Livehaftig

ULTHA, VORDT

~ 18.10.2019, JuHa West, Stuttgart ~


Ein nasskalter Herbstfreitag in Stuttgart. ULTHA sind seit über einer Woche auf der „Constructs Of Separation Tour“ in Europa unterwegs, morgen wird sie beim Night Metal Fest X im belgischen Arlon enden. Das heute ist damit der letzte Clubgig dieser möglicherweise endgültigen Tour, es folgen noch zwei Festivals, das Fall Of Man und ihr eigenes Unholy Passion Fest, und das war‘s dann für dieses Jahr.

Die Helden sind müde, zehn Shows und ein paar tausend Kilometer stecken ihnen in den Knochen, einige sind leicht malad, die Stimmen wollen auch nicht mehr so gut wie zu Beginn. Dagegen ist die Stimmung innerhalb der Band sehr gut, ´Belong´, die vor gerade mal knapp zwei Wochen veröffentlichte EP (unser Review dazu gibts hier) ist für alle Seiten ein absoluter Überraschungserfolg, und auch die Bekanntgabe der zeitweiligen oder auch endgültigen Pause hat die Jungs merklich erleichtert. ULTHA haben auf dieser Tour wieder Spaß am gemeinsamen Spiel gefunden.

Die Band freut sich merklich auf diesen Gig, es sind viele Freunde da, auch unter den Fans hat es sich natürlich herumgesprochen, dass dies die einzige Möglichkeit sein könnte, ULTHA zum vielleicht letzten mal in intimerem Rahmen zu erleben. Also ist das Jugendzentrum knallvoll, heute wollen alle es nochmal wissen. Dementsprechend ist ein überlanges Set geplant – das bedeutet in ULTHA-Maßstäben vielleicht sogar vier Songs. Die Spannung im Publikum steigt.

Wie üblich variieren die Kölner ihre Setlist jeden Tag, heute steigen sie mit ´The Avarist´, dem so überwältigenden wie verstörenden Opener des letzten Albums ´The Inextricable Wandering´ ein. Zeitzähler: 14:34 min. Ein paar Fotografen erhaschen einige Bilder, geben jedoch schnell auf und sich der absolut hypnotischen Stimmung hin. Manch einer unter den Zuschauern wird das halbe Konzert mit vor Staunen offenem Mund dastehen – soweit stillstehen überhaupt möglich ist.

 

Unendliche Mengen Nebel quellen von der niedrigen Bühne, der Rauchmelder macht sich laut piepsend bemerkbar (oder war das erst vor der Zugabe? Sorry, kompletter Konzertblackout…). Die Gerüchte gingen bereits zuvor herum, heute soll ´Belong´ komplett gespielt werden. Na gut, zwei Songs, alles im Rahmen, denkt sich der Uneingeweihte. Das „Dark“-Intro von ´No Fire, Only Smoke´ startet, noch habe ich die Augen offen. Zeitzähler: + 17:05 min. Zum zweiten Mal höre ich diesen Übersong live, doch nun ist er während der Ausarbeitung des Reviews ein Teil von mir geworden. Das Thema setzt ein, wird wiederholt. Chris beginnt zu singen, ich spreche mit. Augen zu. Weggebeamt, in einer anderen Welt. Augen wieder auf, Leute um mich herum schlagen mit der Faust auf ihren Kopf oder ihre Brust ein, im Takt mit Manus Blastbeats. Propellerheadbanging oder stilles Mitschwingen. Aufgerissene Augen, fassungsloses Kopfschütteln bei denjenigen, die das hier zum ersten Mal hören, alle sind in Bewegung. Jetzt Ralphs extrem emotionaler Part. Absolute Verzückung allerorten. Und wohlgemerkt, wir sprechen hier von Black Metal!

Alle sind fassungslos, Applaus gibt’s erst nach ein paar Sekunden. Doch keine lange Zeit zur Erholung, es geht gleich weiter mit ´Constructs Of Separation´. Keine Ahnung, wie Manu das hinter seinen Drums durchhält, die EP fordert ihm alles ab, das sind ewig lange hyperschnelle Passagen im Wechsel mit sehr exakt zu spielenden, mal extrem heavy, mal jazzigen Parts – Zeitzähler + 21:08 min. ´Constructs…´ ist live ein Monument, heavier und intensiver habe ich ULTHA noch nie erlebt. Dieser Bass, dieser Doom! Mittlerweile klebt jedem sein Shirt am Leib, es ist extrem heiß im Raum, herumgeworfene Haare sprühen Schweißtropfen durch die Luft. Viele Bands sprechen von Live-Ritualen, ULTHA würden da nur abwinken, aber produzieren hier gerade selbst eines der allerintensivsten Art. Der Sound ist gut, jeder Akteur ist herauszuhören. Andys so wichtige Keyboards rulen in diesem Song besonders, und das Gitarrenduo Lars und Ralph spielt sich in einen Rausch. Der RUSSIAN CIRCLES-artige Part mit Ralphs extrem tiefer Klarstimme. Gänsehaut, denn jetzt geht`s gleich noch tiefer rein in die Emotion. Manuel ist ein Halbgott hinterm Schlagzeug. Und diese schier unendliche Steigerung der Spannung! Chris schreit sich die Seele aus dem Leib. Das Finale ist nicht von dieser Welt, zu zweit brüllen sie die letzten Worte, zwei Töne von Chris‘ Bass, und Schluss? Nein, so einfach lassen sie uns nicht los, sie ballern das Hauptriff noch ein paarmal heraus und sind hinterher ganz offensichtlich selbst genauso überwältigt von der von ihnen entfesselten Macht wie wir.

