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TASHI DORJI – Guitar Improvisations

~ 2009/2023 (Drag City) – Stil: Avantgarde/Raga/Experimental ~


Mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Erstveröffentlichung auf Kassette wurden Tashi Dorjis bezaubernde erste Solo-Gitarrenimprovisationen nun endlich geremastered und erstmals auf Vinyl in Produktion gebracht. Maßgeblich Inspiriert von John Fahey, Derek Bailey und südasiatischen Raga-Formen wirken Dorjis ausdrucksstarke Klanginterpretationen schon in dieser Schaffensphase eher unvorhersehbar, minimalistisch und fast schon punkig, und er präsentiert die Stücke mit der von ihm gewohnten puren Leidenschaft.

Dorji, aufgewachsen in Bhutan, zog um die Jahrtausendwende für sein Studium in die U.S.A., wo er 2006 im Bundestaat Maine einen Szene-Veranstaltungsort entdeckte, der eine Menge Improvisationsmusiker beherbergte. Hier begann seine Faszination für Bailey und dessen Band JOSEPH HOLBROOKE, und mit der Zeit begann der Asiate, selbst zu improvisieren und entwickelte dabei in aller Stille seine eigene Sprache mit der Gitarre.

 

 

2009 nahm er schließlich im Studio eines Freundes eine Reihe von Soloimprovisationen auf, ohne die Absicht, sie jemals zu veröffentlichen, doch im Laufe der Zeit erschienen die Songs dennoch auf Kassetten und in Kleinauflagen und etablierten Dorji als wichtige, einzigartige Stimme in einer überfüllten und eher undurchsichtigen Szene.

´Guitar Improvisations´ fängt nun also die Phase in Dorjis musikalischer Entwicklung ein, in dem sich ihm die Welt öffnete, und schon der Opener ´Improvisation I´ demonstriert in seinen rund zehn Minuten die lockere emotionale Artikulation, die ihm direkt aus der Seele spricht. Es gibt keine Kälte in Dorjis Spiel, technisch versiert wechselt es von Rhythmus zu Rhythmus und weist dabei auch auf die Töne die dazwischen liegen.

Tonausbrüche kommen dabei in turbulenten Wellen, denen meditative Pools entgegenwirken, die nicht etwa volkstümliche Americana, sondern die glitzernden Ragas Südasiens signalisieren, und bei ´Improvisation IV´ modifiziert der Wahlamerikaner seine Gitarre sogar so, dass sie wie eine Mischung aus Kora und Mbira klingt, ein angestrengtes, perkussives Rasseln anstatt des zu erwartenden resonanten Klirrens.

´Improvisation II´ hingegen ist ein eher eckiges Stück, eine seiner ersten Aufnahmen überhaupt, und es wirkt schon beinahe genauso sehnig wie Baileys Werke, nur dass Dorji es zusätzlich mit unerwarteter Phrasierung versieht.

Im rund 15-minütigen Album-Closer ´Improvisation VIII´ wird Dorjis fortwährende Abstraktion schließlich durch eine geradezu erhabene Eleganz ausgeglichen, die vor allem durch die ersten beiden Akte flattert, bevor sie im letzten Drittel in rissige Klangsplitter zerfällt.

´Guitar Improvisations´ ist ein mühelos unterhaltsames Set, das die schwindelerregende Freude musikalischer Entdeckungen und glücklicher Zufälle einfängt. Dorji war eben bereits in Kinderschuhen ein wahrer Meister seines Fachs.

(8 Punkte)

 

https://www.facebook.com/dragcityrecords


Pic: Mike White