Seit 16 Jahren glimmt ein Stängel der Hoffnung, neues Songmaterial der englischen Rockband THE CURE dargereicht zu bekommen. Tatsächlich haben sie bereits vor der Veröffentlichung ihres vierzehnten Studioalbums während ihrer Welt-Tournee „Shows Of A Lost World“ in den Jahren 2022 und 2023 fünf neue Songs live aufgeführt. Doch im wahren Leben führte eine abgebrochene Aufnahmesitzung nach der anderen und ein verschobener Veröffentlichungstermin nach dem anderen, aber insbesondere persönliche Schicksalsschläge zu dieser unendlich erscheinenden Periode von 16 Jahren.
Daher ist es mehr als verständlich, dass alle Kompositionen von Sänger und Gitarrist Robert Smith Themen wie Verlust, Vergänglichkeit und Sterblichkeit in den Vordergrund rücken. Denn in der Zwischenzeit sind Robert Smiths Bruder und all seine verbliebenen Tanten und Onkels aus dem Leben geschieden. Acht Lieder entsprechen daher acht Geschichten über den Tod.
Während Robert Smith und seine Mannen früher ohne Angst vor dem Tod lebten, sondern nur Angst hatten, dreißig Jahre alt zu werden, brachte ihnen der Verlust von Familienangehörigen und von Gleichaltrigen die Erkenntnis über ein mögliches eigenes Ableben von Tag zu Tag näher.
Zudem schien Robert Smith in der Vergangenheit ewig jugendlich, nun ist er rapide erwachsen geworden. Seine Gedanken und Gefühle kreisen um den Sinn des Lebens und er scheint förmlich am Abgrund des Lebens zu stehen. Neben winzigen Hoffnungsschimmern ist eine vollständige Resignation und eine Weltuntergangsstimmung im Hause THE CURE zu spüren.
Gleichwohl waren ihre Jünger darauf vorbereitet und hievten nach 16 Jahren des Wartens ´Songs Of A Lost World´ in der ersten Woche seines Erscheinens auf Platz eins der britischen Albumcharts. Somit ist es ihr erstes Nummer-1-Album in Großbritannien seit 32 Jahren, das erste Studioalbum mit Gitarrist Reeves Gabrels, der seit 2012 vollständig integriert ist, und wieder eines mit Rückkehrer Roger O’Donnell an den Keyboards.
Die Skulptur des slowenischen Künstlers Janez Pirnat aus dem Jahr 1975 verziert dabei das Coverartwork für die kommenden endlosen schwarzen Nächte. Melancholie und Dunkelheit sind unter diesen Umständen das Gebot der Stunde, es wird trostlos, ernst, düster, traurig und ergreifend.
Nach den Meisterwerken ´Pornography´ (1982) und ´The Head On The Door´ (1985) über ´Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me´ (1987) und ´Disintegration´ (1989) wurde es schließlich zuletzt auch allzu fröhlich. THE CURE entledigen sich nunmehr alles unnötigen Ballastes und sprechen das apokalyptische Abendgebet, persönlich für sich selbst oder auch für die ganze Welt, episch und minimalistisch, gesungen von “This is the end of every song that we sing” bis “Left alone with nothing”. Das letzte Wort wird nochmals wiederholt und ist “Nothing”.
Nebel aus Synthesizern und Klavier, Donner aus Schlagzeug und Percussion sowie Blitze aus Gitarrensaiten schleichen und brechen sich durch die melodisch-kalte und sakrale Nacht. Erst in ´Alone´ und ´And Nothing Is Forever´ geradezu unflamboyant und in ´A Fragile Thing´ schon glanzvoller tickend, allesamt jedoch piano und besonnen, dann in ´Warsong´ und ´Drone:Nodrone´ industrieller lärmend, um schließlich in ´I Can Never Say Goodbye´ abermals Klavier betont und wehklagend das neue musikalische Universum, allesamt von ausführlichen Einführungen in das richtige Licht getaucht, eines ´All I Ever Am´ und eines ´Endsong´ samt scheinbar endloser Schläge zu betreten. Und dann noch ein unwiderrufliches Wort: “Nothing”.
Es könnte das finale Ende bedeuten, doch manches Album-Booklet beinhaltet einen Text zu einem gar nicht veröffentlichten Song, der möglicherweise auf einem Nachfolgewerk zu finden sein wird. Da Robert Smith vermutlich in einer Unmenge an Songmaterial badet, sollte eine weitere Scheibe von THE CURE nicht lange auf sich warten lassen.
Das vorerst erwachsenste künstlerische Statement von Robert Smith und THE CURE heißt allerdings ´Songs Of A Lost World´ – mit einer Half-Speed Mastering Technik von Miles Showell in den “Abbey Road Studios” auf schwerem und schwarzem 180g Vinyl.
(10 Punkte)