dem Gemüse nichts zu tun, es steht für die Farbe Ocker und damit vielleicht für die Verbundenheit mit der Heimaterde.

 

Akseli Gallen-Kallela, Sammon Puolustus, Turku Kunstmuseum

 

Der Kreis schließt sich mit dem hypnotisch tanzbaren ´Hypnoosi´. Ebenso tanzbar wie zu Beginn, so endet eine Scheibe, die ich so noch selten gehört habe. Dies Album ist unbeschreiblich schön. Es führt auf eine Reise in eine Welt, die uns in Mitteleuropa eher fremd ist, die wir nur aus den Geschichten und Mythen des Nordens kennen. Eine Welt, in der die „Kalevala“ entstand, in der der Maler Akseli Gallen-Kallela seine Werke schuf, in der Trolle und Zwerge ihr Unwesen treiben. Weite Wälder, tausend Seen, lange, harte Winter aber auch blühende Sommerwiesen. Für uns ist das fast exotische Ferne, für OKRA PLAYGROUND Heimat. So ist ´Itku´ Heimatmusik im besten Sinne des Wortes.

Beeindruckend.

(9 Punkte)

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