MeilensteineVergessene Juwelen

WILD HORSES – The First Album

~ 1980 (EMI) – Stil: Hard Rock ~


Falls sich noch jemand an meine THIN LIZZY-Besprechungen erinnern sollte, Brian ´Robbo´ Robertson stand schon im dritten Jahr seines Anheuerns bei THIN LIZZY nach seiner „Speakeasy-Club-Schlägergeschichte“ mit der tiefgelb-roten Karte vor dem Aus. Nach ´Bad Reputation´, wo Robbo noch an drei Liedern aufgrund des persönlichen Einsatzes von Gitarren-Kollege Scott Gorham teilnehmen durfte, war die Geschichte THIN LIZZY nach fünf Alben für ihn passé. Damit war das beste Gitarren-Duo gesprengt und Robbo fand in Jimmy Bain einen ebenfalls nach dem Rausschmiss von RAINBOW gestrandeten Mitstreiter und in Allround-Genie Neil Carter und Drummer Clive Edwards Musiker auf Augenhöhe für die Gründung einer neuen Band. Die Erwartungen waren sicher sehr hoch, die die beiden WILD HORSES-Veröffentlichungen mit ihrem melodischen Hard Rock britischer Prägung nicht alle erfüllen konnten.

Robbo war bei LIZZY nur noch durch seinen literweisen täglichen schottischen Whisky-Konsum aufgefallen und sein Wettbewerb mit Philip Lynott, wer seinem Körper denn am härtesten zusetzen konnte, und seine Gewaltausbrüche beschleunigten das Aus. Robbo war aber auch mit dem zunehmenden Heroinkonsum von Philip Lynott und Scott Gorham nicht zufrieden. Leider kam er bei Jimmy Bain vom „Regen in die Traufe“ – wie man so schön sagt – , denn der war auf dem gleichen H-Trip wie die LIZZY-Kollegen.

Spektakulär war das Debüt der WILD HORSES sicher nicht, wenn man einmal davon absieht, dass das Gitarrenspiel von Brian Robertson an sich ein Spektakel auf höchstem Niveau darstellt, egal welche Veröffentlichung man sich zu Gemüte führt. Und hier durfte er im Gegensatz zu ´Bad Reputation´ ein Solo nach dem anderen zum Besten geben. Schon nach ein paar Sekunden des Openers ´Reservation´ hört man diese angriffslustigen Wah-wah-Töne – unverkennbar und unnachahmlich. Ein Genuss über das ganze Album und von Neil Carter gitarrentechnisch clever ergänzt und mit Abstand das stärkste Element der WILD HORSES.

Jimmy Bains Gesang (Steve Perry und Charlie Huhn waren laut Robbo auch im Gespräch) war technisch nicht auf sehr hohem Niveau, strahlt aber eine gewisse Originalität aus und sein Bassspiel war prägnant und neben Robbos Gitarre der zweite dominante Faktor. Das Songwriting war klar von LIZZY geprägt und die Texte orientierten sich an Philips Geschichten ohne jemals dessen poetische Eleganz zu erreichen, aber auch ohne ein LIZZY-Clone zu sein.

 

 

Die Songs im Schnelldurchlauf: ´Reservation´ musikalisch stark, textlich gut gemeint, aber ziemlich schräg. Das Thema Vernichtung der US-Ureinwohner hat Philip Lynott mit ´Genocide (The Killing Of The Buffalo)´ deutlich cleverer aufgearbeitet. Mit ´Face Down´ ein melodischer Ohrwurm, ehe Brain Robertson (ich mag auch seinen „Gesang“) mit dem kurzen, genialen ´Blackmail´ einen Höhepunkt setzt. Dann gibt es zweimal „With a little help from Lizzy“: Die etwas süßliche Ballade ´Fly Away´ eine Bain/Lynott-Komposition und das etwas fragmentarische ´Dealer´, wo Scott Gorham Bain/Robertson ausgeholfen hat. Auf Seite 2 das basslastige ´Streetgirl´ und dann drei Höhepunkte: Das verschachtelte ´No Strings Attached´, das hervorragende ´Criminal Tendencies´ und der zweite von Robbo gesungene Titel ´Nights On The Town´. Mit ´Woman´ folgt ein eher klischeehafter Abschluss. Die Produktion – gemeinsam mit Trevor Rabin – ist ganz solide.

Ein sicher guter Aufschlag, der nach einem weiteren starken und härteren Album (werde ich noch vorstellen) allerdings schon im Sande verlief und Brian Robertson in das kurze, aber aufregende MOTÖRHEAD-Abenteuer und dann schnell in die Frührente führte. Jimmy Bain wechselte bekanntlich zu DIO. WILD HORSES schrieben nur ein kleines Kapitel Hard-Rock-Geschichte, dass ich aber immer wieder gerne aufschlage. Wer einen historischen Blick auf die Band werfen und sehen will, wie ein gnadenloser Profi wie Philip Lynott mit seinem Auftreten nach ein paar Minuten die Show stiehlt (da kann Robbo noch so cool und genial Gitarre mit der unvermeidlichen Kippe in der Hand spielen und Jimmy ist zur Rhythmusgitarre in Reihe 2 gewechselt): hier reinklicken und nicht vom Wackelfilm am Anfang abschrecken lassen.

Interessant ist auch noch ein weiterer Artikel, wo gestritten wird, ob Robbos Saufeskapaden oder Jimmys Heroinattacken Schuld am schnellen Niedergang der Band waren: hier lang.