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TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS – Live At The Fillmore 1997

~ 2022 (Warner Music) – Stil: Heartland Rock ~


Die Legende

Nicht eine Show, sondern 20 Shows hintereinander spielten TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS 1997 im „Fillmore“ in San Francisco, in dem seit den Sechzigerjahren die Crème de la Crème der Rockwelt auftrat, von Jimi Hendrix und Otis Redding bis THE WHO, LED ZEPPELIN und CREAM.

Tom Petty hatte den gewöhnlichen Kreislauf des Musikerlebens satt und wollte diesem schleunigst entrinnen. „Ich möchte nur spielen“, sagte er, „und dem Land der Videos und Schallplatten für eine Weile entfliehen. Wir wollen zu dem zurückkehren, was wir verstehen. Wir sind Musiker und wir wollen spielen. Wir haben in den letzten fünf Jahren so viele Platten gemacht, ich denke, das Beste für uns ist, einfach rauszugehen und zu spielen.“

Nachdem Tom Pettys Management und das „Fillmore“ eine Reihe von Shows vereinbart hatten, gab es Tickets für zehn Shows im hauseigenen Shop zu erstehen. Dieses anzahlmäßig zurückhaltend angesetzte Ticketkontingent war allerdings umgehend ausverkauft, so dass weitere Shows angesetzt wurden. Letztlich waren 20 Shows postwendend „sold out“.

TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS wollten sich vom 10. Januar bis zum 7. Februar 1997 den Spaß zurückholen, den sie zuletzt so schmerzlich vermisst hatten. Sie hatten seit über einem Jahr nicht mehr live gespielt und wollten keinesfalls das starre und feste Programm all der Arena-Shows wiederholen. Vor der Abreise nach San Francisco hatten sie sich in den Proben eine Setlist mit 57 Songs zurechtgelegt.

„Es ist lange, lange her, dass sich alle mit irgendetwas beschäftigt haben – einfach nur zu spielen und eine Band zu sein“, so Tom Petty. „Wir werden viele Coverversionen spielen und wir kennen viele Songs. Es wird eher wie unsere Soundchecks sein, bei denen wir spielen, was uns gefällt. Aber wir werden einige unserer Hits spielen – die mögen wir natürlich auch.“

 

Die Shows

Am Ende der Fillmore-Shows hatten TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS 85 verschiedene Songs gespielt, präsentierten zumindest jeden Abend einen weiteren Song. Dabei integrierte die Band massenhaft Oldies der British Invasion, von den KINKS, ROLLING STONES und ZOMBIES, spielte Songs von Elvis, Bo Diddley oder Ricky Nelson.

Sie bewegten sich in den vergessen geglaubten Tonfolgen amerikanischer Musik, sie mischten sie mit akustischem Country-Rock und Sounds der britischen Invasionszeit, gedachten ihrer eigenen Helden mit Respekt und begaben sich somit auf eine Reise in die Vergangenheit.

„Es gibt nicht mehr viele amerikanische Gruppen, die diese Musik spielen können“, bemerkte Tom Petty beiläufig. Ungewöhnlich war bei dieser Aktion gleichsam, dass sich eine Formation zu ihren Wurzeln zurückbegibt und neue Wege einschlägt, ohne ihr Ansehen dabei zu verlieren, es vielmehr noch zu steigern.

Nacht für Nacht erweiterten sie ihr Repertoire und nannten sich bereits die Fillmore-Hausband. „Die zweite Nacht“, sagte Petty später, „war vielleicht eine meiner besten Nächte … überhaupt. Tatsächlich lief es so gut, dass ich dachte, die Sicherung würde durchbrennen“, obwohl stattdessen irgendjemand im Zuschauerraum einen Kanister Pfefferspray öffnete und somit aus anderen Gründen für eine Unterbrechung der Show sorgte.

Tom Petty wollte schlichtweg Gitarre spielen und spielte Solo auf Solo, so dass Gitarrist Mike Campbell bereits witzelte: „Ich dachte, ich wäre der Leadgitarrist.“ 

Die Shows entwickelten sich derart gut, dass TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS sogar begannen, Gäste einzuladen: Rockabilly-Legende Carl Perkins, Roger McGuinn von den BYRDS und Delta Blues-Ikone John Lee Hooker.

Die letzte Nacht geriet mit einer dreistündigen Show schließlich zum Nonplusultra ihrer Fillmore-Tage. Über 40 Songs, ansonsten waren es meist 30, fassten nochmals auch die zuvor gespielten Showhöhepunkte zusammen.

