
LEPER COLONY – Those Of The Morbid
2025 (Testimony Records) - Stil: Death Metal
2025 und auch 37 Jahre nach ´Leprosy´ und 40 Jahre nach ´Seven Churches´ geht noch was bei der ursprünglichen Variante. Nun sind hier auch nicht unbedingt kleine Jungs am Werk, wie anno 1990 auf ´The Eternal Fall´. Damit sei die Brücke zu Leadsänger bzw. Groller Marc Grewe geschlagen, der durch MORGOTH in den frühen 90ern zu Ruhm und Ehren kam und gerade in jüngerer Zeit wieder mit vielen Projekten und Bands wie ASINHELL (mit VOLBEAT Michael Poulsen), DEIMO’S DAWN, DISCREATION (inzwischen ist er ausgestiegen) und INSIDIOUS DISEASE gutklassige Deathmetalalben auf die gierige Meute losgelassen hat.
Marc ist zusammen mit Rogga Johansson (u.a. PAGANIZER) das Aushängeschild und mit Jon Rudin und Håkan Struvemark sind zwei weitere sehr aktive Recken dabei. Håkan u.a. seit den 90ern bei den kultigen WOMBBATH (hat nichts mit dem australischen Nagetier zu tun). Veteranen also, die 20 Jahre und mehr Death Metal spielen. Kommt da was gutes bei rum? Neu ist es nicht. Wahnsinnig revolutionär und innovativ, Genres sprengend und schockierend ebensowenig. Aber es ist wie eine Lesestunde im Necronomicon. Alte Weisheit von jetzt lebendigem Fleisch und Geist in die Gegenwart geholt, Tore eröffnend in eine Anderswelt, wo unser Verständnis von Zeit, Symmetrie und Existenz nicht mehr wirkt. Hätte Lovecraft schon das Glück gehabt, Deathmetal hören zu können, dies wäre seine Band gewesen.
Kann man noch Klassiker im Deathmetal erschaffen? Eternale Hymnen, die tief in der Seele das Chaos entfesseln? Das mag die Zeit zeigen, aber wenn man sich nicht allzu doof anstellt, dann kann man zumindest Musik machen, die eindringlich, einprägsam und sehr tief wirksam ist. Gleich der Opener ´Facing The Faceless´ ist solch ein Song, der einen coolen Refrain hat, den man fast mitgrollen möchte und der durch seine klassischen Strukturen den METAL in Death Metal in Blockbuchstaben schreibt. Feine düstere Gitarrenmelodien liegen auf den Riffs, die typisch schwedisch sehr dunkel gestimmt rollen und sägen. Das ganze wirkt kontrolliert, auf den Punkt gebracht. Klassisch, ja, aber immer frisch und ein den Kultplatten der frühen 90ern nacheilender Hammer.
´Masters Voice´ (eine Ode an Paul Speckmann? Mit dem hat Rogga ja auch einige Platten zusammen gemacht) legt noch nach. Mittelschnelle, treibende Momente, Akkorde so präzise und heavy, dass zwar in jenen Momenten, wo Rogga sie vom Griffbrett schlägt, kein Funken Melodie erglimmt, aber dadurch ihre Wirkung noch biestiger ist, einige verspielt dahintänzelnde Melodieparts zum Anfang, immer wieder kleinere Melodien zwischendrin und gezähmt blastende Schlagzeugmotive unter brutalem, verquerem Riffing in instrumental geprägten Ausflügen. Death Metal im besten Sinne. Die schwelgerisch morbiden Melodiepassagen in der Songmitte lassen an die alte Schwedengarde denken, sind aber so erhaben und krankhaft schön, dass sie eine ganz eigene Horroratmosphäre generieren.
Wie habe ich das vermisst. Charaktersongs. Eine Platte, die zu einer Klangreise wird, bei der Du ab dem ersten Stück mitfieberst und bis zuletzt mit jedem Stück eine neue Szenerie siehst. Im Falle von LEPER COLONY sind das Grüfte, vergessene überwucherte Friedhöfe und mystische verlorene Orte.
