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DIVISION ZERO – Mainades / Old Blood Noise

~ 2020+2017 (Independent) – Stil: Intensiver Black Metal ~


 

Der englische Biochemiker Rupert Sheldrake entwickelte Anfang der 1980er seine Theorie eines Gedächtnisses der Natur. Sie besagt, dass ab dem Moment, in dem eine neue Idee, ein kreativer Einfall, neues Wissen oder eine bisher unbekannte Verbindung, Struktur, Eigenschaft oder auch eine neue Komposition das Licht der Welt erblickt, dies in einem – wie er es nennt – „morphogenetischen Feld“ gespeichert ist, allen frei zur Verfügung steht und damit ab sofort überall auf der Welt abgerufen und genutzt werden kann. Unbewusst, und bislang auch nicht direkt messbar, wohlgemerkt – was seiner Idee in Kollegenkreisen eher Skepsis entgegenbrachte. Dass führende Quantenphysiker sie jedoch unterstützen, ist eine andere Geschichte…

…hier soll aber davon erzählt werden, dass sich, ganz entsprechend dieser Theorie, Ende 2019 zwei europäische Trios des dunklen Musikspektrums unwissentlich für denselben, ungewöhnlichen Albumtitel entschieden haben: E-L-R für ‚Mænads‘, DIVISION ZERO für ‚Mainades‘ – beide zu Ehren der Mänaden, der Verehrerinnen des Dionysos, dem Gott des Weines, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase, die gerne bis zur Raserei berauscht seinem Kult folgten. Ist diese Parallelität nicht schon allein wegen der ungewöhnlichen Thematik überraschend, macht die jeweilige intensiv-emotionale Umsetzung des Stoffes nochmals neugieriger darauf, was da wohl dahinterstecken mag?

Über E-L-Rs Werk ´Mænads´ haben wir bereits hier berichtet, nun ist die neue EP der Mannheimer Blackster DIVISION ZERO an der Reihe; und um diese besser einordnen zu können, gibt es anschließend noch einen Rückblick auf die vorangegangene LP ´Old Blood Noise´.

Aber zuerst zu ´Mainades´ – ich will mich gar nicht damit aufhalten, wie sehr der atmosphärische Beginn Parallelen zu den Berner/innen aufweist, denn darüber solltet ihr euch am besten selbst ein Bild machen. Die EP entspricht in der Form einem dreiaktigen, antiken Drama über einen Stoff, der gerade in der Opernwelt viele Male vertont wurde – Orpheus Reise in die Unterwelt des Hades, wo er mittels seines überirdisch schönen Gesanges seine tote Geliebte Eurydike wiedergewinnen will, daran scheitert und schließlich von den namensgebenden Mänaden zerrissen und in den Fluss Hebros geworfen wird.

Voran, voran und über den Styx
Voran, voran in des Hades Reich…

´Styx´ führt hinunter in diese hoffnungslose schwarze Unterwelt, und der im langsamen Midtempo gehaltene Song macht auch gleich mit dem faszinierenden Stil der Mannheimer bekannt: mit der ständigen Wiederholung und geringfügigen Abwandlung unaufgeregter, fast schlichter Gitarrenmotive, einem erzählend-groovenden Bass und vor allem einem kraftvollen und abwechslungsreichen Drumming wird dem Lied viel Leben eingehaucht, man hört gleichsam den Styx anschwellen und immer mehr rauschen, und all diese wechselvolle Dynamik wird schließlich gekrönt von einem Gesang, der hierzulande seinesgleichen sucht.

Fronter Swen gehört zu den ganz wenigen, die sich nicht scheuen, absolut hemmungslos wirklich alles aus ihrer Stimme herauszuholen – und in seinem Fall umfasst dies ein Spektrum zwischen extrem fiesem Black Metal-Screaming auf der einen und an Klaus Nomis Expressivität gemahnendem arienhaft-pathetischem Operngesang auf der anderen Seite, wobei er in Sekundenschnelle zwischen beidem hin- und herwechseln kann. Die Summe all dieser Extreme macht dabei den besonderen Reiz dieser Scheibe aus, wobei die drei Songs sämtlich in einer resignativ-trauernden Stimmung gehalten sind, und trotzdem dahergaloppiert kommen wie die vier apokalyptischen Rösser,  die beim abschließend rasenden ´Hebros´ dann schließlich komplett von der Leine gelassen werden, hier können die Wurzeln im Punk nicht mehr verleugnet werden, und das Tempo wird kräftig angezogen. Viel zu schnell ist diese Konzept-EP zu Ende, und hinterlässt ehrfürchtiges Staunen und diverse Ohrwürmer beim Hörer. Diese zwar kurze, dafür aber musikalisch umso rundere Sache weckt Neugier auf die kommende zweite LP des Trios, und ist mit guten

7,77 Punkten

schon jetzt einer der Anwärter auf die EPs des Jahres.

Ich hab sie verloren, oh wär ich nie geboren
Von Mainaden gerissen, in den Hebros geworfen

 

 

Wie schnell sich die Band entwickelt hat und was noch so alles in der Wundertüte namens DIVISION ZERO steckt, dazu gibt die erste LP ´Old Blood Noise´ (2017) Auskunft. War ihr charmant-rohes, selbstbetiteltes 2015er Demo trotz der bereits vorhandenen, oben genannten Trademarks noch stark vom Death Metal und Hardcore geprägt, gerade was Stimme und Riffing angeht, wurde mit ´Old Blood Noise´ eine neue evolutionäre Stufe erreicht: vertrackte, geradezu progressive Rhythmen, ein konzeptionell klares Bekenntnis zum Black Metal mit Schwerpunkt im Erzeugen von bedrohlicher bis wahnsinniger Stimmung (absolut kranke Schreie in ´Stairway´…) sowie Reduktion und Repetition als Grundpfeiler eines ebenso wahnwitzigen wie vollen Sounds, der vor allem vom Dialog zwischen Swens Stimme und Justus‘ treibenden Drums lebt, erschaffen eine Platte, die einen gleichzeitig zu Boden drückt wie in die Höhe katapultiert – pure Power gepaart mit unverstellter Emotion.

Epische Elemente (´Fallen´) finden ebenso ihren Platz wie eine Rückkehr zum Punk (´Werewolf Super Sport´), und es darf auch mal politisch werden (´Fuck Adolf Hitler´). Und dann, zum Abschluss, der cinematographische Übersong: ´Insidiuos´ bekam nicht umsonst ein Video spendiert (ihr auch, siehe unten!), kommt live wunderbar intensiv und hypnotisch (siehe unseren Bericht zum diesjährigen „Zero Fest“, dem bandeigenen Festival), und schließt ein Album ab, das auf noch viel mehr hoffen lässt. Musiker, die derart scheuklappenfrei an ihre Arbeit gehen, und ganz offenhörbar extrem vielseitig interessiert sind, haben uns hoffentlich noch viel zu sagen. Let’s wait and see…

(dicke 7,5 Punkte)

This is war in my heart, in my soul

 

https://divisionzero1.bandcamp.com
https://soundcloud.com/division_zero
https://www.facebook.com/divisionzeroband/