 

Das Vermächtnis

Glücklicherweise hatten sie in den letzten Tagen ihres Aufenthalts in San Francisco einen Aufnahmewagen angemietet und nahmen die letzten sechs Nächte im „Fillmore“ professionell auf. Die Ausbeute dieser Aufnahmen liegt 25 Jahre später mit der Veröffentlichung von ´Live At The Fillmore 1997´ vor, einer 6 LP-Box (oder ein 4 CD-Set) mit über vier Stunden Musik.

Das Vermächtnis dieser „Fillmore“-Tage sind sagenhafte 58 Tracks, darunter viele ihrer Hits in neu arrangierten Versionen und imposante 35 Coverversionen. Angesichts der vielen Fremdkompositionen und Improvisationen wird die Begeisterung über diese authentische und intensive Box selbst bei der eingefleischten Anhängerschaft riesig sein. Denn wenn die heißeste Fillmore-Hausband aller Zeiten aufspielt, wäre schließlich jeder liebend gerne dabei gewesen.

Die beeindruckende Leidenschaft dieser Musiker geht auch im Genuss via Konserve nicht verloren, so dass ´Live At The Fillmore 1997´ – auch wenn sich die Lieder aus den einzelnen Showtagen im „Fillmore“ speisen – früher oder später als eines der größten Live-Werke der Geschichte gepriesen werden dürfte.

Auf solch einem scheinbar mit aller Leichtigkeit feurig dargebotenen Niveau bewegten und bewegen sich nur die größten Gruppen auf dieser Erde. Allein der Umstand, dass Tom Petty nicht mehr unter uns weilt und somit auch eine der großartigsten amerikanischen Bands, lässt eine sentimentale Stimmung aufkommen. Doch die Stunden von ´Live At The Fillmore 1997´ werden noch jahrzehntelang für Begeisterung und Glückseligkeit sorgen. 

Obgleich die Lieder nicht chronologisch oder tageweise präsentiert werden, ist ein pausenloses Konzerterlebnis gegeben, das aufgrund der Anordnung aller Lieder zudem einem gewissen Spannungsaufbau folgt.

 

Die Lieder

Dass diese intensiven vier Stunden mit TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS eine echte Rock ’n’ Roll-Show werden würden, davon spricht sogleich die Eröffnungsnummer ´Around And Around´ von Chuck Berry auf Seite 1. Doch die Heartland-Rocker schieben umgehend den Opener ihres siebten Studioalbums ´Jammin‘ Me´ nach, den Petty und Campbell mit Bob Dylan geschrieben hatten.

Das Feuer im Herzen der Musiker und in ihren Instrumenten brennt lichterloh und wird mit einem ausgelassenen ´Runnin‘ Down A Dream´ von Tom Pettys erstem Soloalbum aufrechterhalten, bei dem Petty das Gitarrensolieren gar nicht beenden mag. Es folgt mit Little Richards äußerst lebendig dargebotenem Evergreen ´Lucille´ ein weiterer Tribut an die eigenen Helden. Sogar der Blueser ´Call Me The Breeze´ von J. J. Cale wird an diesem Abend zum Rock ’n’ Roller mit ordentlichem Klavierklimpern.

Mit einem energischen ´Cabin Down Below´ von Tom Pettys zweitem Solo-Album ´Wildflowers´ wird die Seite 2 eröffnet, abgelöst von einem herausgeschmetterten ´Time Is On My Side´, das bereits die „Soul Queen of New Orleans“ Irma Thomas und 1964 die ROLLING STONES für ihre Zwecke nutzten, sowie ´Listen To Her Heart´, vom zweiten TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS Album.

Für die notwendige Rock ’n’ Roll-Stimmung sorgt Ricky Nelsons ´Waitin‘ In School´ und Mike Campbell mit seiner Instrumental-Version von ´Slaughter On Tenth Avenue´, die sich sehr an die der VENTURES hält. Daneben reibt sich der Rock von ´The Date I Had With That Ugly Old Homecoming Queen´ samt Mundharmonika und Gitarrenjaulen mächtig an LED ZEPPELIN.

Tom Pettys beinahe unplugged vorgetragenes ´I Won’t Back Down´ singt das gesamte Publikum zu Beginn der Seite 3 johlend mit. Auch den Country-Klassiker ´You Are My Sunshine´ singt oder summt das Publikum zur Mundharmonika mit, begleitet vom nächsten Sonnenschein, dem 1971er und oft nachgespielten ´Ain’t No Sunshine´ von Bill Withers, ehe sich TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS gänzlich fallen lassen und ´It’s Good To Be King´ von ´Wildflowers´ in einer Zwölf-Minuten-Version darbieten, mit erquickenden und gefühlt endlosen Instrumentalpassagen.

