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LITTLE ANNIE – With

2025 (Cold Spring Records) - Stil: Avant-Chanson/Experimental

Es gibt Stimmen, die brennen nicht lichterloh, sondern glimmen vor sich hin. Wie eine Glut, die unter der Oberfläche weiter schwelt. Little Annie – alias Anne Bandez – hat so eine Stimme. Sie ist rau, warm, ein bisschen kaputt und total weise. Ihre Musik ist inzwischen ein gelebtes Archiv, ein Tagebuch voller Wärme aus vergangenen Zeiten. Ihr neues Album ´With´ ist wie ein Treffen mit ein paar ihrer engsten musikalischen Freunde. Leute wie Marc Almond, Coil, Swans, Baby Dee, Bonnie Prince Billy, Kid Congo Powers, Paul Wallfisch und Larsen sind mit dabei. Jede dieser Zusammenarbeiten ist wie ein eigenes kleines Kapitel, doch zusammen ergeben sie ein ganz besonderes Erinnerungsalbum. ´With´ ist ein ehrlicher Einblick in Freundschaften, wichtige Momente und die Musik einer Frau, die immer genau hingehört hat. Denn früher war Little Annie als Annie Anxiety eine schrille Stimme im anarchistischen England der frühen 80er. Aber mit der Zeit ist aus der radikalen Performerin eine melancholische Sängerin geworden, die aber nie ihre Liebe zum Experiment in dunklen Ecken verloren hat.

´Yesterday When I Was Young´, live in der “Wilton’s Music Hall” in London, ist wie ein Blick in den Spiegel. Aznavours Ballade über verpasste Chancen wird bei Annie und Marc Almond zu einem sanften Abschied von der Jugend. Ursprünglich auf COILs ´Love’s Secret Domain´, erzählt Annie in ´Things Happen´ – halb flüsternd, halb sprechend – aus der Sicht einer abgekämpften Prostituierten in El Salvador. Der düstere Sound von COIL ist hypnotisch, verstörend und poetisch.

Dann erscheint das Duett ´The Weather The War´ wie ein Film Noir-Dialog. Zwischen Ironie und Resignation führen Annie und Kid Congo (u. a. The Cramps, The Gun Club) ein trockenes Gespräch über das Scheitern der Liebe. Zwischen ihnen entsteht ein bittersüßer, intimer Moment. ´Isle Of Weeping Ladies´ ist leise, zerbrechlich und einfach wunderschön. Die Ballade, fast nur mit Klavier, ein bisschen Percussion und Slide-Gitarre, klingt wie ein verschollener Jazz-Klassiker aus einer anderen Zeit. Die Zusammenarbeit mit dem Pianisten Paul Wallfisch wurde zu einem wichtigen Teil von Annies späterem Schaffen.

´State Of Grace´ ist völlig zerbrechlich, aber total aufwühlend. Ein kleines Meisterwerk. Die zarte Schönheit von Baby Dees Klavierspiel trifft auf Annies rauchige Stimme und Bonnie Prince Billys ätherischen Klang. Gemeinsam beschwören sie eine Art spirituelle Flucht aus dem Großstadt-Chaos. Experimenteller wird es durch ´Lefrak City Limits´ , elektronisch, Ambient, entrückt. Annie spricht in Fragmenten über Identitäten, über Städte, die im Nebel verschwinden, über Wiedergeburt. Keine leichte Kost.

Großes Kino im Kleinen ist allerdings ´The Soul Of August´, ein melancholischer Roadmovie-Song, kaum Instrumente, fast schon sakral. Annies Gesang nimmt einen mit auf eine Reise durch späte Sommerabende, über verlassene Landstraßen und in das imaginäre Amerika ihrer Erinnerungen. Da hilft zum Ende nur noch ein Stück wie ein Gebet, schwer, ehrlich, berührend und mit Streichern. Annie und Michael Gira (Swans) stellen in ´Some Things We Do´ eine Liste menschlicher Taten auf. Kein Rückblick, sondern ein Blick nach innen.

Schließlich ist Little Annie keine Sängerin im herkömmlichen Sinn. Sie ist eine Geschichtenerzählerin, irgendwo zwischen Jazz, Chanson, Avantgarde, Blues und dem Erbe einer radikalen Underground-Ikone. Ihre Stimme erzählt von endlosen Nächten, von Kämpfen mit sich selbst und von Freundschaften, die mehr sind als nur ein paar Gastauftritte.

Eine Sternstunde für Liebhaber von Little Annie.

https://www.facebook.com/littleanniesings/
https://coldspring.bandcamp.com/album/with-csr348cd-lp

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