Livehaftig

PROPHECY FEST 2021

~ A DUNGEON IS CALLING ~


Noch sehr gerne denke ich an meine Premiere in der Balver Höhle von 2019 zurück. Die sagenhaft gruftige Atmosphäre, lecker Pommes, Currywurst und Bier, aber vor allem jedoch zahlreiche fantastische Live-Auftritte, die noch lange nachwirken sollten. Ob nun der enervierende Prog Metal von DISILLUSION, der schwindelerregende Todesmetall von TCHORNOBOG oder der betörende Shoegaze-Black Metal ALCESTS, um hier nur einige zu nennen. Das war künstlerisches Schaffen in der High-End-Version, wie so vieles andere auch, was das famose Label „Prophecy“ aus der Südeifel bislang hervorgebracht hat. Es war mein letztes Festival vor Ausbruch der Pandemie – und es sollte auch wieder das erste sein. A Dungeon is calling. Again!

Das Buch präsentiert eine wunderschön illustrierte Label- und Festival-Historie sowie vier Compilation-CDs

Ich hatte bis kurz vor Festivalbeginn ehrlicherweise noch fest daran gezweifelt, ob es überhaupt stattfinden wird. War es bei der aktuellen Inzidenz von 142+ im Märkischen Kreis denn überhaupt möglich, die hygienekonformen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen? Wie sich herausstellen sollte, war es Martin Koller & Co. tatsächlich gelungen, eine geradezu „außergewöhnliche Unterstützung“ der Behörden auf ihre Seite zu ziehen und somit eine sicheres Gesundheitsumfeld für die Veranstaltung zu ermöglichen. Ein besonderes Lob geht vom Label und Veranstalter dafür zudem an das Ordnungsamt Balve und das Gesundheitsamt Märkischer Kreis. Meine festivalfreie Zeit war zumindest für zwei Tage vorüber.

Aus dem Billing von 2019 war lediglich Markus Stock mit seinen beiden Projekten EMPYRIUM und SUN OF THE SLEEPLESS vertreten, und auch ansonsten liest sich die Besetzung einmal mehr wie das Who is Who des einflussreichen Plattenverlags von der Mosel. Darunter außerdem viele Bands, die man auch unabhängig von der Pandemie schon länger nicht mehr bei uns bewundern durfte, wie etwa ST. MICHAEL FRONT, KLIMT 1918, oder DORDEDUH, die zudem in einer Special-Show ihre Vergangenheit bei NEGURA BUNGET würdigen werden.

 

 

 

DORDEDUH perform NEGURA BUNGET

Unzählige Baustellen und damit verbundene Staus während meiner rund 300km langen Fahrt, machten es mir unmöglich, rechtzeitig zum Festival-Tagesstart vor Ort zu sein. Aber den mir am meisten am Herzen liegenden Gig konnte ich dann zum Glück dennoch in seiner vollen Länge sehen.

Die Schwarzmetall-Prog-Rocker DORDEDUH performen Songs ihrer Ex-Band NEGURA BUNGET! Songs also, die sich aufgrund der stilistischen Verschiedenheit, zumindest größtenteils, nie im regulären Set der fünf Rumänen finden werden. Sänger und Gitarrist Hupagrammos weist während des Sets auch ausdrücklich darauf hin, dass die heutige Show rein gar nichts mit den aktuellen Werken von NEGURA BUNGET zu tun habe, sondern ausschließlich Material unter seiner Beteiligung präsentiert wird.

Mit dem urtümlichen und ausdrucksstarken Sound NEGURA BUNGETs sorgt DORDEDUH schließlich für eine Reihe von tiefen Schatten und brillant leuchtenden Highlights, die die traditionell eisige Wut des Black Metal immer wieder durch eine warme, organische Erkundung von Stimmung und Atmosphäre, Licht und Schatten ersetzt. Dabei liefern die Gitarren nur wenig an offenkundiger metallischer Kraft, sondern eher ein Gefühl von Ehrfurcht, das hauptsächlich dazu dient, die mürrischen Folk-Melodien, ätherischen Tasten und den qualvollen Gesang zu verstärken.

DORDEDUH präsentieren heute insgesamt sechs Stücke aus ihrem früheren Song-Arsenal, darunter ´Cunoașterea Tăcută´, ´Norilor´, ´Pohvala Hulă´ und ´Țesarul De Lumini´ – größtenteils überlange, ausschweifende Manifestationen von höchster musikalischer Qualität, wobei speziell der Eröffnungssong sehr nahe an den Prog-/Psychedelic-BM DORDEDUHs erinnert.