Samstagnacht geht die Rock ’n’ Roll-Show – auf Seite 4 – mit Little Richards ´Rip It Up´ erfrischend leicht und leidenschaftlich heiß weiter. Abermals von Tom Pettys ´Wildflowers´ wird ´You Don’t Know How It Feels´ dargeboten und regt zum Mitsingen an. Bevor Bo Diddleys ´Diddy Wah Diddy´ die Menge gründlich in seinen Groove zieht und Tom Petty schmunzelnd Bo Diddley als Präsidentschaftskandidaten vorschlägt, spielen TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS noch genüsslich J. J. Cales ´I’d Like To Love You Baby´.

Der nächste instrumentale Lieblingssong von Mike Campbell heißt ´Guitar Boogie Shuffle´ und stammt ursprünglich von Arthur Smith. Die Männer graben sogar jeden Abend für ihren Auftritt im Fillmore die großartige B-Seite ´I Want You Back Again´ der ZOMBIES aus.

Nicht ganz so alt, aber ebenso antiquarisch ist ´On The Street´ zum Einstand von Seite 5, das sie ursprünglich 1974 in Pianist Benmont Tenchs Wohnzimmer aufnahmen als die Eltern gerade außer Haus waren.

´California´ singt Tom Petty noch selbst, wohingegen er den Lead-Gesang beim flotten Bluegrass ´Little Maggie´ Gitarrist Scott Thurston überlässt. Nach einer schönen Version von ´Walls´ aus dem neunten Studioalbum der Band, surft sich Mike Campbell wieder durch einen ´Hip Hugger´ von Al Jackson und Booker T. Jones und die Band durch die mühelos dargebotene Version des GRATEFUL DEAD-Classics ´Friend Of The Devil´.

Plötzlich ruft jemand aus den Zuschauerreihen ´Heartbreakers Beach Party´. Eine nicht überraschende Eingabe, da TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS auch Songs auf Zuruf spielen. Doch diese nie veröffentlichte B-Seite für ein MTV-Special aus 1983 stellt die Band auf Seite 6 vor neue Herausforderungen. „In welcher Tonart ist das, Benmont?“, fragt Petty Keyboarder Tench und beginnt ohne zu zögern, das schlichte Lied mit Hilfe des Publikums anzustimmen.

Nach dieser Ausgelassenheit tönt ´Angel Dream´ gänzlich dramatisch und ´The Wild One, Forever´ vom Debüt beinahe theatralisch. Denn beim Auftritt im Fillmore befreien sich die Heartlander schlicht von allem Ballast und präsentieren ´Even The Losers´ aus ihrem Durchbruchswerk ´Damn The Torpedoes´ sowie ´American Girl´ aus dem Debüt unter lautstarkem Jubel und frenetischem Mitgrölen. Eine mächtige Version von ´You Really Got Me´ der KINKS hält den Adrenalinspiegel allerdings weiter hoch. Gitarrist Mike Campbell startet jedoch umgehend seine nächste Surf-Gitarren-Darbietung mit der berühmten Titelmelodie ´Goldfinger´.

Für drei Abende hatten TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS zur Show-Eröffnung Roger „Jim“ McGuinn von den BYRDS für akustische Solo-Auftritte gebucht, holen ihn allerdings auch zu sich auf die Bühne, um mit ihm auf Seite 7 ´It Won’t Be Wrong´ vom zweiten, den Country-Song ´Drug Store Truck Drivin’ Man´ vom siebten BYRDS-Werk und eines der berühmtesten Lieder von den BYRDS, das legendäre ´Eight Miles High´ zu spielen.

Da die Fremdkompositionen gerade so wunderbar von der Hand gehen, schieben sie den Bob Dylan-Song ´You Ain’t Goin‘ Nowhere´ und das nächste J. J. Cale-Cover ´Crazy Mama´ mit Mike Campbells Wah-Wah-Pedale gleich hinterher. Den Surf-Gitarren-Abschluss leitet abermals Campbell mit dem instrumentalen Soul-Klassiker ´Green Onions´ von BOOKER T. & THE M.G.’s ein.

