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BILL EVANS TRIO – Moon Beams

1962/2025 (Riverside Records/Craft Recordings) - Stil: Jazz

Es war ein stiller, aber entscheidender Moment in der Geschichte des Jazz, als Bill Evans im Frühjahr 1962 wieder das Studio betrat. Nur ein Jahr zuvor hatte er den Verlust seines musikalischen Gegenpols, des Bassisten Scott LaFaro, verkraften müssen. Ein Schock, der ihn tief traf und ihn monatelang vom Spielen abhielt. Doch als Bill Evans schließlich zurückkehrte, war es nicht mit Wut oder Übermut, sondern mit stiller Größe. Das Resultat hieß ´Moon Beams´.

In den New Yorker “Sound Makers Studios” nahm er gemeinsam mit dem neuen Bassisten Chuck Israels und dem treuen Schlagzeuger Paul Motian acht Stücke auf, die den Schmerz und die stille Zuversicht eines Neuanfangs in Töne fassten. Chuck Israels, ein Schüler von Bud Powell und Cecil Taylor, brachte Ruhe und Struktur in das Trio, das zuvor von Scott LaFaros wilder Kreativität geprägt war. Gemeinsam schufen sie eine Musik, die vom Vertrauen lebte, leise, lyrisch und tief bewegend.

Wo Scott LaFaro in früheren Aufnahmen oft wie ein gleichberechtigter Partner mit Bill Evans zusammenspielte, tritt Chuck Israels zurückhaltender auf und gibt dem Pianisten mehr Raum für melodische Gestaltung. Diese Veränderung führt dazu, dass Bill Evans’ Spiel noch lyrischer und subtiler wirkt. Paul Motian, dessen Schlagzeugspiel oft eher gespürt als gehört wird, sorgt mit feinen Akzenten, Besenstrichen und unaufdringlichen Impulsen für einen atmenden Rhythmus, der Bill Evans’ Phrasierung freistellt und die Musik schweben lässt.

Das Album beginnt mit ´Re: Person I Knew´, ein musikalisches Anagramm auf den Namen des Produzenten Orrin Keepnews. Die geheimnisvolle Eigenkomposition von Bill Evans öffnet die Tür zu einer Welt aus gedämpftem Licht und fließenden Harmonien. Bill Evans’ Anschlag ist sanft, aber präzise. Jedes Pedal, jede Pause wirkt bewusst gesetzt. Chuck Israels webt seinen Bass wie einen ruhigen inneren Puls, der die harmonische Struktur trägt, während Paul Motian den Takt fast auflöst und keinen Schlag zu viel schwingt. Die Spannung zwischen Struktur und Schweben verleiht dem Stück seine stille Intensität.

Es folgen Balladen, die klingen, als seien sie in einem späten Sommerabend geboren worden: ´Polka Dots And Moonbeams´, ´I Fall In Love Too Easily´ und ´Stairway To The Stars´. Hier spielt Bill Evans nicht für die Bühne, sondern für sich selbst. Chuck Israels antwortet auf die zarten Akkorde mit Linien, die sich wie Atemzüge anfühlen, während Paul Motian mit seinen Besen nur Andeutungen von Rhythmus malt.

In ´Polka Dots And Moonbeams´ zeigt sich Bill Evans’ unverwechselbares Gespür für Raum und Schweigen. Die Melodie, getragen von einer harmonischen Wärme, scheint zu schweben. Dieses Stück ist zudem eine der wenigen Balladen des Albums, die unter Jazzmusikern besonders bekannt geworden sind. In ´I Fall In Love Too Easily´ wird aus der bekannten Ballade ein leises Geständnis, voller Verletzlichkeit und einer vermehrten Leichtigkeit. Und in ´Stairway To The Stars´ entfaltet sich das Trio fast kammermusikalisch. Das Klavier fließt in langen, atmenden Linien, während Chuck Israels’ Bass dem Ganzen eine sanfte Gravitation verleiht. Paul Motians unaufdringlicher Einsatz sorgt dafür, dass die Musik trotz ihrer Komplexität leicht und transparent bleibt.