Die Band verwendet teilweise auch Fremdinstrumente, der Rest wird durch den vielseitigen Einsatz prominenter Keyboard-Parts bereitgestellt. Die Drums hämmern mit ritueller Inbrunst Stammes-Rhythmen und ihr kompliziertes Spiel passt mit bewundernswerter Zurückhaltung zur gesamten Power und serviert jedem Song seine beste Wirkung, während die Band kühn die Grenzen des atmosphärischen Black Metal überschreitet.

DORDEDUHs knapp 50-minütiger Set neigt sich schließlich allzu schnell dem Ende zu, die Band nimmt den Applaus und die Lobeshymnen des Publikums mit einer schüchternen, fast zurückhaltenden Haltung entgegen und liefert somit eine raffinierte und tränenreiche Darstellung von kulturellem Ausdruck und künstlerischer Gelassenheit.

 

ARTHUR BROWN

„I am the God of Hell Fire and I bring you / Fire, I’ll take you to burn / Fire, I’ll take you to learn.“ Ein Textauszug, für immer in die Geschichte der Rockmusik eingraviert. Dabei handelt er nicht etwa von wilder Zerstörung, sondern von gesellschaftlicher Konditionierung und Wiedergeburt.

ARTHUR BROWN fasziniert das Publikum nun bereits seit über einem halben Jahrhundert mit seiner theatralischen Psychedelic und sein 1968er Hit ´Fire´ erreichte sogar Platz eins in Kanada und Großbritannien sowie die Top Ten in den USA. Aber ´The Crazy World Of Arthur Brown´ ist weit mehr als ein One-Hit-Wonder aus den späten Sechzigern. Die Band ist ein fortwährendes Experiment, Theater und Musik zu verschmelzen und die Grenzen des Bewusstseins zu verschieben. Ihre Mischung aus Avantgarde und psychedelischer Musik schöpft zudem frei aus spontaner Jazzimprovisation.

Beim „Psycho Las Vegas“ Festival 2016 hatte ich ihn leider verpasst. Aber jetzt ist es endlich soweit! In einer Höhle. Kein passenderer Ort für den Maestro of Weirdness. Dann kommt der Moment, als ARTHUR BROWN, der Gott des Höllenfeuers, geschminkt und kostümiert auf der Bühne erscheint. Dies ist nicht nur ein weiteres Konzert – dies ist ein vollständiges Eintauchen in die theatralische Psychedelic oder aber: die psychedelische Theatralik!

Beim Eröffnungstrack dominiert er sogleich mit seiner ersten farbenprächtigen Exkursion. Neben der Psychedelic gehört zu den Einflüssen von Brown vor allem aber auch Rhythm`n´Blues, und seine besonders wilde Interpretation von SCREAMIN’ JAY HAWKINS’ ´I Put A Spell On You´ ist bei seinen Auftritten nahezu unverzichtbar. Neben den Evergreens ´Prelude – Nightmare´, ´Fire´, ´Time/Confusion´ und ´Fanfare – Fire Poem´ von ´The Crazy World Of Arthur Brown´ werden schließlich auch einige Songs von seinem 2014er Album ´Zim Zam Zim´ dargeboten.

Bei seinen Auftritten versucht Brown, das Universum buchstäblich aufzurütteln und dem Publikum zu ermöglichen, über seine Normen hinauszugehen und das Leben und seine Umgebung zu umarmen. Die Outfits sind glamourös-bizarr und surreal, und obwohl er den Glam Rock-Pionieren der Siebziger den Weg ebnete, ist seine Bühnenpersönlichkeit noch lange keine abgestandene Marotte. Mit jedem Kostüm ist ARTHUR BROWN genau der, der er im Kosmos ist, sein wildes Aussehen stammt ganz aus seiner eigenen Seele. 79 Jahre hat der Gute mittlerweile auf dem Buckel. Alle Achtung!

 

PRIMORDIAL

Ich muss gestehen, dass ich bis vor kurzem keine allzu großen Stücke auf die irischen Pagan Metal-Vertreter hielt. Offenbar hatte ich wohl die falschen Alben gehört, aber vor allem: ich hatte sie noch nie live erlebt!

