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CALIFONE – Roots & Crowns

~ 2006/2022 (Thrill Jockey) – Stil: Post Rock/Blues/Folk/Experimental ~


Mit jedem ihrer Vorgängeralben, vom folkigen Epos ´Quicksand/Cradlesnakes´ bis hin zum geradezu alptraumhaften ´Heron King Blues´, fanden CALIFONE aus Chicago immer wieder neue Wege, um einzigartige amerikanische Traditionen wie Appalachen-Folk, Bluegrass und Delta-Blues durch Effekte und seltsame Instrumentierung gekonnt zu filtern und damit fast schon ein völlig neues Genre zu erschaffen. ´Roots & Crowns´ war schließlich eine Erweiterung dieses Konzepts und der damit einhergehenden Praxis, aber es ist gleichzeitig auch so etwas wie die Perfektion davon – oder zumindest so nah man ihr mit derartigen Abstraktionen und Dekonstruktionen überhaupt kommen kann.

Brian Deck, langjähriger Sound-Engineer, ehemaliges Mitglied der Vorgängerband RED RED MEAT und eben auch Teilzeit-Perkussionist bei CALIFONE, ist dabei hauptverantwortlich für die Orchestrierung der markanten Loops und Quietschgeräusche, und er fügt die unterschiedlichen synthetisierten Bits schließlich zu zusammenhängenden Bildern zusammen.

Textlich bevorzugt Gitarrist/Sänger und gleichzeitiger Mastermind Tim Rutili hingegen winzige, imaginäre Vignetten gegenüber narrativen Bögen, und die Songs lesen sich eher wie Prosagedichte als wie Geschichten, was angesichts der hyperfragmentierten Klangcollage von CALIFONEs Instrumentierung auch einen gewissen Sinn ergibt.

 

 

Grundsätzlich behält ´Roots & Crowns´ jedoch den gleichen Ansatz bei wie auf allen früheren Alben der Band, nur eben mit dem bis dato zufriedenstellendsten Ergebnis. Es ist stromlinienförmiger als ´Quicksand/Cradlesnakes´, wesentlich direkter als etwa ´Roomsound´ und wirkt weit nahtloser vereint als ´Heron King Blues´, das in seinen Übergängen fast schon bipolar wirkte.

Von der rumpelnden Handperkussion, die ´Pink & Sour´ eröffnet, entwickelt sich auch gleich ein vertraut seltsamer Klang, mit Gitarrengekratze, seltsamen, psychedelischen Slide-Riffs und den surrealistischen Stream-of-Consciousness-Texten Rutilis. Beim eher einfach gehaltenen ´Spider’s House´ entsteht gar ein BEACH BOYS-ähnlicher Rhythmus, ein weiteres Highlight, unterstützt durch die fröhliche Hinzufügung einer Bläsersektion.

Songs wie ´Sunday Noises´ sind jedoch die Ausnahme, einer der wenigen Songs, in denen eine Refrain-Linie gilt, wie auch in ´A Chinese Actor´, ein flockiger, lauter Rocker mit Handklatschen, einer tanzbaren Drum-Machine und einigen Feedbackstürmen. Eine Cover-Version findet ebenfalls ihren Weg in das Album, nämlich ´The Orchids´ von PSYCHIC TV, das in seiner brillanten Interpretation funkelnd und wunderschön zugleich geworden ist.

´Roots & Crowns´ ist bluesig und gefühlvoll, ohne dabei auf jeglichen Revival-Schick zurückzugreifen, aber genauso sehr auch höchst experimentell, ohne sich auf irgendwelche blinden Cuts zu verlassen. CALIFONE haben ihren Sound weiter verfeinert, an einigen Stellen vereinfacht, an anderen Stellen ausgearbeitet, was ihre zerlumpte Verspieltheit sogar noch weiter in die Höhe getrieben hat. Ein Album, das zutiefst von seinen Wurzeln geprägt ist, und jeder Song nimmt dieses lang zurückliegende Erbe auf und krönt es mit manchmal kunstvoller Verzierung, manchmal nur einem subtilen Hauch von diesem oder jenem.

(8,5 Punkte)

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