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Auge in Auge: Ralph Schmidt (ULTHA)

Dies ist ein Beitrag unserer ME(N)TAL HEALTH-Reihe. Mehr Infos zu diesem Projekt findet ihr hier.

 

~ Interview mit Ralph Schmidt, Teil 3 ~


(Teil 1 des Interviews findet ihr hier)

 

 

Gerade in den vergangenen Jahren kommt es (gefühlt) gehäuft zu Selbstmorden von Musikern, aber auch Künstlerbiographien, in denen z.B. Drogenmissbrauch eine zum Teil tragische Rolle spielt, sind keine Seltenheit.
Was ist Deine persönliche Erklärung hierfür? Gibt es eine typische “Musikerpersönlichkeit”, vielleicht sogar mit besonderen seelischen Merkmalen?

Es bedarf meiner Meinung nach keiner Musikerpersönlichkeit, um Musik zu spielen. Da fallen mir direkt BerufsmusikerInnen ein, die ja gegen Geld eine Sache technisch möglichst gut spielen. Es gibt auch eine Unmenge an Menschen, die Musik machen, ohne wirklich einen tiefen, emotionalen Antrieb zu haben, abseits davon, dass es schlichtweg Spaß macht und schön sein kann zusammen zu Musizieren. Ich finde aber durchaus, um wirkliche „outstanding Art“ zu erschaffen, muss man einen gewissen Grad an Wahnsinn haben. Ich meine Menschen, die in ihrer Getriebenheit und ihrer Passion, Kunst zu erschaffen, fast wahnsinnige Züge an den Tag legen. Eine meiner Lieblingsbands sind SWANS. Wenn man die einmal live gesehen hat, weiß man, dass Michael Gira legitim ein Wahnsinniger ist. Ich lese gerade ein Buch über seine Geschichte, die untrennbar gekoppelt ist an die Geschichte der Band, und man schauert teilweise, wie intensiv dieser Mensch in seiner Kunst lebt – seine Kunst ihn lebt. Das ist ein extremes Beispiel, aber ein Sinnbild für viele KünstlerInnen, die die Geschichte der Musik maßgeblich geprägt haben und prägen. Diese Menschen schaffen wahrhaft außergewöhnliche Kunst, die das Leben anderer Menschen verändern kann. Ich glaube, diese Menschen haben eine solche Musikerpersönlichkeit, dieses Quäntchen Wahnsinn, diesen übertriebenen Wunsch/Zwang, sich musikalisch auszudrücken.

 

Was sind Deiner Meinung nach die Vorteile oder auch Nachteile des Musikerdaseins? Und welche Rolle spielt die Musikindustrie dabei?

Vorteile, für mich, sind primär seit Jahren, dass man ohne große Mehrkosten rund um die Welt kommt, interessante Menschen treffen kann, die man sonst nie kennenlernen würde und Netzwerke knüpft, die unheimlich wertvoll sind. Man kann bestenfalls etwas erschaffen, was für einen selbst und andere einen Wert hat. Der Austausch darüber ist dann teilweise schön bis ergreifend. Man kann in einer sehr konstruktiven Weise mit Gefühlen umgehen und hält somit sein Leben in Balance.

Nachteile können ganz unterschiedlich sein. Man macht sich ja mit offener und ehrlicher Musik auch verletzlich. Erschafft man etwas mit Herzblut, was dann von anderen nicht so gewürdigt wird, wie man das eigentlich erhofft, dann kann das belastend sein. Wenn man es nicht professionell macht, dann ist es ein Hobby zum Ausgleich – wird die Band aber dann größer, kann das echt in Arbeit ausarten. Ich hatte Momente, wo mein Zeit auffressender Job mir echt kaum Luft gelassen hat, Musik zu machen. In diesen Phasen war es sogar mühsam, etwas zu tun, das man eigentlich liebt. Trotzdem würde ich Musik niemals auf professionellem Level machen. Ich glaube, für mich wäre das der Tod der Passion, und das bedarf es meiner Meinung nach, um authentische Kunst zu erschaffen. Es gibt viele Menschen, die das trotzdem schaffen – ich zweifle daran, das ich das könnte.

