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REFLECTION CLUB – Still Thick As A Brick

~ 2021 (Madvedge Records) – Stil: Prog Rock ~


„Rellington Stone“ heißt das englische Magazin, das wir 2021 durchblättern. 1972 sahen wir eine englische Tageszeitung mit dem Namen „St. Cleve Chronicle & Linwell Advertiser“ vor uns. Die Schlagzeile lautete dereinst: „THICK AS A BRICK“. Es deutete sich ein Artikel über die englische Gruppe JETHRO TULL an, es gab Horoskope und das Radioprogramm – eine durchweg humorvolle Zeitungslektüre. Natürlich gehörte diese Zeitung zur Erstausgabe des gleichnamigen Konzeptalbums von JETHRO TULL. Zur Legendenbildung dichtete Bandleader Ian Anderson zudem unter dem Pseudonym eines Schuljungen namens Gerald Bostock den gesamten Text, den JETHRO TULL angeblich von diesem ahnungslosen als auch altklugen Achtjährigen übernommen hatten.

Die Schlagzeile des „Rellington Stone“ lautet 49 Jahre später „STILL THICK AS A BRICK“ und betrifft die internationale Formation REFLECTION CLUB. Es gibt eine Vinyl-Ausgabe von ´Still Thick As A Brick´, der das „Rellington Stone“ als Zeitung beiliegt oder eine CD-Ausgabe im Mediabook. Das Magazin ist natürlich ein Journal aus Rellington, da auf dem beiliegenden Werk zugleich das „The Rellington Resort Orchestra“ und Gesänge des „Rellington Football Club“ Widerhall finden.

Rellington Stone? Remington Steele? Rolling Stone? Die Stadt in Neuseeland heißt natürlich Wellington. Und ob die erzählte Geschichte im „Rellington Stone“ der Wahrheit entspricht, die ein alter Schulfreund vom Bandleader des REFLECTION CLUB namens George Boston geschrieben haben soll, muss jeder selbst herausfinden. Ein weiterer Freund bot dem „Rellington Stone“ nämlich an, ´Still Thick As A Brick´ vorzustellen. Doch das „Rellington Stone“ hat in seiner prekären Finanzlage nicht nur das ihm angebotene Album ´Still Thick As A Brick´ berücksichtigt, sondern weitere Kritiken zu Tonträgern und Konzerten, eine Theaterkritik und einen Studiobericht verfasst. Redakteure haben obendrein ihre Playlist abgedruckt. Zur ausführlichen Besprechung von ´Still Thick As A Brick´ gehören selbstverständlich die Lyrics, eine Kritik und Hintergrundberichte – alles in Endlosschleife innerhalb des Mediabooks.

Gerald Bostocks Gedicht ´Thick As A Brick´ bot einst Anlass für Kontroversen. George Bostons Erzählungen aus der Finanzwelt ´Still Thick As A Brick´ sollen für ebensolche sorgen. Der Erzähler sehnt sich nach einer Auszeit von der High-Tech-Gesellschaft, obwohl sich am Ende doch alles um Finanzhaie und Geldwäsche dreht, während echte Künstler, im Gegensatz zur grauen Finanzwelt, zu jeder Zeit frische und neue Farben in die Gesellschaft tragen. Zum Multi-Media-Erlebnis lässt sich die beigefügte DVD abspielen, die zur Musik die entsprechenden Bilder und die hierzu ablaufenden Texte vorführt.

Der REFLECTION CLUB hat allerdings mit seinem ersten Werk ´Still Thick As A Brick´ kein Plagiat erschaffen, sondern die würdevollste und wertvollste Hommage an die Progressive Rock-Tage von JETHRO TULL. Zum Sound von JETHRO TULL zwischen 1972 und 1973 fügen sich allemal ein paar Spritzer Folk, Jazz Rock und Psychedelic Rock hinzu. Nicht nur Anhänger von JETHRO TULL werden von dem 48 Minuten langen Konzeptalbum, das in elf Teile gegliedert ist, in schiere Begeisterung ausbrechen.

Erdacht hat sich ´Still Thick As A Brick´ der Multiinstrumentalist Lutz Meinert, der auch unter dem Projektnamen MARGIN aktiv ist. Für Gesang und die Akustikgitarre ist der Engländer Paul Forrest (JETHRO TULL EXPERIENCE, ex-DAYGLO PIRATES) im REFLECTION CLUB zuständig, die E-Gitarre spielt der Deutsche Nils Conrad (CRYSTAL PALACE, ex-FOR YOUR PLEASURE) und die Flöte die US-Amerikanerin Ulla Harmuth. Der Berliner Lutz Meinert bedient höchstpersönlich die Tasten, den Bass und das Schlagzeug.

´Prelude´ heißt der sinfonische Auftakt mit Flöte und Hammond. Spätestens das nachfolgende ´Time Out´ lässt alle Hörer erstarren. Bei der zur Akustikgitarre ertönenden Stimme stellt sich natürlich nicht nur das Gefühl von 1972 wieder ein, sondern dieser wundervolle Songwriter-Song lebt sich mit Flöten-Solo und am Ende mit Jam-Faktor völlig im klassischen JETHRO TULL- und Prog-Sound aus. Die Instrumente toben sich anschließend mit Gitarren- und Keyboard-Solo in ´Years On The Fast Track´ erstmals so richtig aus. Glöckchen oder kurz zum Refrain orientalisch angehaucht, die Abwechslung wird in ´Rellington Town´ mit Folk hochgehalten. Auch ´The Club Of Hopeful Opinions´ lässt niemanden stillstehen. Äußerst lebendige Lieder erwachsen bereits aus dem Percussion- und Schlagzeugspiel heraus. Zur orchestralen Ausschmückung werden die Melodienfolgen in ´The Foray Of The Sharks´ von Flöte und Gitarre energisch betont, in ´Sentimental Depreciation´ ebenfalls zusätzlich mit der Akustikgitarre. Der Gesang hallt in ´Nervesoothers´ nach, ehe sich in ´The Great Dance Around The Golden Calf´ wieder dieser unnachahmliche Groove einstellt. Dramatisch beschreitet ´Bedlam´ das Finale der Geschichte, das letztlich ´Across The Sea´ mit Dudelsack, langem Gitarrensolo und der Rückkehr zum Ausgangspunkt des Konzeptes beendet.

I think it’s time to take a break, to take a time out, looking at the passing years and the precious time that remains.
But the game goes on with those wise men who still don’t know how it, how it feels to be thick as a brick.

(9 Punkte)

https://reflectionclub.bandcamp.com/album/still-thick-as-a-brick