PRIMORDIAL werden von Beginn an frenetisch gefeiert und starten erwartungsgemäß mit ihrem Klassiker ´Where Greater Men Have Fallen´. Das Quintett ist mittlerweile seit mehr als dreißig Jahren beständig, was ihrem Geist und Enthusiasmus jedoch keinen Abbruch tut. Heute Abend erteilen sie eine weitere Lektion darin, warum sie in der Extrem-Metal-Community nach wie vor derart verehrt werden – und sie betreten die Bühne mit dem Selbstvertrauen einer Band, die sich ganz sicher darin ist, dass das Publikum sehnsüchtig darauf wartet, von ihrer Musik kommandiert zu werden.

PRIMORDIALs keltischer Black Metal ist fesselnd und mitreißend zugleich, und es wird ein Querschnitt durch ihre wichtigsten Alben performt, mit Schwerpunkt auf ´To The Nameless Dead´ und dem ebenfalls herausragenden aktuellen Werk ´Exile Amongst The Ruins´.

Frontmann Alan Averill transportiert dabei mit seinem charismatischen Gesang und seinen wilden Gesten die Emotionen längst verlorener Welten, während die Basslinien und starken Gitarrenriffs einen wilden Strudel aus Black und Folk Metal erzeugen. Die Show ist von einer ungemein rohen Energie geprägt und dem Wunsch, ihre musikalische Erzählung zu liefern und nichts als eine strahlende Menge zurückzulassen.

Ein begeisternder Set, prall gefüllt mit Geschichten aus der Vergangenheit und alten Mythen. Ich fühle mich jedenfalls endgültig bekehrt!

 

 

 

 

EÏS

Das Bielefelder Atmospheric Black Metal-Quartett EÏS hatte ich bis dato nicht auf dem Schirm.

Von 2005 bis 2010 noch unter dem Namen GEIST unterwegs, veröffentlichten die Westfalen bereits drei viel beachtete Alben und mussten sich schließlich einem Namensrechtsstreit geschlagen geben. Unter dem neuen Banner EÏS erschienen schließlich mit ´Wetterkreuz´ und ´Bannstein´ zwei weitere, bei der Kritik hochangesehene Werke, die ihren Status als eine der bemerkenswertesten deutschen Schwarzmetallvertreter untermauerten.

Die Musik von EÏS ist düster, wild und unheilvoll, und die Vocals werden meistens in einem tiefen Bereich gehalten, ohne das hohe, nicht wahrnehmbare Kreischen, das in diesem Genre oft zu hören ist. Dabei variieren sie perfekt zwischen kalten und schnellen Black Metal-Passagen, reichlich versehen mit destruktiven Riffs und erbarmungslosen Blastbeats auf der einen Seite sowie stampfenden Midtempo-Abschnitten, wobei oftmals düstere Keyboards und hypnotisierende Akkordfolgen die Führung übernehmen.

Die Band baut stellenweise sogar Breaks mit Akustikgitarren ein, um ihre filmischen und vielfältigen Klanglandschaften zu erweitern, und trotz ihrer ambitionierten Länge fühlen sich die Songs nie gestreckt an und steigern sich in ihrer Intensität.

Mit ´Galeere´, ´Unter toten Kapitänen´ und ´Winters Schwingenschlag´ werden heute sogar gleich drei Stücke aus ihrer GEIST-Phase dargeboten sowie auch einiges von ihrem EÏS-Erstling ´Wetterkreuz´. Dass sie hingegen nichts von ihrem aktuellen Album präsentierten, überrascht mich schon sehr. Kurz nach dem Mittagessen ist das für mich jedenfalls der ideale Einstieg in einen unvergleichlich schönen Festivaltag, bei dem im Gegensatz zum Vortag auch das Wetter endlich mitspielt.

 

DORDEDUH

Die Rumänen DORDEDUH sind für mich DIE große Überraschung des Jahres und haben mit ihrem sensationellen Album ´Har´ einen klaren Höhepunkt für 2021 gesetzt – wenn nicht gar für das gesamte Jahrzehnt!

Ich war von ihrem harschen, technisch versierten Black Metal des Vortages und der Präsentation der Songs ihres Vorgängerprojekts NEGURA BUNGET immer noch schwer angetan, was aber jetzt folgen sollte, übertraf meine Erwartungen sogar bei weitem. Natürlich, weil sowieso anders- und einzigartig – aber vor allem nämlich eines: MÄCHTIG!

