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JUDAS PRIEST – Invincible Shield

~ 2024 (Columbia/Sony Music) – Stil: Heavy Metal ~



Michael Haifl

 

Mit einem Lebensalter von gesegneten 72 Jahren, wie Rob Halford, mit einem von 73 Jahren, wie gegenwärtig Ian Hill, oder mit 76 Jahren, wie augenblicklich Glenn Tipton, werden JUDAS PRIEST keine musikalische Revolte mehr vom Zaun brechen, schließlich wurde diese bei ihnen bereits im Nachgang zu ´Painkiller´ in den späten Neunzigerjahren wieder abgesagt.

Doch sie zünden 2024 nochmals auf der Höhe der Zeit ein großes apokalyptisches Feuerwerk und bleiben in diesen wirren Zeiten mit ihrem Geist immer noch hellwach: „Es ist ein Zeichen der Zeit, in der das Chaos herrscht; wenn die Massen pompöse Narren dulden; und die Waagschale der Gerechtigkeit ins Wanken gerät.“

Dieser außerordentliche ´Panic Attack´ eröffnet am Puls der Gegenwart das 19. Studioalbum von JUDAS PRIEST, das sich immer noch ohne einen K. K. Downing und mit einem erkrankten Glenn Tipton arrangieren muss, ein Album ohne Revolution, aber voller Energie und Eifer. Auf einen geruhsamen Alterssitz wollen sich Rob Halford und seine Mitbrüder schließlich längst nicht zurückziehen und innehalten.

Die elf frischen Kompositionen lassen zwar immer wieder Erinnerungen an eigene glorreiche Tage der vergangenen 50 Jahre aufkommen, besitzen dennoch genügend eigenes Charisma und eigene Qualitäten, um ´Invincible Shield´ als bestes Werk von JUDAS PRIEST seit 1990 abzusegnen. Ein neues ´British Steel´, wie anno 1980, oder ein neues ´Painkiller´, wie anno 1990, bleibt selbstredend seit 2000 unerreicht.

´Invincible Shield´ möchte auch kein weiteres ´Painkiller´ sein, leitet es doch die ´Panic Attack´ ganz im Sinne des Synthwave der Achtzigerjahre mit entsprechenden Drums ein, so dass in den ersten Sekunden eher Assoziationen zu den Zeiten von ´Turbo´ (1986) geweckt werden. Doch sogleich mutieren die Gitarren in ihren röhrenden Aggregatzustand und feuern ihre unkomplizierte Attacke ab. Hier wird der Metalgod in den hohen Lagen von Backgrounds unterstützt und die Gitarrensaiten leben sich in ihren solistischen Vorführungen erst so richtig aus.

Die Dämme brechen von jetzt an auf ganzer Linie. ´The Serpent And The King´ ist unnachgiebiger und fürderhin ausschweifender. Die Hymne ´Invincible Shield´ grollt beinahe wie zu ´Painkiller´-Zeiten und triumphiert wie an heutigen Feiertagen.

Die in Ehren ergrauten Priester öffnen zur Variation allerdings auch das Feld für Songs in mittlerer Geschwindigkeit, wie das wohltuend rockende ´Devil In Disguise´ sowie das mit Schlagzeug und melodischen Gitarrenläufen eingeleitete ´Gates Of Hell´ in klassischer Manier und das sich unmittelbar anschließende, äußerst liebreizende Heroenstück ´Crown Of Horns´.

Auf Hochtouren geht es dann wieder mit der klassischen Priest-Komposition ´As God Is My Witness´ blitzend und qualmend weiter. Rob Halford singt sodann mit allem Nachdruck ein ´Trial By Fire´ zu einer wunderschön ausladenden Melodie, ´Escape From Reality´ daraufhin sogar noch energischer zu düsteren Gedanken und wandelt an einigen Stellen gar unüberhörbar wie Ozzy durch Birmingham.

Die letzten Priest’schen Kräfte zaubern ´Sons Of Thunder´, eine künftige Live-Attraktion mit Background-Echo, und ´Giants In The Sky´ in einer nochmaligen Druckwelle hervor. Und an diesem Punkt naht nach 52 Minuten zunächst einmal das Ende. Ob dies bei aller Liebe die letzte unschlagbare Vorstellung, die letzte Feuerpower, der letzte Seelentröster war, der Priest’sche Schwanengesang? Die Jahre werden es uns zur gegebenen Zeit anvertrauen. Bis dahin viele weitere gesegnete Stunden und 30 Silberstücke für die Priester.

