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WEDINGOTH – Five Stars Above

~ 2023 (Independent) – Stil: Prog ~


Franzosen und Reiselust, das gehört zusammen. Die erste französische Weltumseglung fand in den 1760er Jahren statt, als die Fregatte „Boudeuse“ unter dem Kommando von Louis Antoine de Bougainville (ja, die Pflanze wurde nach ihm benannt) drei Jahre unterwegs war. Mit an Bord war die Naturforscherin Jeanne Baret, die als erste Frau gilt, die die Welt umrundet hat. In den Romanen von Jules Verne nutzten die Helden „Zwei Jahre Ferien“ für „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“. Und dann gab es 1986 den Hit ´Voyage Voyage´ der französischen Sängerin DESIRELESS.

Was hat das mit WEDINGOTH zu tun? Nun, hier handelt es sich um eine Band aus unserem Lieblingsnachbarland. Die besteht schon eine Weile, auch wenn sie hier noch wenig bekannt ist. Schon 2009 erschien ihr Debüt ´Candlelight´. Bis heute versuchten die Franzosen, soweit als möglich unabhängig zu bleiben. ´Five Stars Above´ ist nun das vierte Album. Vielleicht ist das die Chance, sich auch hierzulande einen Namen zu machen, für die Beteiligten. Das sind Steven an Gitarre und Keyboards, Sängerin Céline, Bassistin Manon und Stéphane am Schlagzeug. Für den Song ´Cross The Mirror´ nahm an den Tasten Olivier Castan Platz, der eventuell von der FRANCK CARDUCCI BAND bekannt ist.

Diese WEDINGOTH laden uns ein. Sie laden ein auf eine Reise zu den Sternen. Ich bin dieser Einladung gefolgt. Und es war nicht zu bereuen, mit auf diese Reise gegangen zu sein.

Beim ersten Durchlauf des Albums war ich wohl etwas abgelenkt. Da kam mir ´Five Stars Above´ recht unscheinbar vor. Sogar, dass auf dem Album ein Viertelstundensong versteckt ist, ist mir nicht aufgefallen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass morgens um Fünf, auf dem Weg zur Arbeit, das Hirn noch nicht so bereit ist, Neues aufzunehmen.

Aber, schon die erste Wiederholung zeigt, wie tief WEDINGOTH einwirken. Der Opener ´Dear Universe´ startet das Album recht ruhig, besinnlich. Fast radiotauglich ist diese Nummer, könnte neben Klassikern von PINK FLOYD bis TOTO bestehen. Danach ziehen die Franzosen an. Schon Lied Nummer Zwei proggt in DREAM THEATER-Manier ins Hirn. Dabei klingt ´Masterpiece Of Life´ weder unterkühlt noch mechanisch, sondern zeigt neben aller rhythmischer Raffinesse auch Wärme und Herz. Das kurze ´Dear Man On Earth´ erinnert dann wieder an die introvertierte Ausgabe von PINK FLOYD. Leider ist das gefühlvolle Gitarrensolo zu kurz.

Wenn die Uhren ticken, weite Klangbögen ausgebreitet werden, Schwermut sich breitmacht, ´Time´, die Zeit vergeht. Auch wenn wir darauf warten, sie kommt nie wieder. Auch wenn er eben noch da war, nun ist der Augenblick vergangen. Und mit jedem vergangenen Moment wird die Reise kürzer, die noch vor uns liegt. ´The Spaceman´ bringt ein paar filmreife musikalische Szenen, die wunderbar ein einsamen SF-Drama illustrieren könnten. Richtig beeindruckend ist danach das wütende ´I Don’t Care´.  Dieses Lied fesselt mich mehr, als es das ganze letzte THRESHOLD-Album geschafft hat. Percussions, orientalische Klänge, Didgerdoo, in diesen knapp sechs Minuten gibt es viel zu entdecken. Auch ´Cross The Mirror´ kommt mit THRESHOLD-Anklängen.

Und danach das Herzstück, der Höhepunkt. Über 15 Minuten bringt ´My Own Sacrfice´ auf die Uhr. So viele Ideen, so viele Gedanken. Das geile Basslick, wunderbare Melodien. Andere hätten aus diesem Material an Klängen ein ganzes Album gemacht. Dabei erwecken WEDINGOTH aber nie das Gefühl, man müsste Mathematik studieren, um ihre Musik zu verstehen. Bei allen kleinen Details, alles klingt, wie aus dem Bauch musiziert. Jede Note, jeder Takt, jeder gesungene Ton sucht sich seinen Weg vom Ohr in Herz und Hirn. Während ich eben noch an eine Weltraumoper dachte, kommen hier Szenen wie für einen Western geschrieben. Das mag an der Glocke liegen, die Unheil verströmt. Das versöhnliche Ende kommt mit dem hitverdächtigen ´Love´.

WEDINGOTH machen sie, Musik für Körper und Geist. Und so wie Jules Verne zu seiner Zeit Wissenschaft mit Unterhaltung verknüpfte, als er seine Bücher schrieb, so verbindet die Band heute Gefühl und Verstand. Mit WEDINGOTH reist der Hörer nicht nur „Von der Erde zum Mond“, sondern macht gleich einen Flug zu den Sternen, zu den ´Five Stars Above´. Damit haben die vier Musiker aus Frankreich gleich einen Höhepunkt des französischen Prog abgeliefert, der neben dem ebenfalls aktuellen ´Onze´ der Kollegen von LAZULI mehr als locker bestehen kann.

(9 Punkte)

 

https://www.facebook.com/Wedingoth