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THYRATHEN – ThanatOpsis

~ 2021 (Ván Records) – Hellenic Black Metal ~


Die Tragödie ist in aller Munde, ihre Herkunft mag jedoch nicht jedem bekannt sein. Der „Bocksgesang“, so die wörtliche Übersetzung, entstand im Rahmen der alljährlichen Feiern zu Ehren des weinseligen, lauten, sinnesfreudigen aber auch mit Wahnsinn und Tod eng verbundenen Stadtgottes von Athen, Dionysos, von dem der Sprung zum Black Metal nun wirklich kein großer ist. Die aufgeführten Tragödien folgten einem in vielerlei Details streng formalen Schema und dienten durch ihre Geschichten, die stets darauf basierten, dass die Hauptpersonen in schicksalshafte, unlösbare Konflikte geraten und schließlich daran zerbrechen, zur Läuterung, Katharsis, der Zuschauer, allein dadurch dass diese das Leid und den Schock der Protagonisten live miterleben. Dabei werden philosophische, religiöse wie Schuld- oder Sinnfragen so behandelt, dass durch die dramatischen Vorgänge auf der Bühne Empathie erzeugt und damit ein Sinneswandel im Publikum hervorgerufen wird. Seelenhygiene allein durch Zuschauen – so entstand das Theater als Schule des Lebens… kein Wunder, dass die klassische Antike bis heute nachwirkt, in der Hochkultur wie in den brutalsten Metalgenres.

Black Metal aus Griechenland hatte schon immer dieses Andersartige, Spezielle, Mystische und Okkulte in sich, und wenn man ´ThanatOpsis´, die Leichenschau, auf sich wirken lässt, merkt man, wie man selbst eine Lektion darüber erteilt bekommt, woher diese Eigenart tatsächlich stammt. Das Album ist gleichzeitig eine diachronische Hinwendung an die eigene antike Kultur, als auch eine Rekapitulation der hellenischen Extremmetal-Tradition. Letztere ist ja stets unverkennbar: extrem düstere Stimmung, tiefes Growlen, bassbetontes Riffing, viel Perkussion, große bis bombastische Melodien in Midtempo oder noch getragener, mit symphonischen Chören und üppigen Keyboards garniert, aus denen galoppierende Blastbeats, Gitarrensalven und singende Leads quasi herausexplodieren und hymnische Soli-Geschichten beschwören, denen nichts Menschliches fremd ist. Genau so halten es auch THYRATHEN, die heute im Kern aus dem Duo Corax S. und A.Z. bestehen, und aus dem KAWIR / VARATHRON-Umfeld stammen, deren eindrucksvollen Stefan Necroabyssious sie zusammen mit MACABRE OMENs Alexandros als Sänger und Erzähler gewinnen konnten – wir bewegen uns hier also im Umfeld hellenischer BM-Pagan-Ursuppe.

 

 

Zu diesen schwarzen Gesellen hinzu kommt das sogenannte „Lyrische Line-Up“, das zum einen antike handgebaute, hellenische Instrumente wie die Lyra (die Leier gab der Lyrik, der emotionalsten literarischen Gattung den Namen, und steht folgerichtig auch in THYRATHENs Eigenbezeichnung „Diachronic, Lyrical Black Metal“), das Tympanon, die klassische Rahmentrommel sowie Dionysos‘ Diaulos, eine antike Oboe aus zwei Röhren spielt, sowie Chöre und die theatralischen Monologe aufführt, letztere wie beispielsweise aus ROTTING CHRISTs Ἐλθὲ Κύριε´ bekannt. Der für die antike Tragödie typische Wechsel zwischen Chören und Monologen der Schauspieler (Track 1 und 8 sind reine Sprechstücke) wird also in das Debütalbum und seine bei aller Traditionsverbundenheit erstaunlich vielfältigen Songs überführt, was einen ständig wechselnden, aber stets in sich komplett schlüssigen Höreindruck hervorruft – und dazu jedem Hellenic-Connaisseur einen Höllenspaß macht, ist es doch spritzig, mächtig und druckvoll arrangiert und produziert.

Man merkt dem Material an, dass es seit den ersten, noch aus dem letzten Jahrtausend stammenden Ideen viele Evolutionsstufen durchlaufen hat, und nun zu einer vielschichtigen kompositorischen Einheit herangereift ist, in der jedes Mosaiksteinchen neue, funkelnde Aspekte eröffnet. Vor allem die ganz unterschiedlich eingesetzten Stimmen spielen eine große Rolle bei THYRATHEN, von diversen Protagonisten übernommen wechseln sie ständig von grimmen, halb wahnsinnigen, eben dionysischen Beschwörungen über ätherische Frauengesänge (´The God Of Mount Nysa´) zu rauem Leidensgesang (der vielseitige Titelsong mit seinem darkwavigen Mittelteil mit einer typisch singenden Leadgitarre), gesprochenen Anrufungen an die Götter, Männerchören und sogar heiseren Kriegsschreien, was die Stücke enorm abwechslungsreich macht. Hinzu kommen die antiken Instrumente, die sich nahtlos integrieren und exzellent dosiert dem Gesamtklang einen unverwechselbaren Charakter verleihen; vor allem die Diaulos verstärkt den rituellen Charakter (das RC-Fangirl in mir bejubelt hier besonders das grandiose Schlussstück ´Exodus – Catharsis´) und wenn das Duo betont, dass „neither keys nor synths have been used on this album”, fällt das gar nicht auf, da so viele andere Klänge in komplexen Kompositionen zusammenwirken, dass man viele, viele Durchläufe benötigt, um auch nur annähernd einen Eindruck von der Grundstruktur dieses Albums zu bekommen, geschweige denn all seine versteckten Details zu entdecken. Damit wird nochmals deutlich, wie progressiv ´ThanatOpsis´ bei all seiner Eingängigkeit tatsächlich ist.

Nach der eher metallisch ausgerichteten Überraschung durch YOTH IRIA im Frühjahr zeigen THYRATHEN nun zum Jahresende, wieso Hellas vor allem für die alles verzehrende Schwärze im Metaluniversum steht, und woher diese Szene ihre Energie, ihren philosophischen Anspruch und ihr Selbstverständnis zieht. Ich bin mir sicher, die Olympier schauen stolz auf dieses Debüt, und schütten freigebig

8 Punkte

aus ihrem ewigen Füllhorn…und alle Fans des klassischen wie jüngeren Black Metal von der hellenischen Halbinsel machen sich hiermit das schönste Geschenk für die kommenden dunklen Wochen – der Genuss wird unendlich sein, versprochen!

 

Anspieltipps: ´Villa Dei Papiri (The Philosophical Library)´, ´Kyriai Doxai (Part I – The Tetrafarmakos Epitome)´, ´The God Of Mount Nysa´

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