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LITTLE SCREAM – Speed Queen

~ 2019 (Merge Records) – Stil: Alternative Country/Folk/Pop ~


Manchmal muss man offenbar erst eine Weile von zu Hause weg sein, um sehen zu können, wie es dort wirklich zugeht. Laurel Sprengelmeyer alias  „Little Scream“ wurde in den USA geboren und wuchs dort auf, bevor sie sich in Kanada niederließ, um sich dort der lokalen Indie-Music-Community anzuschließen. Dazu gehörten unter anderem ARCADE FIRE, THE NATIONAL und THEE SILVER MT. ZION, mit denen sie auch teilweise kollaborierte. Nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums ´Cult Following´ tourte sie intensiv durch die USA und war geschockt, wie groß die wirtschaftliche Kluft zwischen Reich und Arm geworden war und auf wie viele Arten sich die Armut dort manifestierte.

Lyrisch hat sich die Multiinstrumentalistin auf ihrem neuen Album daher auf gesellschaftliche Themen konzentriert, die in einer Vielzahl moderner Musik das Thema du jour zu sein scheinen – nämlich auf die Spaltung zwischen Klasse und Armut in den Vereinigten Staaten und das Konzept des Privilegs.

Rein musikalisch dominieren jedoch hauptsächlich die Alternative Country- und Folk-Elemente, die wir von den Vorgänger-Alben der Wahl-Kanadierin bereits bestens kennen. Beim Titelsong des Albums etwa breitet Sprengelmeyer ihre Songwriting-Flügel in voller Gänze aus. Eine Kombination ihrer unverkennbaren Stärken: untertriebener Gesang, eine Mischung aus ätherischen und melodischen Feinheiten sowie ein Crescendo emotionaler, fast orchestraler Kraft. ´Speed ​​Queen´, ein Titel, der der Natur des Albums schon beinahe widerspricht, ist auch ein fantastisches Stück soziales Bewusstsein. Es erkennt die Probleme an, die sich nahezu überall ereignen – und in den USA ganz speziell.

Das Album bietet durchweg einen wunderschön gestalteten Set intelligenter Indie-Pop-Melodien, die auf den ersten Blick zwar anmutig sind, aber ganz und gar vom Alltäglichen handeln. Die Herrschaft Trumps in ´Dear Leader´, die verführerische Kraft durch Geld und Drogen in ´Disco Ball´ oder die Weigerung der privilegierten Klasse, die Bedürfnisse anderer überhaupt erst zu erkennen (´Privileged Child´).

Trotz des Downbeat-Tons eines Großteils des Materials, verleiht der cremige Reichtum von Sprengelmeyers Stimme den Songs eine ungeheuere Menschlichkeit und Wärme. Die Musik ist leicht funky, mit einem subtilen Touch der 70er, was die Melodien zudem mit einem Hauch von Nervosität erscheinen lässt.

´Cult Following´ hatte bereits gezeigt, dass LITTLE SCREAM eine Künstlerin mit bemerkenswertem Potenzial als Songwriterin und Sängerin ist – und ihr neuestes Werk fügt nun hinzu, wie viel sie über die Welt um sich herum zu sagen hat und wie gut sie ihre Hoffnungen und Ängste damit zum Ausdruck bringt.

(7,5 Punkte)