(9 Punkte)

 

 

 


Armin Schäfer

 

„Je oller, desto doller!“ Selbst im fast schon biblischen Alter zeigt die NWoBHM-Legende JUDAS PRIEST der Konkurrenz, was eine Harke ist. Mit ´Panic Attack´ und ´The Serpent And The King´ gelingt dem Quintett ein toller Einstieg in sein neues Album – wenngleich der zweite Titel einen doch etwas gewöhnungsbedürftigen Refrain besitzt. Und von Beginn an fällt auf, dass der Metal-God Rob Halford einmal mehr singt und shoutet wie ein junger Gott – die Technik machts möglich.

Wie auch immer, der erste wirkliche Höhepunkt folgt direkt im Anschluss mit dem Titelsong ´Invincible Shield´, bei dem die Priester kompositorisch aus den Vollen schöpfen und alle Trademarks eines echten PRIEST-Songs vereinen. Locker könnte dieses Stück auch auf Alben wie ´Screaming For Vengeance´ oder ´Defenders Of The Faith´ bestehen. ´Devil In Disguise´ und ´Gates Of Hell´ indes reichen musikalisch in der Bandhistorie sogar zu Alben wie etwa ´British Steel´ und ´Point Of Entry´ zurück. Schon nach vier Songs wird deutlich, dass JUDAS PRIEST beim Songwriting diesmal die ganze Bandbreite ihres bisherigen Schaffens bemühten. Abwechslung ist Trumpf.

´Crown Of Horns´ ist eine tolle Mitsingnummer mit sehr einprägsamem Refrain, der bereits nach einem Durchlauf in den Gehörgängen verfängt. Mit ´As God Is My Witness´ folgt ein weiteres absolutes Highlight des Albums, geprägt von einer überragenden Gitarrenarbeit, wie natürlich bei allen Kompositionen der Scheibe – neben dem Gesang schließlich DAS Markenzeichen eines jeden echten JUDAS PRIEST-Songs. ´Trial By Fire´ sticht zwar nicht besonders hervor, reiht sich aber nahtlos in die lange Liste toller PRIEST-Stücke ein. Eine leicht düstere Atmosphäre versprüht das teils balladeske und streckenweise sogar an BLACK SABBATH erinnernde ´Escape From Reality´ und markiert den nächsten Albumhöhepunkt. So vielschichtig zeigten sich die Briten schon seit Jahren nicht mehr.

Die beiden Rauswerfer ´Sons Of Thunder´ und ´Giants In The Sky´ begeistern mit JUDAS-Metal aus der Frühphase der 1980er-Jahre und beschließen ein rundum gelungenes Album. Selbst zarte Annäherungen an ihre Alben aus den Siebziger-Jahren sind beim Abschlusstitel hier und da herauszuhören. Ganz plump gesagt vielleicht eine Mischung aus ´British Steel´, ´Screaming For Vengeance´ und ´Painkiller´ – und doch so viel mehr. Ein solch facettenreiches Werk hätte man den Priestern wohl kaum noch zugetraut. War der bärenstarke Vorgänger ´Firepower´ schon eine echt große Nummer, so können JUDAS PRIEST diese mit ´Invincible Shield´ sogar noch toppen. The Priest is back – und wie. Überragend!!!

(9 Punkte)

 

 

 


Sir Lord Doom

 

JUDAS PRIEST sind JUDAS PRIEST, soviel ist beim ersten Hören klar. ´Panic Attack´ eröffnet im Stil der letzten 34, ja eventuell 36 Jahre mit einem sehr sauber und fast poppig klingenden Lick, wobei es aber rasch in den typischen PRIEST-Stil ab ´Painkiller´ umschlägt. Satte, straighte Riffs, donnernde Rhythmen, die, wie böse Zungen behaupten, aus der Konserve kommen, die Stimme ganz eindeutig und diese Ein-Ton-Refrains, die man kennt. Dazu immer wieder schöne melodische Läufe und wildere, schrillere Leads. Bekannter Stil, mehr oder minder bekannter Sound, nur der Song ist neu. Das ist solide, das macht Spaß, weil man es kennt und das Erwartete bekommt. Keine Revolution, aber eine frische Variante liebgewonnener Musik.

Andy Sneap hat wohl allen Anscheins nach das Album wieder produziert, love it or hate it. Ich komme gut mit dem sauberen Klang klar. Auf dem Bandfoto sieht man ihn neben Richie Faulkner und Glenn Tipton als weiteren Axtschwinger. Der Klang ist für mich cool, taugen denn die Songs? Nicht nur von PRIEST hat man solche Stücke, Riffs, Melodien, Refrains schon gehört. Aber die alten und mittelalten Säcke haben es halt noch drauf. Was brauche ich hunderte von NWoTHM Bands, wenn JUDAS PRIEST einen hinlegen? Bei MOTÖRHEAD und AC/DC hat auch keiner gemeckert, außer er ist ein Dauernörgler.

