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PAUL McCARTNEY – McCartney I II III

~ 2022 (Universal Music) – Stil: McCartney ~


Für den Sammler werden endlich die drei Solo-Scheiben von Sir James Paul McCartney, die er allesamt alleine geschrieben, eingespielt und produziert hat, auf Vinyl (Colour oder Black) sowie auf Silberlingen in Box-Sets zusammengefasst angeboten. Die erhältlichen Sets enthalten obendrein spezielle Fotodrucke mit Pauls Notizen zu jeder Scheibe, während das neue Gesamtcover und die Typografie auf Ideen von Ed Ruscha zurückgehen.

Die Alben ´McCartney I´ von 1970, ´McCartney II´ von 1980 und ´McCartney III´ von 2020 markieren besondere Eck- und Wendepunkte in der Karriere des Ex-Beatle. Ihnen allen ist gleich, dass er sie im völligen Alleingang konzipiert und fertiggestellt hat. Als einer der einflussreichsten Künstler der Musikgeschichte hielt er zwar jeweils nur einen Moment seines Lebens fest, doch dessen Nachhall sollte immenser sein als der von anderen Musikern.

1970 schreibt ein Musikproduzent der 14-jährigen Marianne Rosenberg den Teenie-Hit ´Paul McCartney´ auf den Leib: „Mr. Paul McCartney, weißt du wie ich leide, ohne Wort von dir bin ich einsam. Mr. Paul McCartney, mach mir doch die Freude, denk doch bitte auch einmal an mich.“ Zwei Jahre später lässt sie sich ihre Single sogar auf einem Konzert in der Deutschlandhalle von Sir Paul signieren, doch im Laufe der Jahre geht ihr die Single verloren.

Mr. Paul McCartney höchstpersönlich arbeitet, derweil die Welt der Auflösung der BEATLES hinterhertrauert, seit Ende 1969 mit einem Vierspurrekorder an seinem ersten Solo-Album. Er gründet mit seiner Ehefrau Linda eine Familie und widmet sich im Schmerz über die Trennung der Fab Four neuer Musik.

Mit dem Aufnahmerekorder im Wohnzimmer entsteht die erste Home-Produktion. Das Zeitalter der Wohnzimmer- und Schlafzimmer-Aufnahmen beginnt in diesem Moment. Paul McCartney spielt für ´McCartney I´ Bass, Schlagzeug, Gitarre, Klavier, Mellotron und Xylophon selber ein. Unterstützung erhält er bei einigen Background-Gesängen von seiner Frau Linda. Im Februar 1970 nutzt er allerdings auch drei Tage lang ein professionelles Achtspuraufnahmegerät in den „Morgan Studios“, nimmt an einem Tag obendrein zwei Songs im Studio 2 der „Abbey Road Studios“ auf und mischt das Werk an einem weiteren dort ab.

´McCartney I´ ist eine Bestandsaufnahme, die den nie als Single veröffentlichten Klassiker und Hit ´Maybe I’m Amazed´ sowie ebenfalls fünf Instrumentals enthält. Die Akustiknummer ´Junk´ entstammt sogar den „White Album“-Sessions und ´Teddy Boy´ aus denen von ´Get Back´. Diesen Umstand immer wieder anschneidend, sprechen viele Kritiker selbst heute noch dem Solo-Material von Paul McCartney unberechtigterweise ein Gehalt von BEATLES-Ausschussware zu. Die künstlerische Brillanz des Meisters muss in diesem Falle jedoch in vereinzelt unfertig wirkenden Songs und einer organischen sowie natürlichen Wohnzimmerproduktion erkannt werden. Die schiere Verzweiflung ist aus ´Maybe I’m Amazed´ abzulesen, die Verarbeitung von Narben hinterlassenden Gefühlen aus der Unfertigkeit. Letztlich macht die Stimmung auf ´McCartney I´ die Musik.

Zehn Jahre später geht eine weitere Ära zu Ende. ´McCartney II´ markiert im Jahre 1980 das Ende der WINGS, dem erfolgreichen Projekt von Paul McCartney, seiner Ehefrau Linda, Denny Laine und weiteren Musikern. Der zweite, völlige Alleingang entsteht im Juni und Juli 1979 auf McCartneys Farm in Schottland mit einer Sechzehnspurmaschine sowie im „Spirit of Ranachan“-Studio in Campbeltown. Erneut komponiert und spielt er alles selber ein, übernimmt selbstredend ebenso die Produktion. Die finale Abmischung der Lieder erfolgt schließlich unter der Mithilfe von Eddie Klein im September und Oktober 1979 in den „Abbey Road Studios“.

Den angeblich kommerziellen Selbstmord verhindert jedoch die Plattenfirma, da nur elf der ursprünglich 19 Lieder eines geplanten Doppelalbums freigegeben werden. Dabei bewegt sich die Musik bereits in ihrer komprimierten Form abseits der gängigen Normen.

´McCartney II´ ist äußerst skurril und kein gewöhnliches Rock-Werk, sondern wandelt auf Electronica-/New Wave-Bahnen und gibt dem Indie Rock einige Ratschläge mit auf den Weg. ´Coming Up´, ´One Of These Days´ und ´Waterfalls´ zählt der gewöhnliche Paul McCartney-Anhänger zu den Evergreens, ´Temporary Secretary´ und ´Front Parlour´ hingegen nur der waghalsige und experimentelle.

Bis zur Entstehung der dritten Home-Recording-Sessions vergingen keine weiteren zehn, sondern 40 Jahre. Ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Solo-Werk erscheint ´McCartney III´. Der 78-jährige kann nicht auf Tournee gehen und nutzt den britischen „Rockdown“, um in seinem Haus in Sussex neue Songs zu schreiben und aufzunehmen. Paul McCartney wendet sich in diesen Tagen gleichwohl nicht dem großen Experimentieren zu. Dennoch wird abermals von halbfertigen Tracks oder von Amateuraufnahmen geredet, ohne den Meister jemals verstanden zu haben.

Schlussendlich ist ´McCartney III´ die beabsichtigte Momentaufnahme eines erfahrenen Künstlers mit dem geübten Blick in die Vergangenheit. Folkloristische und Rock’n’Rollige Klänge aus ´Abbey Road´-Tagen oder surrealistische und Hippie-eske Gedanken prägen die Kompositionen, die Bilder von Langschwanzenten, Snowboardern und Skifahrern, Fährrädern und Rollern, Bilder von der küssenden Erde und Venus, mietbaren Jungs und männlichen Models hervorrufen.

 

 

Begabung und Können zeigen sich auf ´McCartney I II III´ tollkühn und meisterhaft hoch drei.

 

https://www.facebook.com/PaulMcCartney


(VÖ: 05.08.2022)