Die Musikindustrie ist mir dabei erstmal ziemlich egal. Ich denke nämlich mal, Ihr meint damit die wirklich professionelle Ebene mit entsprechenden Konzernen, wo es primär um Profit geht. Wenn man als Band und als Individuum nicht stark genug ist, sich kritisch und reflektiert damit auseinanderzusetzen, bevor man eine Zusammenarbeit anstrebt, dann kann das das Todesurteil für seine Kunst sein. Bestenfalls wird aber die eigene Musik viel mehr Menschen zugänglich gemacht, die diese sonst unter Umständen nie kennenlernen würden. Jeder sollte da seine persönliche Kosten-/Nutzen-Rechnung aufstellen, befreundete Künstler nach ihren Erfahrungen fragen und vor allem gründlich durchdenken was man wirklich will, was man bereit ist zu geben und was man als Band in der Lage ist, leisten zu können.

 

 

Du hast zu Anfang des Interviews einmal gesagt, dass etwas, was viele in der Szene verbindet, sei, dass sie die Dinge infrage stellen und zweifeln. Eben ging es um die stark emotional geprägte „Metal-Musikerpersönlichkeit“.
Darauf möchten wir nochmal zurückkommen, da es hier aus unserer Sicht doch eine gewisse Häufung gibt:
Betrachtet man die Szene genauer, arbeiten auffällig viele im sozialen Bereich, als Pädagogen, Therapeuten oder in Pflegeberufen. Und dies betrifft sowohl Musiker wie auch Fans. Siehst Du hier eventuell einen Zusammenhang?

Das ist in der Tat auffällig, vor allem im Punk- und Hardcoreumfeld. Metal wirkt auf mich oft eher „gutbürgerlich“ mit viel mehr Fans, die einem normalen Büro- oder Handwerksjob nachgehen. Aber das ist auch nur eine selektive Wahrnehmung, wo ich Studien zu sehen müsste, um das zu bewerten. Interessant wäre da ja zum Beispiel auch zu sehen, wie sieht es im Verhältnis zu anderen Szenen aus? Ich kenne zum Beispiel genauso viele Menschen, die in sozialen Berufen sind, denen es blendend geht, die Radiomusik gut finden und die auf die Nature One oder zu Lollapalooza gehen.

Ich wage zu behaupten, dass die Zugehörigkeit zu einer Musikszene, als Fan oder Musiker, nur bedingt Einfluss auf die Berufswahl haben. Am ehesten wohl noch, wenn man sich entscheidet, optisch irgendwelchen Szenevorgaben zu folgen. Du bist, was dein Aussehen angeht, halt nicht so in Gefahr, abgelehnt zu werden, wenn du in sozialen Berufen arbeitest. Ein komplett tätowierter Streetworker ist sicher einfacher zu finden als ein Versicherungskaufmann mit vielen sichtbaren Tattoos.

Die Wahl, in einen sozialen Beruf zu gehen, kann ja durch viele Faktoren bedingt sein. Da kann man nicht pauschal sagen, eine Person wird eher Job A machen weil sie Szene B angehört. Ich komme aus einer kaufmännischen Familie und habe sogar selbst eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung. Im Vergleich zu meiner Verwandtschaft habe ich aber schon mit 16 angefangen, pädagogisch zu arbeiten, von daher war mir in der Ausbildung schnell klar, dass ich da nicht alt werde. Ich kann auch nicht mal mehr genau nachvollziehen, wie ich da hineingeraten bin, aber ich habe mich dann direkt wohler gefühlt. Da sind wir aber auch wieder am Anfang des Interviews: Scheinbar liegt der Keim für solche Dinge in uns und wird dann irgendwann geweckt.

 

 

Vielleicht ist die ideale Berufswahl ja eine Kombination aus dem, was in einem selbst an Interessen angelegt ist, und der Anziehungskraft eines Lebensbereiches oder einer sozialen Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt?
Du hast lange mit Jugendlichen gearbeitet, und bist nun, wie schon erwähnt, Lehrer. Wer im engeren Kontakt mit Kindern und Jugendlichen steht, sie im Alltag begleitet, gerade in der Phase des „Erwachsenwerdens“, erlebt nicht selten, wie diese immer wieder mit sich und dem Leben hadern.
Inwiefern bist Du in Deinem Schulalltag mit psychischen Auffälligkeiten (Selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, Drogenmissbrauch etc.) konfrontiert? Und falls ja, hast Du den Eindruck, dass das zunimmt? Wie gehst Du als Lehrer damit um? Inwiefern hilft dir da eine gewisse Selbsterfahrung?