´If You Could See Me Now´ und ´It Might As Well Be Spring´ folgen auf der B-Seite und scheinen über Zeit und Raum zu schweben. In Ersterem zieht Bill Evans die Harmonien weit auseinander, schafft mit jeder Phrase eine fragile Balance aus Melancholie und Würde. Chuck Israels begleitet mit einer Sicherheit, die nie statisch wirkt, sondern den Fluss der Musik trägt. Als eines der schönsten Stücke des Albums zeigt es Bill Evans’ Fähigkeit, zuvor fast vergessene Jazz-Standards wieder lebendig zu machen. ´It Might As Well Be Spring´ beginnt hingegen fast unmerklich, wächst dann zu einem rhythmisch schwebenden Dialog, in dem Paul Motian die Melodie mit kleinen Impulsen zum Atmen bringt. Es ist ein Spiel mit Licht und Schatten, mit der Spannung zwischen Melodie und Stille.

Mit ´In Love In Vain´ interpretiert das Trio eine weitere Ballade. Bill Evans gestaltet die Harmonien filigran und tastend, während Chuck Israels den Bass als weiches, tragendes Fundament einsetzt, das gleichzeitig auf die Melodie reagiert. Paul Motian bringt mit sparsamen Akzenten und feinen Besenstrichen die Zeit zum Atmen. Das Stück vermittelt den Moment, in dem sich Traurigkeit und Zartheit auf besondere Weise verbinden, ohne die Leichtigkeit der Musik zu verlieren.

Im abschließenden ´Very Early´, einer weiteren Eigenkomposition, klingt das Trio gelöst und leicht, fast heiter. Das Stück, ein zarter Walzer in ungewöhnlichen harmonischen Wendungen, zeigt Bill Evans’ Gespür für das Poetische im Unvorhersehbaren, sowie seine einzigartige Fähigkeit, Walzer zu komponieren, die zugleich lyrisch und harmonisch komplex sind. Chuck Israels tanzt mit seinem Bass über die metrischen Grenzen hinweg und Paul Motians feine Begleitung unterstreicht die Leichtigkeit und Transparenz der Musik.

Nun erscheint ´Moon Beams´ erneut in der vorbildlich produzierten „Original Jazz Classics“-Serie von “Craft Recordings”.

Die neue 180g-Vinyl-Ausgabe wurde bei RTI gepresst, das Mastering stammt von Kevin Gray bei “Cohearent Audio” und basiert vollständig auf den originalen Analogbändern. Verpackt ist sie in einem hochwertigen Stoughton-Tip-On-Jacket, das den Glanz der “Riverside”-Ära wieder aufleben lässt.

Und der Klang ist atemberaubend. Bill Evans’ Piano wirkt körperlicher, präsenter; Chuck Israels’ Bass hat Gewicht und Kontur, während Paul Motians Becken wie feiner Staub in der Luft stehen. Die Dynamik ist natürlicher, die Stille dazwischen tiefer. Kevin Gray hat den Zauber dieser Musik, die feinen Nuancen, die die Seele dieses Albums ausmachen, nicht verändert, sondern ihn freigelegt.

Das ikonische Cover zeigt die deutsche Künstlerin und spätere VELVET UNDERGROUND-Sängerin Nico – eine Vision von entrückter Melancholie, perfekt für Bill Evans erste “All-Ballad-Collection”, die zwischen Traum und Realität zu schweben scheint.

Es ist ein leiser Triumph. Bill Evans hat seinen Weg zurückgefunden, und mit ihm kehrt der Jazz zu einer Form der Poesie zurück, die niemand sonst so beherrschte. ´Moon Beams´ war einst ein stiller Neuanfang. Heute, über sechzig Jahre später, ist es ein Meisterwerk, das so zeitlos klingt wie am ersten Tag. Eine Meditation in Moll, zart, ehrlich und unvergänglich.

(Klassiker)

https://www.facebook.com/BillEvansOfficial

Bill Evans – Klavier
Chuck Israels – Bass
Paul Motian – Schlagzeug

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