Das Set wird eröffnet vom grandiosen, rund zwölfminütigen ´Har´-Album-Opener ´Timpul întâilor´, der mit tiefem Gesangsstöhnen und ritueller Percussion beginnt und damit eine ominöse, fast bedrohliche Atmosphäre schafft, bevor er mit einem fetten, stampfenden Riff schließlich erst richtig losstartet. Geschwärzte, atmosphärische Elemente wie die Keyboards/Elektronik übernehmen zunehmend und sorgen für einen Progressive Rock-Touch, der jedoch immer wieder von psychedelischen Twists und Schwarzmetall-Entladungen durchbrochen wird.

DORDEDUHs Zusammenspiel ist dabei höchst präzise und die Protagonisten dort auf der Bühne wirken bis in die Fußspitzen motiviert und konzentriert. Das Quintett präsentiert neben eines Songs von ihrem Debütalbum mit ´De Neam Vergur´, ´În Vieliștea Uitării´ und ´Descânt´ schließlich noch drei weitere Stücke ihres aktuellen Meisterwerks und reißen das wie elektrisiert wirkende Publikum zunehmend in ihren Bann.

DORDEDUH wurde ja aus einer kreativen Spaltung innerhalb von NEGURA BUNGET heraus geboren, wobei sie die weit progressiveren musikalischen Ideen aufgriffen. Die Liste der klaren Touchpoints ist dabei klar auf ihrer Seite, was durch den direkten Vergleich der beiden Prophecy-Shows nochmals verdeutlicht wird. Für mich neben DOOL das eindeutige Highlight des Festivals!

 

DOOL

Es ist ziemlich schwer in Worte zu fassen, was an diesem Abend auf dieser Bühne passiert ist. Aber ich hatte den Eindruck, dass alle Bandmitglieder von DOOL eine absolut herausragende Tagesform besaßen und den ganzen Frust sowie die angesammelte Energie der Pandemieausfallzeit in ihrem Gig bündelten.

Sängerin/Gitarristin Raven van Dorst (ich bleibe mal bei der femininen Bezeichnung, da die weiblichen Attribute klar überwiegen) betonte auch nicht nur einmal, wie froh sie darüber sei, die Songs von ´Summerland´ nun auch endlich live zu präsentieren. Ihre Energie war einfach überwältigend, sie war mit ihrer Gitarre überall auf der Bühne zu sehen und ihre Stimme klang manchmal sogar noch ausdrucksstärker als auf den Alben.

Ich war jedenfalls schwer beeindruckt davon, wie hervorragend sich die drei Gitarristen gegenseitig ergänzen, ihre Parts von einem zum anderen weitergeben, während die Rhythmussektion die Spannung aufbaut und eine oftmals auch düstere Atmosphäre schafft. Micha Harings Schlagzeugspiel erinnerte mich dabei in manchen Abschnitten sogar an einige THE DEVIL`S BLOOD Songs.

Mit unter anderem ´Sulphur & Starlight´, ´Be Your Sins´, ´Dust & Shadow´ und ´Wolf Moon´ wurden insgesamt gleich sechs Stücke von ihrem aktuellen Album präsentiert, zusammen mit der KILLING JOKE-Coverversion von ´Love Like Blood´ und ´Oweynagat´ vom Debütalbum. Ich hatte dieses Cover noch nie gehört, war jedoch sehr überrascht, wie sie es „doolisiert“ haben und ihre eigene persönliche Note hinzugefügt haben, ohne die ursprüngliche Essenz zu verlieren.

DOOL ist definitiv eine Live-Band, die man gesehen haben muss, ihre Songs und ihre Präsenz gewinnen jedenfalls eine weitere Tiefe und Dimension, wenn man sie auf der Bühne erlebt. Nächstes Jahr dann hoffentlich erneut und im Package mit SECRETS OF THE MOON!

 

So, das war es dann auch für mich für den Samstag, denn für DEINE LAKAIEN konnte ich mich nur wenig begeistern und der Auftritt von EMPYRIUM war mir schließlich zu spät, obwohl mir das Live-Erlebnis mit ihnen 2019 immer noch als höchst eindrucksvoll in Erinnerung war.

Das „Prophecy Fest“ avanciert immer mehr zu meinem absoluten Lieblingsfestival, ich wünschte nur, es würde jährlich bei uns stattfinden und nicht im zweijährigen Turnus.  Laut Label war es eine „unfallfreie Veranstaltung mit 999 Gästen aus 19 Ländern inklusive Übersee“. Ich bleibe definitiv dabei!