Psychische Auffälligkeiten dominieren meinen Arbeitsalltag. Es ist wirklich erschreckend zu Zeiten, wie viel da bei wie vielen im Argen liegt. Ganz ehrlich, ich möchte kein Kind in der heutigen Zeit sein. Verstärkt durch den gesellschaftlichen Wandel werden all die Dinge, die wir als Jugendliche erlebt oder gesehen haben, exponentiell gesteigert. Wo damals bei meinen Freunden das erste Bier, die erste gestohlene Kippe vom Vater oder auch der erste Joint noch Grenzen ausloten war, haben wir jetzt Schülerinnen und Schüler in der 8. Klasse, die am Wochenende mit 2,2 Promille und einer Mischung aus Ritalin und MDMA in der Nase komatös in einem Kölner Bahngraben gefunden werden; wo wir uns damals mal geprügelt haben bis einer lag, wird heute dann erst recht zugetreten….mit 6 Leuten; wo wir früher andere beleidigt haben, bis sie weinend weggelaufen sind, wird heute von mehreren Kindern strategisch im Social Media ein bösartiges Mobbing betrieben, so dass Suizid eine absolut valide Option ist…im 6. Schuljahr. Ich könnte hier noch weitermachen, aber das zu schreiben macht mich fertig und bin gleichzeitig froh, dass ich durch meinen Weg, mit all den schlimmen Erfahrungen und schlechten Zeiten, ein guter Ansprechpartner bin.

Einschätzen warum kann ich nicht, aber irgendwas mache ich so richtig, dass ein Großteil unserer Schülerschaft mir als einzigem Lehrer der Schule vertraut. Ich bin Beratungslehrer mit eigener Sprechstunde – vor Terminen kann ich mich fast nicht retten. Aber das ist die Crux, denn ich wiederum kann leider nicht alle retten. Der Job frisst mich oft ziemlich auf, weil ich den vielen leidenden Seelen irgendwie helfen möchte, aber es reicht einfach nicht für alle. So ist die Liste der schlimmen Dinge, die ich bei Kindern ansehen und miterleben musste, nach den 8 Jahren im Dienst, für mich wirklich ein Beweis, dass das Böse existiert, und es lebt in jedem von uns Menschen, diesem hochstilisierten, vernunftbegabten Primaten mit Gottkomplex. Als ich eben beim Joggen über eure Frage nachgedacht habe, fiel mir ein Zitat aus ‚Constructs Of Separation‘ ein, dem zweiten Song unserer EP ´Belong´: Für viele Kinder ist das tägliche Klingeln des Weckers die Pforte in “a nightmare you keep waking up into“.

 

 

Tatsächlich gibt es Studien dazu, wie sehr die Jugend offenbar unter dem von dir erwähnten gesellschaftlichen Wandel leidet. Was wir insbesondere an der Tätigkeit als Beratungslehrer spannend finden: erzählst du, oder wissen die Kids vielleicht sogar, was Herr Schmidt abseits des Lehrer-Daseins so macht? Teilst du mit ihnen persönliche Erfahrungen (im therapeutischen Kontext kann dies gelegentlich ja ein Türöffner sein). Bestärkst du sie eventuell darin, ihre Emotionen über kreativen Output „Form zu verleihen“ im Sinne einer gewissen Psychohygiene?

Du bist auch Philosophielehrer – welche Impulse gibt die Philosophie in der Arbeit mit deinen Schülern? Wie beeinflusst sie dein Privatleben oder deine Musik?

Lasst mich die beiden Fragen in einem beantworten. Also, durch die Jahre der Jugendarbeit und dem Leiten eines Jugendzentrums gibt es in meinen Augen nur einen Weg, um ein „guter“ Lehrer zu sein; ein Lehrer, den die Schüler wirklich respektieren: Authentizität. Das ist eine Tugend, die ich über alles schätze. Deswegen ist ULTHA auch ULTHA, weil die Band exakt dem entspricht, wer wir sind, wie wir denken und fühlen – keine unnützen Gimmicks, keine standardisierten Szeneklischees. Und auch da hat es uns diesen Status und diese loyalen Fans gebracht, die diese Authentizität so schätzen. Authentisch zu sein, zuzugeben, dass man auch als Lehrer mal Fehler macht, dass man nicht alles weiß, dass man auch mal Tage hat, wo es einem schlecht geht, all das macht das Lehrer-Dasein auf lange Frist einfacher. Die Kinder haben eine andere Bindung zu dir, und deine Autorität kommt nicht alleine aus der Position, die du hast.