Aus jeder Note trieft die Tradition des Heavy Metal heraus und jede Passage fließt logisch in die nächste. Herausragend als erster Song ist der melodische Powerheavyrocker ´Gates Of Hell´, ein mittelschneller Banger mit einem packenden Refrain zum Ausrasten und diesen allzeit präsenten genial flippigen PRIEST Leadgitarren neben wunderschönen Harmonien. Dabei waren die ersten vier Songs schon einfach geil, aber eben typischer Powermetal wie seit 1990 von den Herren meistens serviert.

´Crown Of Horns´ als fast AOR-Nummer hätte locker 1981 bis 1986 entstanden sein können. Eine Hymne vor dem Herrn, mit einem Refrain, der Dich richtig zu packen kriegt. Dazu ein schwer walzender Mittelpart und eine Bridge mit zwar auch vertraut wirkender, jedoch emotionsgeladener Gesangslinie und einem anschließenden Solopart, der kurz und knapp, aber leidenschaftlich und furios wieder zu Strophe und Refrain zurückführt. Und spätestens jetzt ist man doch verliebt in diese Platte.

JUDAS PRIEST haben es clever angestellt. Sie müssen sich nicht mehr beweisen. 50 Jahre nach ´Rocka Rolla´ machen sie es sich zwar leicht und schauen auf die 80er, 1990 und die 2000er bis 2010er Phasen zurück, aber sie haben es geschafft, die wirklich besten Elemente nochmals zu bündeln. Und so hört man dieses Album in einem weg und bekommt neue Favoriten für die selbst erdachte Best-Of serviert, die für die Ewigkeit geschmiedet sind.

´Trial By Fire´ ist so einer. Immer noch vertraut, immer noch altehrwürdig und so intensiv und lustvoll gespielt, dass er Dir direkt wie ein Hammer auf die Birne und in die Seele knallt. Dabei wogend, heroisch, episch und machtvoll mit erhabenenen Riffs und Leads alles fortfegend.

Und weiter geht es, ´Escape From Reality´, mehr Epik, zurückhaltend und spannend in der Strophe, direkt und entschlossen im Refrain. Halb rollend, halb stampfend, eine gewaltige Atmosphäre mit sich bringend. Mystisch und abgefahren in einigen Momenten, die beinahe zu seinen besten gehören. Hat was doomiges an sich, ist aber auch eine geile Nuance des PRIEST-Sounds. Und dieses bissige Leadriff, pure diabolische Lust.

Selbst straighte und urklassische Heavy Metal-Banger mit ebensolchen Riffs sind auf diesem Album die Macht. ´Sons Of Thunder´ ist so einer. Wenige sehr melodische Gesangslinien, viele Zwei-Ton-Momente in Strophe, Refrain oder Bridge, eruptive Leads und ein zum Heulen geiles, melodisches Gitarrensolo in Verbund mit einem knackig bissigen Hauptriff und die knapp unter drei Minuten Heavy Metal sind genau wie man sie will. Kurzweilig, emotional und bedeutsam.

Fünf Minuten wogt die Abschlusshymne ´Giants In The Sky´ und auch hier sind die Zutaten der PRIEST’schen Tradition entnommen, ergeben aber einen frischen, nochmal alle Reserven in die Waagschale werfenden Song, der mit einer zauberhaft sentimental balladesken Mitte die besten Kuschelmomente der Institution JUDAS PRIEST erreicht. Aber kurz und bündig gehalten, denn dieser Song ist Heavy Metal, so pur und schön, wie diese Musik nur sein kann.

Hasser werden hassen, Nörgler nörgeln und Underground Freaks lieber auf der Bandcamp Plattform den Nachwuchs fördern. Alles in Ordnung. Aber ich habe von kaum einer jungen Band in den letzten Jahren mal eine Platte gehört, die so direkt reinläuft und begeistert. Und das mit einer eigentlich komplett hausbackenen Heavy Metal Blaupausen. Nur sind JUDAS PRIEST eben nach wie vor Originale und können es halt.

Wird umgehend bei Erscheinen gekauft. Gibt es noch perfekte Platten? Hier ist eine!

(9 Punkte)

 

 

 

 


Pic: Judas Priest