Das waren jetzt drei Black-Metal-Boliden und 52:50 durchgespielte Minuten. Manu stolpert irgendwie raus an die Luft, keine Ahnung, wie er sich dort für die Zugabe dopt. Denn die wird gefordert, und wie! Das Publikum tobt, schreit, klatscht, die Band kann so unmöglich aufhören. Doch was soll nun noch kommen? Natürlich nur die Bandhymne, ´Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)´. Zeitzähler: + 16:54 min absoluter Schwärze. Hier wird die wortwörtliche Bedeutung von Black Metal schon allein durch die Schwere von Chris‘ Basssound körperlich spürbar. Und dann diese Gitarrenmelodie! So gespenstisch wie verführerisch sie ist, fesselt doch vor allem der folgende Wechselgesang von Chris und Ralph im Refrain, ich muss ihn einfach immer mitschreien – und bin natürlich nicht die Einzige, der das so geht. Hören sie uns auf der Bühne überhaupt, in all diesem wahnsinnigen Furor? Was für ein Lied, was für ein krasser Abriss! Pure Trance. Augen nochmal zu. Genießen, sich mit-, nein wegreißen lassen. „Making – Every – Promise -Empty“. Schluss, aus.

 

Frenetischer Applaus, Fassungslosigkeit, Überwältigung überall – das soll’s nun gewesen sein? Kaum einer spricht. Die meisten Musiker haben die Bühne verlassen, doch mancher kann sich noch nicht so recht trennen. Noch völlig hilflos und verloren in dem, was hier gerade geschah…

Endstand: 4 Songs und 70 Minuten emotionaler Ausnahmezustand. Außerweltlich geniale Musik, live nochmal auf einem ganz anderen Level dargeboten. Was für eine Band, was für ein Ritt!

 

 

Epilog

Tja, eigentlich hatte ich fest vorgehabt, den heutigen Abend rein als Privatperson zu erleben – doch dann war der Drang, ULTHA im dichten, roten Nebel und ganz nah noch einmal im Bild festzuhalten, diesen speziellen Abend zu dokumentieren, einfach grösser. Und wie ihr seht, schließlich auch das Bedürfnis, dieses Ereignis durch ein paar Worte festzuhalten. Ich habe die Kamera anfangs recht schnell weggepackt, um mich nicht um das so intensive wie bittersüße Konzerterlebnis zu bringen.

 

Doch als ganz am Schluss, nach der Zugabe, Lars und Chris völlig am Ende noch viele Minuten lang zusammengekauert auf der Bühne sitzen, ins Leere starrend, während vom Band ´There Is No Love, High Up In The Gallows´ läuft, einige Fans ebenfalls immer noch im sich auflösenden Nebel verharren, jeder in seinem eigenen Film und dem, was wir hier gerade gemeinsam erleben durften, gefangen, fiel es mir extrem schwer, in diesem fast heiligen Moment noch einmal die Kamera in die Hand zu nehmen. Doch ich glaube, dieses Bild spricht noch viel mehr von diesem magischen Abend als all die anderen, die heute einzufangen versuchten, was ganz sicher kein Anwesender jemals vergessen wird.

 

 

 

Danke, ULTHA. Für Alles. We all EXIST FOR NOTHING.

 

PS: Von der Supportband VORDT aus Stuttgart habe ich leider kaum etwas mitbekommen, da ich während ihres Sets kaum aus dem Foyer herausgekommen bin, zu viele Freunde waren da, zu viel gab es zu besprechen. Einen kleinen und sehr positiven Eindruck der Formation, die heute ihren allerersten Auftritt hatte, konnte ich jedoch erhaschen, und die Kombination von weiblichem Gesang und progressivem Depressive Black Metal hat einiges Potential. Sorry Leute – das nächste Mal auch mit Bildern!