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HARVEST MOON – The Lion & Snake

~ 1980/2022 (Cult Metal Classics) – Stil: NWoBHM ~


Die Griechen sind schon ein eigenwilliges Volk und ich bin ihnen sehr zugetan, gerade den Heavy Metal Brothers und Sisters in dem Bereich. Einer meiner liebsten Kollegen ist sogar Exilgrieche und im Südwesten Deutschlands ansässig, der gute Pavlos. Pavlos hat vor Urzeiten mal bei „YouTube“ die englische Heavyrock-Kapelle HARVEST MOON gehört und war so begeistert, dass er sofort recherchierte und Kontakt zu Gitarrist Glynn Porrino bekam, woraus sich erst eine Freundschaft und dann dieser Archivrelease auf „Cult Metal Classics“ entwickelte. Letzteres Label, ebenfalls von Griechen betrieben, so u.a. vom Metalfreak und – guru Manos Koufakis. Zwei Freaks kommen zusammen und es passieren Wunder.

„CMC“ haben zuletzt so einiges an Wundermusik ausgebuddelt, u.a. das legendäre LEGEND (US) Album von 1979. Also ist der Laden schonmal für HARVEST MOON richtig. Was bietet uns das Album nun? Der Kultigkeitsgrad ist ebenso hoch wie die Sammlerpreise für die Singles von 1980 und 1981. Also muss da was wirklich Sensationelles kommen. Der Opener ´Lion & Snake´ beginnt mit sattem Riffing, knackigen, aber entspanntem Beat und hat eine schöne, leicht melancholische Hauptgesangslinie. Ich denke an Unmengen von NWoBHM-Samplern, die ich in meinen frühen 20ern durchgehört hab.

HARVEST MOON sind eine dieser urtypischen, aber durch ihre Bodenständigkeit und ehrliche Art berührenden Hardrock Bands aus England. Ein paar Synthesizer, analog natürlich, dürfen mitspielen, im hinteren Teil sogar ein schönes Solo. Das wird keinen „Wacken“-Metaller mehr hinterm Ofen vorlocken, das wird auch keinen AOR-Fanatiker zum lustvollen Ächzen und Stöhnen bringen, aber das bockt total. Bei aller Erdigkeit hat es eine verzauberte Ausstrahlung. Ich bin bereit für mehr. Die Bandhymne ist eine Ecke sanfter, mehr im Rock mit kräftigen Keyboardteppichen, cleanen Gitarrenlaufen, wunderbaren Leadgitarren dazu, sogar doppelläufigen Harmony Leads voller Anmut. Da möchte ich glatt meine Wünschelrute zu Asche brennen lassen. Bezaubernd und wieder so tief melancholisch.

Man merkt, dass die Band aus den späten 70ern kommt. Richtige Hartmetaller sind hier wohl raus, aber Freunde von straightem, aber verspieltem und schönem Rock bleiben dran. Der Klang ist reichlich Underground, ein wenig Demo. Nachpoliert, aber nur Demoniveau. Was der Freude keinen Abbruch tut. Eine tolle stampfenden Hardrock-Hymne mit leichtem Southernspirit gibt es mit ´Nothing You Can Do´, der auch einen verträumten Middle Of The Road-Mittelteil in das Rennen schickt, dann aber mit fetzenden Soli über dem groovenden Strophenteil und weiteren über dem sanften Abschnitt, der sich wiederholt, den Hörer begeistert.

Ist das so urbritisch? Aber Rocker wie Splitcrow und Split Beaver (Ferkel) waren da auch eher amerikanisch erdig. Trotzdem, oder gerade deswegen, geil. Die aufblitzende Leadgitarre auf dem besungenen Strophenteil schockt. Der Saschbär, Pardon, Sir Lord Doom hat Blut geleckt. Und nun, ey, Musik, spielt mal wat von Marius, ey. Oder wat zum Kuscheln. Gewünscht und bekommen. ´Tales of Wonder´ ist eine Ballade, sanft, kuschelig, verträumt, hat aber einen epischen Rockeinschlag, weckt dann nach einer Weile den betört umhertanzelden Hörer mit einem kräftigen Hardrock-Part auf coolem, verspieltem Beat auf. Die pompösen Keyboards zaubern dazu geheimnisvolle Melodeien von höchster Köstlichkeit und schon wird aus dem Plüschmonster eine epische Sage. Irrsinnige Soli blasen im nächsten Heavyteil Deine Seele aus, es tost und donnert. Die Gitarristen müssen vollkommen in ihrem Spiel gefangen sein, sie hören nicht mehr auf, endlose Leadgitarrenorgien auf den Hörer zu entfesseln. Top Abfahrt und anders als gedacht.

