FiletstückeMeilensteine

Filetstück des Tages

FATES WARNING – No Exit (1988)


Waaaas? Die ´No Exit´ als „Filetstück“? Das müsste doch mindestens unter „Lebensverlängernde Werke“ fallen! Bleibt mal locker, natürlich war der Wechsel zu Ray Alder für die Band selbst lebensverlängernd, aber so einfach war das für den eingefleischten Fan damals doch nicht. Ausserdem soll es Zeitgenossen geben, die alles nach der Arch-Ära so sehen wie die Fortsetzungen der Originaltrilogie von STAR WARS und eben die jüngere Generation, die noch nicht wusste, daß ausser Mark Zonder und Bobby Jarzombek auch ein gewisser Steve Zimmerman auf einem Alder-Album getrommelt hat. Ausserdem will ich’s filetgemäss kurz machen. Aber alles der Reihe nach…

 

 

Es war einmal der Glam Rock (z.B. T.REX oder NEW YORK DOLLS), der sich aufspaltete in das, was auf der einen Seite (glitzernder) Hardrock und auf der anderen Seite (schmutziger) Punk werden sollte. Da mit der Zeit die instrumentalen Fähigkeiten als auch die songschreiberischen Ansprüche mancher Musiker einfach zu gut wurden, transformierten junge Bands aus Grossbritannien den Punk in schnellen Metal um – im Gegensatz zu den doomigen Urvätern BLACK SABBATH.

Und damit kommt FATES WARNING als auch ich auf die Bildfläche – danke IRON MAIDEN & Co. Zu dieser Zeit hörte ich Radio oder bekam Kassetten (die Floppy-Disc des Audiofans) mit aktuellem Hardrock, Progressive Rock der alten 70er Dinosaurier oder eben ausgewählte Alben dieser aufstrebenden, neuen Musikrichtung, die mit Geschwindigkeit, harten Riffs und oft überragenden Sängern bestach.

 

 

Bis ich eines Tages diese unvergleichliche Mischung aus der edlen, vertrackten Spielart des Progressive Rock und meinem lieb gewonnenen Metal in die Hand gedrückt bekam und ungläubig des Gehörten sich meine musikalische Welt von einer Scheibe in eine Kugel verwandelte. ´The Spectre Within´ war fortan Religion und die Erwartungen wurden alsbald von ´Awaken The Guardian´ fast übertroffen. Fast. War das Debüt ´Night On Bröcken´ mit seinen verschiedenen kultigen Covern noch stark von IRON MAIDEN beeinflusst, so liegen diese beiden Folgewerke eigentlich trotz des Wechsels von Victor Arduini zu Frank Aresti an der Gitarre auf einer unerreichbaren, traumhaften Ebene, was die atmosphärischen Stimmungen der Songs mit kaum nennenswertem Keyboardeinsatz betrifft.

 

 

Aus heiterem Himmel kam mit dem Wechsel am Mikro der Handkantenschlag ins Genick, der die John Arch Anhänger der ersten drei Alben in die Verzweiflung stürzte und auf der anderen Seite vielen, die mit seinem extravaganten Gesangsstil nie klarkamen, nun durch die klare, warme Stimme eines Ray Alder endlich Zugang zu einer der besten Progressive Metal Bands aller Zeiten erlangten. Musikalisch war das Album laut Interviews noch komplett auf John Archs Gesang ausgerichtet, die Ray nun für die Aufnahmen mit seinen Gesangslinien füllen musste. Somit sollte er sich erst richtig im kompletten Stimmumfang auf der folgenden ´Perfect Symmetry´ austoben können, welche bei mir persönlich aufgrund ihrer kühlen Stimmung und unkommerziellen Progressivität trotz aller folgenden Topscheiben für immer Platz 1 der Alder-Ära innehaben wird.