´The Age Of Insanity´ führt sogleich die Linie fort. Wieder ein Charaktersong, anders als die beiden vorigen Stücke, aber klanglich und von der Atmosphäre her auf einem Level, abwechslungsreich komponiert, mal wogend und mit episch machtvollen Gitarrenmelodien, mal treibend bis kontrolliert rasant, die ursprünglichen Gitarrenläufe auspackend, welche den schwedischen Deathmetal von 1991 bis 1994 so gut gemacht haben, dazu versteckt im Gesamtbild flippige Riffs, die mich an 90er Jahre Bands denken lassen, die dem klassischen Metal entfliehen wollten. Das sind Spielereien mit unseren Sinnen, die man im Gesamtbild des Songs als genial getroffen bezeichnen kann. Auch hier ist der Grundgedanke der alten Magie verhaftet und auch hier erfreut sich der Hörer an einem eigenständigen Kapitel der Geschichte, die uns LEPER COLONY erzählen.
´Flesh To Rot To Ashes´ zeigt die Band von einer thrashlastigen Seite. Nach kurzem Vorspiel donnert die Kapelle einen wütend treibenden Up Tempo-Metal mit zornigem Grollen von Marc, der in einem Refrain mündet, welcher fast einem abruptem Stop gleichkommt, aber ebenso mächtig schwingt und wiederum eine hymnische Couvertüre auf den spröden Thrashmetal legt, wodurch die Nummer ihren Wiedererkennungswert bekommt. Nach dem zweiten Durchlauf gibt es eine kurze Passage mit tiefer todesdoomiger Atmosphäre und schönen Leadgitarren, unter denen Growls und Schreie aus den tiefsten Schlünden der Unterwelt erklingen. Marcs gemarterte Seele scheint sich da zu verselbständigen. Bis zur nächsten Strophe, dem typischen Thrash Metal Übergangslauf folgend, hat er aber Zeit, sie wieder einzufangen und es gelingt, denn schon schimpft er wieder wie ein Rohrspatz. Eine kurze Gitarrenfanfare läutet das Ende ein. Bäng. Fertig.
´Realm Of Madness´ hat den seit langer Zeit coolsten Deathmetal Refrain. Einfach gehalten, mitgrölbar, packend. Instrumental und gesanglich treibender METAL ohne große Schnörkel, macht der Song klar, wie man Deathmetal Brutalität, die Wucht und Direktheit sind schon intensiv, mit klassischer Speedmetal- und Heavy Metal-Attitüde zusammenbringen kann und das auch noch funktioniert, indem nur die besten Aspekte beider Welten fusionieren.
Im Moment denke ich darüber nach, ob die guten alten DISMEMBER, welche tatsächlich bis zu ihrer letzten Platte vor 17 Jahre eine ähnliche Richtung verfolgten, jetzt ein Comebackalbum hinlegen können, welches das von LEPER COLONY vorgelegte Level an Großartigkeit noch zu toppen oder zumindest zu erreichen vermag. Ohne meine Helden jetzt dissen zu wollen, ich liebe die Stockholmer, aber das deutsch-schwedische Gespann ist eine absolute Macht. Es sind eben nicht nur der BOSS HM2 Sound und etwas Geschrubbel im alten Stil, die eine gute Platte ausmachen. Songs sind das A und O.
