MeilensteineVergessene Juwelen

JENGHIZ KHAN – Well cut

~ 1970 (Barclay Records) – Stil: Hardrock ~


URIAH HEEP aus Belgien? Gibt sogar gleich zwei davon, die miteinander in freundschaftlichem Wettbewerb gewesenen sind: IRISH COFFEE (dazu noch ein anderes Review) und JENGHIZ KHAN. Letztere sind Gegenstand dieses Reviews für mein schönes 70er Obskurhardrockspecial.

Sind sie denn obskur im Sinne von kauzig und schräg? Nein, ganz und gar nicht, ihre Musik ist verspielt und protoprogressiv, aber an Vielseitigkeit soll man sich nicht stören. Die Melodien sind bockstark und einprägsam, die Riffs sind kräftig, neben donnerndem Kraftrock gibt es noch einige schöne sanfte Momente und die Orgel orgelt beseelt drauflos. Obskur im Sinne von der Mainstreamwelt nahezu unbekannt, das sind JENGHIZ KHAN fürwahr. Ähnlich wie IRISH COFFEE, welche erst in den letzten 20 Jahren so richtig zu einem internationalen Heldenstatus, allerdings auch eher gemässigt, kamen.

Und so lauschen wir dem melancholischen Anfang von ´Pain´, nur vom Sänger vorgetragen. Er hat eine mittelhohe, etwas hellere Stimme mit starkem Charisma. Dann ein explosives Riff, wuchtige Rhythmen, brodelnde Orgel, der Song fängt an und er gefällt. Eine etwas langsame Passage mit Gitarrenhöhepunkten, über denen eine für die damalige Zeit typische „Aaaaaaaah“ Gesangslinie in höchsten Tönen und mehrstimmig dargeboten schwebt, schließt sich dem Hardrockgetose an. Man spürt sofort, welche famose Musiker hier am Werke waren. Wieder kommt die eingängliche Melancholie zum Tragen, diesmal allerdings in Begleitung einer hölzernen Wandersmanngitarre. Die Stimme ist leicht mit Effekten verfremdet, vielleicht sind es auch mehrere Spuren übereinander. Schöner Part, wie ich finde. Bass, geheimnisvolles Brummen, dann wieder explosives Hardrocken mit Nackenbrecher-Riffs. Typisch für die damalige Zeit, sicher, aber so charismatisch komponiert, absolut einprägsam und aus der Masse an Bands mit ähnlichem Stil durch die Melodik herausstechend. Und mittendrin ändert der Song sich komplett, wird zu einem flott stampfenden Brecher mit aggressivem Gesang, worüber die Leadgitarre schlichtweg Feuer und Lava spuckt. Und das in immer irrsinnigeren Eskapaden. So lass ich mir belgischen Hardrock schmecken.

Woher ich diese Reissue auf dem koreanischen Label „Won Sin“ (wahrscheinlich Bootleg) habe, kann ich nicht mehr sagen, aber ich bin glücklich, dass sie mein ist. Dieser Endpart von ´Pain´, dieses von Wahnsinn getriebene entfesselte Solieren der Gitarre und die erdige, leicht bluesige, aber so unheimlich wilde Gesangslinie sind an sich schon ein absoluter Knaller. Dann kommt nochmal der melancholische Sologesang vom Anfang und das Stück ist vorbei.

´Campus A´ schließt sich an, knallharte Gitarre, keine Drums, kein Bass, keine anderthalb Minuten lang, ein Boogieblues. Der Sänger grollt mit aggressiver Stimme darüber. Kurz, aber knackig.

Sehr feierlich geht das Album mit ´The Moderate´ weiter, einem pompösen Orgelhardrock, der wiederum diese trübe Herbststimmung hat. Die Atmosphäre ist sehr dunkel, sehr dicht, erfüllt mit Spannung. Diese für die Siebziger urtypischen irrsinnigen Gesangsmelodien, die jeden Augenblick aus der Melancholie heraus in schieren Wahnsinn ausbrechen können und entsprechende dynamische Abläufe prägen den Song. Laute, intensive Parts und ruhige, geheimnisvolle Passagen, hier die Strophen, mit gewaltigen Ausbrüchen darin, bestimmen das Bild. „Wow“, einfach nur „Wow“. Gerade Orgel und Piano sind sehr stark in diesem Stück. Auch hier ändert sich der Song zum Ende hin in einen erdigeren, groovigen Hardrocker.

Beim Boogierock von ´Campus B´, einer Art Mitsinghymne, ist zumindest die ganze Band dabei und hat hörbar Spaß. Schöner „Frage–Antwort“-Mitsingpart inklusive, chihihi.

Mit akustischer Gitarre beginnt als nächstes ´The Lighter´ und trägt einen leichtfüssigen friedvoll folkigen Charakter. Die pastorale Orgel spielt in diese folkigen Läufe rein und sorgt für feierliche Stimmung. Dann steigt die Band in einen getragenen, auch wieder melancholischen Strophenpart ein mit schön singender Gitarre im Hintergrund und bezaubernder, teils mehrstimmiger Gesangslinie. Hier und da wird es theatralisch, gerade bei den Chorpassagen in höchsten Tönen gesungen. Irgendwie niedlich das Stück, zwischen heimelig und friedvoll und zutiefst nachdenklich. Aus dieser Stimmung reißt einen das manische Trommeln am Anfang von ´Hard Working Man´ und die folkige E-Gitarre über tänzelndem Beat, die sich anschließt. Dann ein langsamer Beat, eine feierliche Orgel und wild groovender Hardrock mit ebenfalls sehr emotional eindringlicher Gesangslinie. Hymne, schlichtweg eine Hymne mit coolem Heavyrock-Mittelteil, etwas verspielter, immer ein wenig folkig im Ausdruck, aber ohne ebensolche Instrumente.

Jetzt aber zur echten Ballade, ´Mad Lover´, so bittersüß in ihrer mehrstimmigen Gesangsmelodie, so ergreifend schön und voller Sehnsucht, dass einem als Hörer ganz warm ums Herz wird. Ein typisches Stück 70er-Rock-Romantik mit teilweise arg meckerndem Gesang, der an einen Mix aus Dan McCafferty und Roger Chapman erinnert, in ihrer Wiedergeburt als Ziege. Aber das hat was.

Es folgt ein zehnminütiges Rockinferno mit dem Titel ´Trip To Paradise´, ein Wechselbalg aus ganz friedvoll verträumten Parts, pompösem, klassik beeinflusstem Orgelhardrock, bei dem die Orgel wirklich prominent im Vordergrund agiert. Auch ein ganz erhabener, ruhiger Moment, der den Augenblick des Übergangs musikalisch nachzeichnet, des Übergangs vom Leben ins Licht. Epischer Hardrock mit wilden Soli bekommt man dann bei seinem Einritt ins Paradies um die Ohren geknallt. Und am Ende wird es nochmals mystisch, ruhig und erhaben. So kann eine an sich schon geile Platte mit einem Übersong gerne enden.

Es gibt hiervon unzählige Nachpressungen, man sollte also kostengünstig ein Exemplar finden, wenn man sich Mühe gibt. Sie ist und bleibt ein Insidertipp, weil sie kantiger ist, als zum Beispiel die grandiosen URIAH HEEP, aber eben auch um ein vielfaches emotionaler.