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TRISTAN BRUSCH – Am Anfang

2025 (Wasser & Licht) - Stil: Pop

Große Musik kennt keine Kategorien. Sie spricht nicht darüber, was sie ist, sie ist. Tristan Brusch ist ein Künstler, der das längst verstanden hat. Seine Lieder – zugleich verletzlich und überlebensgroß – entstehen in jener unbestimmten Zone zwischen Poesie und Pop, wo Worte nicht mehr erklären, sondern fühlen. Mit ´Am Anfang´ schließt der Wahlberliner seine dunkelromantische Trilogie ab. Nach ´Am Rest´ und ´Am Wahn´ kehrt er zurück an den Punkt, an dem alles begann, bei der Liebe. Doch nicht als sentimentaler Rückblick, sondern als ernsthafte, fast spirituelle Suche nach Gnade.

Das Album öffnet sich mit ´Grundsolider Schläger´ wie mit einem Selbstgespräch. „Mach Dir um mich bloß keine Sorgen, Tristan“, singt er – eine ironische Beruhigung, die keine ist. Über zarten Gitarren breitet sich eine Stimme aus, die klingt, als würde sie das alles schon seit Jahren mit sich herumtragen. Ein Ich, das sich selbst nicht mehr glaubt, aber trotzdem weitersingt. Gleich zu Beginn entfaltet sich das ganze Spektrum. Die Welt des Tristan Brusch ist eine, in der Zärtlichkeit und Gewalt eng beieinander liegen. Wer liebt, riskiert immer auch, zu zerstören.

´Haifisch´ – getrieben von einer trockenen Akustikgitarre – denkt die Liebe nicht als Trost, sondern als unbarmherziges Prinzip. „Jede Seele ist ein Taucher, ein Haifisch die Gedanken“, heißt es da. Brusch romantisiert nichts. Er schreibt von Gefühlen wie jemand, der sie am eigenen Leib erfahren hat und nun darüber berichtet, als säße er nachts am Hafen. In ´Danke, dass du nicht aufhörst mich zu lieben´ formuliert er die grausamste Zärtlichkeit dieses Albums: „Jemand wie mich, der dich zerbricht“. Kein Refrain mildert diesen Schmerz, keine Pose verdeckt ihn. Es ist die blanke Wahrheit.

´Vierzehn´ klingt wie ein Fotoalbum, das jemand in der Dämmerung durchblättert, mit dem Geschmack von Freiheit, dem Geruch von nassen Straßen, und dem Kribbeln erster Küsse. „Was ich Dir sagen könnte, hättest Du nicht hören wollen“ – dieser Satz trägt die ganze Melancholie des Albums in sich. Brusch verhandelt hier nicht bloß die Jugend, sondern die Utopie, dass es einmal einfacher war. Und er weiß, dass sie nie so unschuldig war, wie man sie in Erinnerung hat. Dieses Lied ist kein Nostalgiepop, sondern das Einverständnis mit dem Verlust.

Wie schon bei seinen Vorgängern setzt Brusch auf radikale Reduktion. Produziert mit Olaf Opal, aufgenommen in einem ehemaligen Kinderheim an der dänischen Grenze, klingen diese Songs wie Live-Aufnahmen, voller Atem und Bruchstellen. Kein Studio-Glamour, keine Effektschlachten. „Ich wollte weniger Kunstfigur sein und verletzlicher singen“, sagt er – und man hört es. Die Dramatik liegt nicht in der Inszenierung, sondern in den Liedern selbst. ´Am Ende´ ist vielleicht der intensivste Moment des Albums, mit Stimme, Klavier und Orchestrierung. Eine Minute Liebe vor dem Ausschalten der Maschine. „Ja, ich will“, singt Brusch – und man spürt, das ist kein romantisches Versprechen, sondern ein letztes Aufbäumen gegen die Vergänglichkeit.

Im Zentrum des Albums steht ´Geboren um zu sterben´, eine hymnische Klavierballade, die wie eine alte Wahrheit klingt, die man vergessen hatte. „Es gibt auf dieser Erde genau zwei Dinge zu lernen: lieben und geliebt zu werden.“ Diese Zeilen sind kein Kalenderspruch, sondern eine knappe, fast biblische Zusammenfassung des Albums. Brusch ist kein Zyniker, sondern ein Suchender. Er schreibt Lieder über das, was wir alle wollen, aber kaum in Worte fassen können: Gnade, Vergebung, das kleine Licht, das bleibt, wenn alles andere vergeht.

´Die lange Nacht´ ist still, fast sakral, nur Klavier, seine Stimme, am Ende ein Chor wie ferne Hoffnung. ´Die Liebe in Maßen´ dagegen ist bittersüße Selbstironie, ein Schlager noir für alle, die zu viel fühlen, zu laut, zu falsch, zu menschlich. ´Wir Kinder vom Bahnhof Zoo´, ein Duett mit Veronika Hahn, verwebt Großstadtmärchen und Absturzbericht, während ´Heiliges Land´ den Blick zurück auf Jugend und Idealismus richtet. Ja, das Engagement war naiv. Aber es hat wenigstens etwas bedeutet.

Am Ende steht ´Tristan und Elise´, das vielleicht schönste Liebeslied, das er bisher geschrieben hat. Kein Knall, kein Crescendo, nur dieser leise, zitternde Satz: „Ich hab dich so geliebt.“ Der Anfang und das Ende fallen hier ineinander. Das Wasser ist still geworden, das Licht weich.

Tristan Bruschs Werk ist kein Pop, der gefallen will. Es ist Pop, der aushält. Er singt nicht für die, die Antworten suchen, sondern für jene, die gelernt haben, mit den Fragen zu leben. Die Instrumentierung bleibt schlicht, Gitarre, Klavier und Streicher, doch seine Lieder explodieren innerlich. Er zitiert nirgends direkt, und doch hallen Namen wie Nick Drake, Chris Isaak oder Jacques Brel leise im Hintergrund mit. Am Ende aber bleibt: Tristan-Brusch-Musik. Ein eigenes Genre.

´Am Anfang´ ist das Album eines Künstlers, der nicht mehr beweisen muss, dass er groß ist. Er weiß es – und erlaubt sich deshalb, klein zu sein. Menschlich. Fehlbar. Wahr. Es ist ein feines Werk über Liebe, Verlust, Scham, Hoffnung, Glauben und das, was dazwischen bleibt. Über uns. Wer zuhört, hört nicht nur ein Album. Wer zuhört, hört sich selbst.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/tristanbrusch


(VÖ: 24.10.2025)

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