Und ein solcher mit hohem Wiedererkennungswert ist auch ´Those Of The Morbid Inclination´, der Quasititelsong. Treibend, aber eher in gemäßigtem Up Tempo gehalten und auf düsteren Akkordfolgen rollend, mit wogenden und klassisch metallisch riffenden Parts dazwischen trägt er einen zu den Tempeln der Ahnen, irgendwo um 1991 herum. Das irre, aber irgendwie melodische Wahwahsolo auf herrlichen Gitarrenläufen bläst Dir förmlich die Sinne aus und Marc schimpft, zetert und grollt ganz famos boshaft dazu. Ja, das ist tatsächlich alles schon damals irgendwie in Erscheinung getreten, aber 34 Jahre nach ´Cursed´ und ´Like An Everflowing Stream´ genau dieses Feeling wieder erschaffen zu haben, zeugt von absoluter Größe. Manchmal will man dem guten Rogga zurufen, er möge doch mal kürzer treten. Die Liste an Songs, Alben und Bands ist gewaltig. Und manchmal sind seine Arbeiten auch wirklich nur gut und etwas generisch. Aber Rogga kann schon, wenn ihm der Griffel juckt und dann schreibt er mit schwarzem Dämonenblut statt schnöder Tinte seine Weisen und in einer fremden Dimension lauscht verzückt ein abgerissener alter deutscher Geiger und fühlt sich sicher vor den Kreaturen der ewigen Nacht.
Bei ´Apocalypse Whore´ habe ich in etwa erwartet, was ich bekomme. Sprödes, trockenes Riffgepeitsche, treibende 4/4 Rhythmen, eine kurze Bremse vor dem treibenden Refrain, kleine melodische Gitarreneinsprengsel. Den epischen C-Part mit diesen tiefen Melodiegitarren vor der letzten Strophe hab ich nicht kommen sehen. So bekommt eine gute, etwas weniger glamouröse Nummer, die nötige Größe für höhere Weihen. Ich meine, die alten Klassikerplatten hatten doch auch solche Zwischenstücke, die geradeaus durchgeballert haben und sich erst im Nachgang als ewige Hymnen zeigten.
´Creature Of The Deep´ ist dann wieder monumental. Beim Anfang ist da ein Klangeffekt, der an eine Maultrommel erinnert über majestätisch düsteren Riffs, dann kommen einige melodisch rollende und wogende Parts mit abgefahrenen Drumfiguren darunter, die entfernt die “modernere” Neothrash Rhythmik der ersten 90er Hälfte andeutet, aber insgesamt den Deathmetal Stil der Band unbeeinflusst lässt. Es sind Schnörkel, kleine Details, die den Songs noch mehr Farbe geben. Und Farbe so gesehen hat die Nummer. Stampfender epischer Deathdoom zeigt sich in den Strophen. Zermalmende Akkordwalzen pressen Dir den letzten Rest Bewusstsein aus der Seele. Morbide Harmonien machen Dich willenlos und Du wirst zum willfährigen Genießerzombie.
Und nun das große Finale: ´A Story In Red´. Langsames Aufbauen und grandioser Abgang? Tatsächlich anders als gedacht. Wie lange hab ich schon keine Deathmetal Ballade mehr gehabt? Oh ja, dies wäre auf jedem alten Heavy Metal-Album als perfekte Halbballade für die kuscheligen Momente durchgegangen. Marc formt in seiner krustigen Kehle sogar sowas wie Melodien. Aber unter zarter Schale liegt ein harter Kern. Dieser melancholisch hymnische Song mit dem extrem eingängigen Refrain und wunderschönem Melodienspiel der Gitarren hat so seine dezent eruptiven Momente. Aber wow, was für eine Hymne. 1994 wäre das Ding zum Tanzflächenhit in allen Heavy Metal-Discos geworden, ein Evergreen, den die heute um die 50 Jahre frischen 90s Metalheads noch immer mit Tränen in den Augen und blutenden Herzen mitsängen. Und ich wünsche Marc, Rogga, Jon und Håkan absoluten Erfolg mit diesem Killersong. Ich schwelge in Emotionen, bin wahlweise 17, 18, 20.
Der tiefe Underground wird bei dieser Platte wohl etwas zu kauen haben. Kein Chaos, keine Trümmereien in jugendlichem Leichtsinn, aber ein reifes und charaktervolles Meisterwerk von gestandenen Recken, die den alten Geist des Deathmetal ehren und tatsächlich selbst beim Einspielen wieder 20 sind.
Ich bin fertig mit der Welt … 9,5 Punkte