MeilensteineVergessene Juwelen

MILLA – The Divine Comedy

~ 1994 (SBK/EMI Records)  ~


Die Juliska, die Juliska aus Buda-Budapest
Das ist ein Mädel, die hält man sich fest
Und trinkt mit ihr Tokajer, bis sie sich mal küssen lässt.

Ok, das war jetzt die unnötigste Eröffnung aller Zeiten, da die Juliska hier Milla heißt, aus Kiew stammt und ich sie in diesem Leben wohl niemals festhalten, mit ihr trinken und sie schon gar nicht küssen werde. Aber mir war gerade so danach. Die Milla heißt übrigens Jovovich. WAAAAAS? Genau. „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“ (KRAFTWERK, 1978). So erging es mir auch, als ich wie ein dummer Junge zufällig über dieses Album im aktuellen Tori Amos-Fieber stolperte. Tja, und da sind wir endlich beim Thema.

As we stopped on this pavement
and saw your dying mind
Paper, for which you’re killing brothers life

Help you, we cannot touch you
We cannot understand
Your people’s proud destruction
Of their own land

Wer hätte gedacht, dass Milla nicht nur die Aufmerksamkeit von Sci-Fi- und Horrorfans mit Faible für toughe, schöne Heldinnen auf sich ziehen, sondern daneben auch noch ausgezeichnet singen kann. Und schreiben? Angeblich wurden sämtliche Songs (außer dem letzten Titel) von ihr schon in jungen Jahren komponiert, bis sie diese im Alter von 19 auf Tonträger gebannt hat. Gottseidank, muss man sagen und fällt sogleich in eine traurige Schockstarre, da sie diese Kunst nicht neben der hauptsächlichen Leinwand-Zombiekillerei weiter verfolgt hat. Denn diese Lieder haben es in sich.

 

 

Die kompositorische Güte, die Ausdruckskraft ihrer Stimme und die Ausführung lassen meine Gedanken mehr als einmal um die Klasse einer Kate oder Tori kreisen. Und dazu klingt das Ganze unverkrampft und ungekünstelt mit einer federleichten Art, die ihr wohl niemand zugetraut hätte. In unkitschig-poppigen Momenten kommt einem auch die Kunst einer Tanita Tikaram oder Sophie B. Hawkins in den Sinn.

Der Opener ´The Alien Song´ entführt uns bereits in Sphären der Melancholie, die man auch durch die Instrumentierung einem David Sylvian zuordnen würde. Doch Milla bleibt nicht bei düsterer Reflektion, sondern zeigt uns musikalisch alle Facetten des Lebens, wie das freudig-folkig umherspringende ´Gentleman Who Fell´ trotz seines ebenfalls nachdenklichen Textes direkt im Anschluss zeigt. ´It’s Your Life´ schwebt träumerisch auf einer Wolke reiner, positiver Energie und malt Portraits von Enya bis Sinead O’Connor. Ich lasse mich von ´Reaching From Nowhere´ durch New Age Landschaften von Friedemann bis Vollenweider treiben – alleine die Harfe fehlt noch zum absoluten Glück, dafür erblüht eine große Dynamik im emotionalen Ausbruch des Refrains durch Millas Stimme. Fantastisch.

What if we decide to break these walls?
This from me, the builder
Can we give this love a fair chance?
And only cease when it fades

And when I see your face
Locked in my memory
And you hold me
And I’m giving up to you

 

 

Eine federleichte, zarte Beobachtung eines gewissen ´Charlie´ bereitet uns vor auf den leicht melancholischen Spaziergang die ´Ruby Lane´ hinunter, Peter Gabriel Percussions, Streicher und folkiges Glück stets an unserer Seite.

Verdammt, warum klingt diese Platte so verdammt gut wie einst die Produktionen bei Kate Bush? Aha, mein alter Liebling Rupert Hine war nicht nur als Produzent und Arrangeur, sondern auch als Musiker an Tasten, Bass und Percussion mehrfach im Spiel, klar. Einen weiteren glasklaren Tori Amos-Moment beschert uns ´Bang Your Head´ (nein, auch hier keine Riffgitarren), ebenso auf der lyrischen Seite, gefolgt von der verspielten Kate Bush-Würdigung ´Clock´.

We are aging
soon to pass away
so cruel to never know, never know
never finish what was started

Time is getting colder
And I’m getting older, older
Where is the face that I knew before

Die Grenzen sind fließend, allein die Stimme von Frau Jovovich nimmt es tatsächlich mit beiden der großen Diven auf. Unglaublich. Was wäre wohl passiert, wäre Milla weiter bei Musik statt Zombiehatz geblieben… ? ´Don’t Fade Away´ streichelt die Ohren mit feinen Percussions, die erneut einem Peter Gabriel auf New Age-Wegen durchaus gemundet hätten. Bei diesem bewegungsfordernden Rhythmus fällt es wirklich schwer, sitzen zu bleiben und im Walzertakt geht’s beschwingt durch den nächsten Song mit leichten Folkanklängen, als ob er uns mit den Worten ´You Did It All Before´ zum Weitertanzen auffordern wollte. Am Ende präsentiert uns Milla mit ´In A Glade´ ein ukrainisches Traditional in ebendieser Sprache aus der Zeit, als Türken und Tataren im frühen 17. Jahrhundert daran scheiterten, sich die Ukraine einzuverleiben, was natürlich gerade in diesen Zeiten mehr als nachdenklich macht.

In the forest near the Danube river,
I am sick with my loneliness,
crying, I want to fly like a bird,
to where my lovely one is now

(English Translation – Courtesy of Richard Handal)

 

 

Ein unglaublich starkes Album einer Künstlerin, die von Musikfeinschmeckern nach Genuss dieses Gourmethappens nie wieder aufgrund einer Franchiserolle blächelt werden sollte. Filmfans mit erweitertem Horizont tun dies aufgrund echter schauspielerischer Leistungen weitab der Umbrella Organisation sowieso nicht. Da ich von ihren beiden Alben nur dieses kenne und das zweite, elektronische nicht legitim erschien, darf man hier getrost die Klassikerkarte ziehen.

 

facebook.com/MillaJovovich

www.millaj.com