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THE AFGHAN WHIGS – Uptown Avondale

1992/2017 (Sub Pop) - Stil: Rock/Soul

Wenn ´Congregation´ 1992 die Tür zum Soul nur einen Spalt weit öffnete, dann treten THE AFGHAN WHIGS mit ´Uptown Avondale´ endgültig hindurch, mit polierter Schuhspitze und Motown im Herzen. Die fünf Songs starke EP erschien noch im selben Jahr wie ´Congregation´, aber statt eines konventionellen Nachfolgers lieferte die Band ein Statement: keine neue Musik, sondern Cover-Versionen, viermal Soulgeschichte plus eine Wiedergeburt. Und wie so oft bei Greg Dulli, ist dieses Zwischenspiel weit mehr als bloß ein Lückenfüller. Es ist der nächste, folgerichtige Schritt einer Band, die längst ihre eigene Plattensammlung durchlebt.

Denn ´Uptown Avondale´ zeigt, wie ernst es Greg Dulli mit dem Soul ist. Schon auf ´Congregation´ blitzten die Einflüsse von THE TEMPTATIONS oder THE SUPREMES durch die Gitarrenriffs, doch nun treten sie ganz aus dem Schatten. Die AFGHAN WHIGS, einst 1986 in Cincinnati aus den Resten der BLACK REPUBLICANS geboren, hatten sich mit dem “Sub Pop”-Vertrag den nötigen Freiraum erkämpft, und nutzten ihn, um ihre Wurzeln zu zeigen, selbst wenn sie nicht die eigenen waren. Dass sich vier weiße Mittzwanziger aus Ohio an Songs von Freda Payne, Elvis Presley, Al Green und den SUPREMES wagen, könnte leicht anbiedernd wirken, wäre da nicht Greg Dulli, der singt, als hätte er sein halbes Leben in Plattenkisten mit Hi-Records, Stax und Motown verbracht. Und wahrscheinlich hat er genau das.

Allerdings ist ´Uptown Avondale´ nicht nur eine Liebeserklärung an den Soul, es ist eine Art Mini-Konzeptalbum über Verlust, Hingabe und Resignation. Jeder Song zeichnet eine neue Phase emotionaler Auslöschung nach und Greg Dulli schlüpft in all die verschiedenen Rollen, wobei er aber stets dieselbe gebrochene Seele im Zentrum bleibt.

Die EP beginnt mit ´Band Of Gold´, einem Song über eine nie vollzogene Hochzeitsnacht. Bei Freda Payne klang das wie ein Drama in Dur, bei Greg Dulli ist es pure Verzweiflung. Seine Stimme bricht fast, als würde er den Tränen hinterherlaufen. Die Gitarre schwebt über dumpfem Schlagzeug, der Groove taumelt, statt zu tanzen. Diese EP atmet von Beginn an die Trümmer einer Beziehung.

Danach folgt ´True Love Travels On A Gravel Road´, einst eine sanfte Southern-Ballade über Ausdauer und Glaube. Sie wird bei den AFGHAN WHIGS zur Ballade eines Mannes, der noch immer an der Seite der Geliebten steht, obwohl der Weg längst zerstört ist. „Love is a stranger and hearts are in danger“ – Greg Dulli singt diese Zeile nicht, er verinnerlicht sie. Seine Stimme klingt jetzt nicht mehr nach Tränen, sondern nach letzter Treue, fast trotzig. Das Stück atmet Aufopferung, jedoch wie ein Schwur, der niemandem mehr nützt.

Nun steht ´Come See About Me´, vielleicht der unmittelbarste Song der EP, an. Diana Ross sang ihn als kokette Einladung, doch bei Greg Dulli wird daraus ein flehender Ruf. Die Musik pulsiert, fast tanzbar, doch der Text ist pure Einsamkeit. Hier ringt jemand nicht mehr um Liebe, sondern schwer atmend um Luft und um Rettung. ´Come See About Me´ wird zu einem Ruf aus dem Abgrund.

´Beware´ schließlich ist kein Liebeslied mehr, sondern eine Warnung. Der Ton wird bitterer. Der Erzähler sieht die Dinge nun klar, aber vielleicht zu spät. Greg Dulli trägt den Song wie ein Prophet wider Willen, mit schwerem Pathos und rauer Stimme. Er erkennt, leise atmend, dass er sich vor allem in sich selbst getäuscht hat.

Dann der überraschende Abschluss. ´Rebirth Of The Cool´, eine Neuinterpretation der eigenen Komposition ´Miles Iz Ded´. War der Song auf ´Congregation´ noch versteckt, fast wie eine posthume Beigabe, wird er hier zur Wiedergeburt erklärt, mit Loops, Hall und dunklem Jazz-Glanz. Greg Dulli murmelt, rezitiert, bittet und säuft. „Don’t forget the alcohol“, ruft er natürlich abermals, fast wie ein Requiem auf sich selbst. Die Miles Davis-Referenz bleibt bewusst kryptisch. Doch der Song schließt letztlich den Kreis als Abgesang auf den Soul-Lover, der durch die vorangegangenen vier Songs intensiv atmend taumelte.

´Uptown Avondale´ wurde größtenteils während der ´Congregation´-Sessions aufgenommen. Man hört das an Sound und Produktion sowie am Gesamtbild. Die EP wirkt wie der schwarze Spiegel des Albums. Statt Soul als Element im Rock zu verwenden, kehrt sie das Prinzip um und nutzt den Rock zum Werkzeug des Soul. Jeder Song ist ein Schritt tiefer in eine Geschichte, in der Greg Dulli erst weint, dann kämpft, dann bittet, dann warnt und schließlich verschwindet.

THE AFGHAN WHIGS beweisen hier, dass sie nicht nur Soul spielen können, sondern ihn leben. ´Uptown Avondale´ ist wie ein Soul-Mixtape für das Ende einer Beziehung. Oder für den letzten Tanz, bevor das Licht ausgeht. Und wer ´Congregation´ mochte, wird hier den Ursprung seiner Lieblingsmomente finden. Und wer sich fragt, warum eine Grunge-Band plötzlich Soul covert, hat entweder ´The Temple´ nicht gehört oder Greg Dullis Zeile: “I can’t recall yet if I’m black, or if I’m white or wrong.” Denn genau da liegt der Schlüssel: Diese Musik kennt keine Hautfarbe, kein Genre, keine Grenze. Nur Gefühl. Und davon gibt es hier jede Menge.

Und dann das Vinyl-Reissue von 2017. Endlich als 45 RPM Mini-Album auf 180g Vinyl wiederveröffentlicht – zum ersten Mal überhaupt in den USA erhältlich, limitiert und mit klarem Klangprofil. Die Aufmachung schlicht: kein Gatefold, keine Texte, aber ein solides Cover. Wer bei farbigem Vinyl skeptisch ist, greift zur schwarzen Version – und liegt damit richtig. Der Sound wirkt offen, direkt und detailreich. Trotz der Kürze hat diese EP auf 12″ mehr Luft zum Atmen – so entfalten sich Groove, Hall und Soul deutlich freier. Keine audiophile Pose, sondern schlicht der Klang, den diese fünf Stücke verdienen.

https://www.facebook.com/TheAfghanWhigsOfficial

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