Der rüstige Blueser ´High Heel Sneakers´ startet die Show auf Seite 8. Noch authentischer wird es jedoch, als John Lee Hooker, der letzte Delta Blueser, aus seinem Nachtclub von der gegenüber liegenden Straßenseite ins Fillmore schreitet und mit TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS sein ´Find My Baby (Locked Up In Love Again)´ anstimmt. Nach nur einem Lied lassen sie ihn allerdings nicht wieder von den Brettern, so dass die Zuschauer noch in den schweißtropfenden Genuss von ´Serves You Right To Suffer´ und den legendären Bluesstandard ´Boogie Chillen´ in einer wilden und ausgedehnten acht Minuten Version kommen, bei der Tom Petty von John Lee Hooker an die Mundharmonika gerufen wird. Im Anschluss rock’n’rollt noch die Proto-Soul-Nummer ´I’ve Got A Woman´ von Ray Charles unaufhaltsam durch das Fillmore.

„Wir alle glauben, dass dies der Höhepunkt unserer gemeinsamen Zeit als Gruppe sein könnte. Es wird schwer, uns heute Abend von der Bühne zu bekommen,“ teilt Tom Petty dem Fillmore-Publikum mit und schmettert auf Seite 9 eine äußerst lebendige Version von ´Knockin‘ On Heaven’s Door´ in die Menge. ´Honey Bee´ von Tom Pettys in der Setlist äußerst beliebten ´Wildflowers´ dreht die Gitarrenkräfte hernach nochmal auf, doch die pure Energie sprudelt aus der JOHN MAYALL & THE BLUESBREAKERS-Adaption ´Another Man´. Als ´County Farm´ wird der Folk-Song zu einer wahnsinnig tollwütigen, achtminütigen Bestie.

Wiederholt bedienen sich TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS auch auf Seite 10 mit einer abgeänderten und ausgedehnteren Version von ´You Wreck Me´ aus Tom Pettys ´Wildflowers´-Album. Denn Tom Petty lebt mit einem Rock ’n’ Roller wie ´Shakin‘ All Over´ von JOHNNY KIDD & THE PIRATES nicht nur seine Jugendträume neuerlich aus, sondern entdeckt auch wieder sein eigenes Liedgut und rockt sich weiterhin fröhlich durch ´Free Fallin’´ von seinem Solo-Debüt ´Full Moon Fever´.

In den nächsten Rock-Rausch spielen sie sich mit der mittelalten Single ´Mary Jane’s Last Dance´, die sie auf die doppelte Spielzeit, auf zehn Minuten ausdehnen. Erst schenkt die Komposition den gewohnt melancholischen Einblick in ihr Seelenleben, doch dann kommt es zum großen Gitarrenduell wie in besten Southern Rock-Tagen.

Schlag auf Schlag nähert sich die Rock ’n’ Roll-Show ihrem Ende. TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS haben auf Seite 11 unheimlich viel Spaß, mit Chuck Berrys Rock ’n’ Roll-Klassiker ´Johnny B. Goode´ die Menschenmenge nochmals anzustacheln, legen mit dem bekanntesten ROLLING STONES-Ohrwurm ´(I Can’t Get No) Satisfaction´ entschlossen nach und haben sogar den einst von den ROLLING STONES adoptierten Song ´It’s All Over Now´ in der Hinterhand, um mit dem weltbekannten Rhythm-&-Blues-Song ´Louie Louie´ von Richard Berry die Leichtigkeit des Rock ’n’ Roll in den Himmel zu tragen.

Der THEM-Hit ´Gloria´ von Van Morrison weitet sich von Nacht zu Nacht immer mehr aus. Selbst beim letzten Konzert von TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS will der Song aus dem Jahre 1964 als Abschluss aller Live-Shows im Fillmore auf Seite 12 nicht unter zehn Minuten enden. Das kurze ´Alright For Now´ aus ´Full Moon Fever´ wird dagegen zum allerletzten Song, zum Gutenachtlied.

„God bless you“ and ´Goodnight´.

(Klassiker)

 


Das Vinyl-Box-Set

Die 6 LPs sind in einer Box mit einem 24-seitigen (12″ x 12″) Booklet
(samt unveröffentlichter Fotos),
drei speziell angefertigten Gitarrenplektren,
einer Replik des All Access-Laminats,
Reproduktionen von drei Setlisten,
einem Nachdruck des 1997 veröffentlichten 8-seitigen Fan-Newsletters und
einem gestickten Aufnäher (»The Fillmore House Band«) verpackt.

 

https://www.facebook.com/tompetty/