 

 

Doch nun zu ´No Exit´. Zunächst fällt natürlich das Cover auf… und komplett aus dem Rahmen im Vergleich zu den beiden mystisch-blauen Kunstwerken von Ioannis. Das Konzept des Titels ´No Exit´ wurde natürlich perfekt umgesetzt und damit auch der kommende Wandel von Fantasy-Texten zu mehr Introspektive, doch für den Coverfetischisten vom damals „normalen“ Vinyl war das schon wieder Punk. Einerlei, ab auf den Teller und:

Zu Akustikgitarren stellt sich Ray Alder in dem kurzen Intro-Titelstück sogleich in aller Ruhe vor, gefolgt von ´Anarchy Divine´, welches den Druck vom Fan nimmt und mit allen Trademarks aufwartet, die man liebt. Dass der Mann die gewohnten Höhen aus dem FF beherrscht wird genauso klar wie die Tatsache, daß er ein ganz anderer Sänger ist und jegliche Vergleiche mit John Arch unnütz sind. ´Silent Cries´ trumpft in den ruhigen Strophen mit der ureigenen, mystischen FATES WARNING-Atmosphäre auf, mutiert zum komplex rhythmischen Riffer.

Die getragenen Gitarren von ´In A Word´ schlagen erneut in die träumerisch-epische Kerbe eines ´Guardians´ und das schnelle ´Shades Of Heavenly Death´ mit herrlichen dramaturgischen Wechseln und Höhepunkten bis zum Ende beendet den sofort aufsaugbaren Teil des Albums, bevor FATES WARNING unsere ungeteilte Aufmerksamkeit noch mehr fordern mit ihrem bisherigen Opus Magnum in acht Teilen auf 21:25 Minuten: ´The Ivory Gate Of Dreams´ – willkommen im Reich der Longtracks, wie sie die alten Progger ersannen. Noch wissen wir es nicht, doch der akustische Beginn ´I. Innocence´ nimmt das wunderschöne Kernthema vorweg.

´II. Cold Daze´ verdeutlicht schlicht und ergreifend die Ureigenheit von FATES WARNING in harter Reinkultur zum Bangen – ebenso wie das mächtig paukende und riffende ´III. Daylight Dreamers´. Selbst beim stampfenden Part ist durchgehender 4/4 Takt für den mittlerweise an „Progmetal“ gewöhnten Zappelfreak erfreulicherweise Fehlanzeige. Wie der Name ´IV. Quietus´ schon sagt, erleben wir in diesem Part wieder das, was spätestens seit dem Erwachen des Guardians die großen Atmosphären und emotionalen Ausbrüche dieser Band ausgemacht hat. Da isses wieder, unser Grundthema – diesmal mit Klavier und es setzt sich langsam im Hirn fest. Angekommen im ´V. Ivory Tower´ selbst, setzen FATES WARNING für die zukünftigen Generationen in Sachen progmetallischer Spielerei die Höhe der Latte fest – von RUSH-Elementen bis hin zu allerlei instrumentalen Fingerübungen.

Uff, Luft holen und durchatmen. Dafür ist ´VI. Whispers On The Wind´ da – hochemotional-melodisches Doom Warning im Balladenkleid. Ganz klar, dass nun im Finale ´VII. Acquiescence´ der Sturm losbricht. Und wie er das tut. Aggressiv, heavy, schnell, hart, kompromisslos – bis zum Ohrgasmus, zu dem die Gitarren das mittlerweile bekannte Hauptthema diesmal elektronisch verstärkt zum Gipfel der musikalischen Genüsse treiben und Ray uns vor dem akustischen Outro ´VIII. Retrospect´ zum Abschluß mit seiner mittlerweile ebenfalls liebgewonnenen Stimme die letzten nachdenklichen Zeilen mit auf den Weg gibt:

Hope leads to quiet desperation
When reality obscures the dream
Makes the mind a grave of memories
That wander like the lonely breeze
Whose whispers echo through ruins rust
Of towers torn and dreams turned to dust


FATES WARNING waren in diesem Moment ihres unvergessenen Schaffens:

 

Ray Alder – Vocals

Frank Aresti – Guitars

Jim Matheos – Guitars

Joe DiBiase – Bass

Steve Zimmerman – Drums