PlattenkritikenPressfrisch

ALICE IN CHAINS – Dirt

~ 1992/2022 (Sony Music) – Stil: Grunge/Alternative Metal/Sludge Metal/Hardrock ~


ALICE IN CHAINS aus Seattle gelten auch heute noch praktisch als die Erfinder des Dark Alternative Metal und schienen 1992 mit ihrem Zweitwerk ´Dirt´ auch zweifellos auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angekommen zu sein. Das Album wurde nicht nur von Kritikern frenetisch aufgenommen, sondern heimste sogar gleich viermal Platin ein, und wie schon das Debüt ´Facelift´ von 1990 wurde es von Dave Jerden produziert, wobei die Songs laut Aussage von Gitarrist Jerry Cantrell hauptsächlich „auf der Straße“ geschrieben wurden, bevor die Band damit ins Studio ging.

Es besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass das Material durchgehend sehr düster wirkt und Themen wie Depression, Krieg, Tod, Nihilismus und insbesondere Drogenmissbrauch in den größtenteils morbiden Texten gründlich untersucht werden, durch die methodisch-düstere und doomige Musik angemessen ergänzt. Leadsänger Layne Staley war mitten in seinem ständigen Kampf gegen Drogenmissbrauch, und auch die anderen Bandmitglieder kämpften mit diversen chemischen Abhängigkeits- und Depressionsleiden, und sie scheuten sich nicht, diese auch angemessen auf diesem Album preiszugeben.

 

 

Das Album ist prall gefüllt mit Lobgesängen auf den Schmerz – und Staley steckt dabei ganz besonders tief in seiner eigenen Scheiße. So ist ´Junkhead´ beispielsweise gleichzeitig eine Ode an das Heroin als auch eine spöttische Abweisung der Normalos, die die Welt ohne Drogenkonsum ohnehin nie wirklich begreifen werden. Der Refrain „Was ist meine Lieblingsdroge?/Nun, was hast du?/Ich gehe nicht pleite/Und ich mache es oft“ wirkt geradezu erschreckend feierlich, vorgetragen wie die Abschiedsrede eines 25-Jährigen alternden Rockstars, der den absoluten Höhepunkt der durch Ruhm angetriebenen Sucht bereits erreicht hat.

Aber ´Dirt´ gleicht vor allem auch schwere Rockklänge mit perfekt strukturierten Akustiknummern aus, und brachte mit ´Them Bones´, ´Down In A Hole´, ´Rooster´, ´Angry Chair´ und ´Would?´, sogar gleich fünf Single-Auskoppelungen hervor, wobei der letztgenannte Song in Erinnerung an Andrew Wood, den Leadsänger der Band MOTHER LOVE BONE geschrieben wurde, der 1990 an einer Überdosis Heroin gestorben war.

Als eines der eindeutigen Highlights unter den zahlreichen Höhepunkten dieses Albums enthält die Ballade ´Down In A Hole´ Gitarren ganz im Stile der Achtziger und besticht vor allem durch einen sehr langsamen Drumbeat, wobei die gesamte Bewegung den Gitarren und dem Bass überlassen wird. Cantrell zögerte zunächst, den Song der Band vorzustellen, da er das Gefühl hatte, er sei zu „weich“, erhielt dann aber überraschenderweise doch positive Resonanz von Seiten der anderen Bandmitglieder.

 

 

Der Titelsong ist hingegen ein besonders schwerer Depro-Rocker, wobei Cantrells Opiumhöhlen-Riffs die Intensität, wie mit einem gruseligen Stöhnen, geradezu verdoppeln – ein trostloses psychedelisches Requiem a la BLACK SABBATH als Teil der Prozac Nation.

Auch ´Rooster´ baut sich langsam und stimmungsvoll mit tiefen chorusgesättigten Gitarren auf, die später durchdringenden und verzerrten Saitenklängen Platz machen, und der ständige Wechsel zwischen den verträumten Strophen und wogenden, explosiven Refrains zeigt erneut das ausgewiesene Mastership, das der Band mit diesem Werk gelungen war.

´Rain When I Die´, ein zweifelloses Stoner Rock-Juwel, hat einen intensiven Bassanfang, einen seltsamen Rhythmus und geradezu maßlos tiefe, doomige Gitarren während des langen Intro-Parts, bevor es in ein sich wiederholendes Gitarrenriff übergeht, das einen noch viel unheilvoller in seinen tranceartigen Taumel zieht.

Aber auch ´Sickman´, mit seinem fast schon mechanischen Drumbeat, fällt zunächst in dieses Schema, bevor es in einem langsamen, walzerartigen Break mündet. Es wiederholt dieses Muster und erweitert den langsamen Teil während der Bridge mit einigen großartigen Brian May-artigen Gitarreneinlagen.

ALICE IN CHAINS verschmolzen auf ´Dirt´ jedenfalls auf brillante Weise niederwälzenden „Seattle Grunge“, einige Überbleibsel des Pop-Metal, und Staleys grenzenlosen Selbsthass zu einem regelrechten Hardrock-Koloss! Es ist das elementarste Album dieser berühmten Ära, das sich mit bluesigem und biblischem Ernst den großen Fragen des Lebens stellt: Klassiker!

(10 Punkte)

https://www.facebook.com/aliceinchains