´Take A Dream´ könnte ja ähnlich…nee, Boogie Hardrock-Riff, Shuffle Rhythmus, erdiger Gesang, typisch für diesen Boogie-Rock, aber alles in machtvolle Synthesizer gehüllt. Ein cooler Song, der hier und da im Standard-Boogie noch ein paar feine Gitarrenläufe zeigt und bei dem auch der Soloteil gut abgeht. Ob die Mundharmonika hätte sein müssen? Ich mag das aber. Feines Lied.

Ich schreibe kein Stück mehr weiter ohne meinen Anwalt. Da ist er schon, ´The Advocate´, melodischer, nur halb angezerrter Hardrock mit tollen Synthesizern und rollenden, tänzelnden Triolen Beats und Rhythmusgitarren, dann einem schleppenden Mittelpart von tiefer Verträumtheit und Mystik. Ich bin gefangen genommen von den singenden Synthesizern. Mehr…ich will mehr… Und es gibt mehr, ´Child Of The Rainbow´, mit wunderschönem Synthesizer-Lauf als Anfang, herrlicher Orgel, ganz sanft und irgendwie wieder so traumwandlerisch in die Ferne schweifend, bevor kurz eine kantige Gitarre aufmuckt und ein Synthesizer, ein Moog-Gerät, ein verführerisches Solo spielt, welches dann die Leadgitarre mit grossen Gesten übernimmt.

Wer sich jetzt komfortabel gefühllos vorkommt, und möchte, dass der verrückte Diamant weiter scheint, hat etwas begriffen. Auch wenn der Gesang sich anders anhört als bei den englischen Superstars. Das ist Musik, da träumt der Krieger von. Jenes Lied mit dem darauf hindeutenden Titel ´The Warrior’s Dream´ beginnt auch gleich als treibender Hardrock, schwenkt dann aber auf einen melancholischen, getragenen Rock um, der viel von den frühen bis mittleren 70ern mit sich bringt. Wieder geschmückt mit bezaubernden Synthesizer-Soli. Das ist großes Kino und fast ein würdiger Abschluss eines Albums reich an Höhepunkten.

Aber da kommt einer, der das letzte Wort hat, wie im aktuell abgehenden Song der treibende Hardrock mit mystisch versponnener Melodie. Ist ja schon fast ein wenig Prog. Im weiteren Verlauf kommen dann noch progartige Spielchen mit Bass und Synthies, die auch von grossen Meistern des vergangenen Jahrzehnts hatten stammen können. HARVEST MOON legen sich auf den Aufnahmen echt ins Zeug, und es ist bitter, dass wir 40 Jahre warten mussten, bis alle aufgenommenen Songs als ganzes Album erscheinen.

´The Warrior’s Dream´ ist dann ein Hardrock-/Progrock-Mix, der sich gewaschen hat. Kein Wunder, dass Gitarrist Glynn Porrino später von den durchaus bekannten NIGHTWING in ihre Reihen aufgenommen wurde. Kann danach noch etwas kommen? Die Tracklist sagt „ja“, ein Live-Song. Jubelschreiend wird der Band gehuldigt, welche in einen kraftvollen Rocker mit coolen Riffs einsteigt. Instrumental, aber eben mit wunderbaren Riffs und geilen Synthesizer-Leads. Dazu noch so packend melodisch gestaltet, dass man ihn immer wiedererkennen wird, episch, erhaben, etwas proggy, immer aber kraftvoll. So, was soll ich sagen, das Geld ist eingepackt und die CD ist bestellt. „Cult Metal Classics“ haben ein tolles Händchen für verlorene Schätze des härteren Rock, die auch abseits des kräftigen Metals ihre Fans ansprechen sollten. Dieses Album gehört zu den Besten.