Die Kinder wissen nicht, dass ich in einer Band spiele. Sie wissen, dass ich Musiker bin, aber ich erwähne nie Konzerte oder dass ich Proben hatte. Ich versuche, das so gut es geht sogar vor dem Kollegium geheim zu halten. Es gibt an unserer Schule zum Glück auch wirklich nur einen Jungen, der extreme Musik hört (und dem ich letztens erklären musste, warum ein BURZUM-Shirt nicht die schlaueste Merchwahl ist). Er ist zwar innerhalb von einem Jahr von SLIPKNOT-Shirts zu BLASPHEMY gekommen, aber er scheint sich nicht mit dem deutschen Underground zu beschäftigen.

Über das, was ich erlebt habe, und wie ich denke und fühle spreche ich sehr offen, vor allem im Philosophieunterricht– aber auch nur bis zu einem gewissen Grad. Da habe ich mir dann schon vorher überlegt, wie viel gebe ich von mir selbst preis. Man muss da manchmal aus seiner Komfortzone raus und auch Sachen erzählen, die andere Lehrkräfte nie zugeben würden. Aber damit schafft man eine Ebene des Vertrauens, was am Ende des Tages dein Kapital ist, und die Kinder trauen sich dann auch eher mal, die eigene Meinung zu sagen, Gefühle zu beschreiben, Erfahrungen zu schildern. Und man muss nicht Angst haben, dass ein Kind losmarschiert und die Infos rumerzählt. Das Risiko ist natürlich immer da, aber in meinen 8 Jahren hatte ich noch kein einziges Mal Probleme – und wenn ich als verbeamteter Staatsdiener offen zugebe, dass ich früher Steine auf Nazis geschmissen habe und dass ich AFD-Wähler für Idioten halt, könnte mich das durchaus Probleme im Job kosten– ein Risiko, das ich gewillt bin zu akzeptieren. Würde ich das aber nicht tun, fände ich den Unterricht unauthentisch, denn es geht in der Praktischen Philosophie (wie das Fach in NRW heißt) nun mal um das echte Leben und das Denken vom Denken.

In Bezug auf das von Dir erwähnte Böse in jedem Menschen kann die Philosophie sicher helfen – aber kann die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft auch in Krisen helfen?

Sicher. Ich habe viel Trost und Wissen im Umgang mit Schmerz, Trauer und Verzweiflung in der Philosophie gefunden. Seien es nun konkrete Antworten auf Fragen als auch einfach nur das Gefühl verstanden zu werden und das größere Ganze zu sehen.

 

 

 

…zu Teil 4 gehts hier!

 

 

TRIGGERWARNUNG & NOTFALLNUMMERN

Falls sich beim Lesen dieses Interviews unangenehme Gefühle bei Dir eingestellt haben oder du dich verunsichert fühlst, weil du vielleicht gerade selbst in einer Krise steckst, dann solltest du dies unbedingt ernst nehmen! Es hilft immer, mit jemandem darüber zu reden, die Telefonseelsorge ist 24/7 anonym und kostenfrei für dich da nach dem Motto „Sorgen kann man teilen“:
Rufnummern: 0800 / 111 0 111     –     0800 / 111 0 222     –     116 123

Falls dir das lieber ist, kannst du dich hier mit jemandem per email oder Chat austauschen: https://online.telefonseelsorge.de/

Tagsüber gibt es bundesweit das kostenfreie Angebot des Info-Telefon Depression: 0800 3344533, wo du weiterführende Infos zu Anlaufstellen in deiner Nähe erhältst.

In akuten Krisen wende dich jedoch bitte an deinen Arzt oder Therapeuten, bzw. die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.

Österreich: www.telefonseelsorge.at

Schweiz: www.143.ch

https://templeofultha.com/

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