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ASSASSUN – Retrofate

2025 (Blackjack Illuminist Records) - Stil: Industrial Synthpunk/Post Punk

Berlin brennt, aber nicht im Feuerwerk der Nostalgie, sondern im giftigen Funkenflug der Zukunft. Mit ´Retrofate´ legt Alexander Leonard Donat – bekannt als Kopf von VLIMMER, FIR CONE CHILDREN, WHOLE und als Betreiber von “Blackjack Illuminist Records” – das vierte Kapitel seines Projekts ASSASSUN vor. Und dieses Kapitel schlägt ein wie ein rostiger Vorschlaghammer, gezielt, unbarmherzig, voller Reibung.

Seit dem ´Sunset Skull´ (2022), dem perkussiven Paukenschlag, über das finstere ´Chronic Quicksand Depression Morning´ (2023) und das dunkel flirrende ´Post-Climax´ (2024) hat sich ASSASSUN konsequent durch die Trümmerlandschaften unserer Gegenwart gefräst. ´Retrofate´ bündelt alles, in einer apokalyptischen Dringlichkeit, in einer industrialisierten Schwere sowie in melodischen Schatten. Herausgekommen ist die kompromissloseste Platte bisher.

Zerklüftete Elektronik trifft auf punkige Notwendigkeit. Beats pochen wie ein rostiges Maschinenherz im Betonbunker, kantige Synths schneiden durch die Luft, und Alexander Leonard Donats Sprechgesang wechselt zwischen Tagebuchgeständnis und politischem Kommentar. Er rappt, rezitiert, stößt Silben wie splitternde Geschosse aus – doch immer bleibt ein Rhythmus, der Körper und Geist gleichermaßen erzittern lässt. Die Songs sind sowohl Tanzflächen-Sprengstoff als auch intellektuelles Brennglas.

´Poisonalan´ eröffnet den Zyklus im tristen Büroalltag. Ein scheinbar banaler Arbeitstag wird zum Albtraum aus Anonymität, Smartphone-Süchten und “Elevator Voices”. Schon hier wird klar, dass die gegenwärtige Welt von Entfremdung und latenter Aggression geprägt ist.

´At The Kiwi Crates´ verlagert die Szenerie in den Supermarkt. Aus dem Einkauf zwischen Obstkisten entwickelt sich eine surreale Bedrohung. Ein Fremder verflucht den Erzähler, der Ringfinger glüht, das Alltägliche kippt in ein groteskes Omen. Konsumraum wird zum Schauplatz des Übernatürlichen.

´1995´ blickt zurück in die Kindheit – ein Fußballplatz, eine Begegnung mit Gewalt und Bedrohung, aber auch Rettung durch Fremde. Die Vergangenheit schiebt sich in die Gegenwart, alte Traumata tauchen wieder auf. Das Stück markiert eine erste Verdichtung der biografischen Linie.

´Past/I N B E T W E E N/Future´ setzt diesen Gedanken fort. Zeit selbst wird zum Hauptcharakter. Vergangenheit auf Papier, Zukunft auf Bildschirmen, und dazwischen ein ungreifbares Jetzt. Der Song liefert ein Bild für die Orientierungslosigkeit zwischen Erinnerungen und Zukunftsangst.

´D.E.A.T.H.´ konfrontiert den Hörer mit der Endlichkeit. Hier spricht das Album beinahe philosophisch. Tod als Prozess, als Idee, als unausweichlicher Taktgeber. Die Abstraktion wird körperlich – Glas, Wasser, Knochen – und lässt den Körper erzittern. Dieses Kapitel legt die Grundlage für den späteren Zusammenbruch.

´The Sons Of The United Plagues´ weitet die Perspektive ins Kollektive. Die Stimme spricht nicht mehr als Einzelperson, sondern als Teil einer Menschheit, die sich selbst in “perfect cages” einsperrt. Hier explodiert das Private ins Politische, unausweichlicher Schicksalsauftrag, Zerstörung von Erde und Empathie, der Mensch als eigene Plage.

´Abysmalism´ bringt die Geschichte zurück ins Arbeits-Setting, diesmal in die sterile Brutalismus-Architektur. Maschinen, Kaffeemaschinen, Kabel. Alles wirkt tot, alles gleichgültig gegenüber den Menschen, die hindurchlaufen. Doch die Stimmung bleibt fiebrig, als könnte der Beton jederzeit Risse bekommen.

´Off The Globe´ nimmt diese Erschöpfung auf und übersetzt sie in zwischenmenschliche Leere. Isolation in Beziehungen, Gesichter, die nicht passen, das ständige Gefühl, neben der Welt zu stehen – bis hin zum taumelnden Fall von der Weltkugel.

´G💩TEKEEPER´ thematisiert gesellschaftliche Mechanismen, die Zugehörigkeit, Kontrolle und Anpassung regeln. Perfekt verpackt, gescannt und freigegeben. Menschen werden zu Produkten, das Individuum geht in der Masse verloren, bis nur noch digitale Asche bleibt.

´The Concrete Of Time´ schließt den Zyklus. Eine Fahrt über die Autobahn endet im Stillstand. Zeit ist hier kein Fluss, sondern Beton, gegen den der Erzähler immer wieder mit dem Kopf schlägt. Alltag, Gedankenflucht und existenzielle Fragen verschmelzen. Der Kreis schließt sich im Gefühl, in der Gegenwart gefangen zu sein.

Die zehn Tracks entfalten eine düstere Geschichte aus Entfremdung, Bedrohung, Vergangenheit und gesellschaftlicher Kritik – ein Roman aus Klang, Rhythmus und apokalyptischer Vision. So wird ´Retrofate´ zu einem Manifest des Widerstands gegen Lähmung, Isolation und Anpassung. Ein Soundtrack für jene, die nicht in der Masse verdunsten wollen.

Alexander Leonard Donat formt aus Synths, Beats und Stimme einen dichten, rohen, kompromisslosen Kosmos. Mal tänzelt er knapp an der Kante zu Industrial, kratzt am Erbe von EBM und Post Punk, mal klingt es wie Clipping auf Speed, mal wie Sleaford Mods in einem verfallenen Technoclub. Und doch bleibt es unverwechselbar ASSASSUN, persönlich, bitter sowie bissig, und trotz aller Härte von dunkler Poesie getragen.

´Retrofate´ lässt dich nochmal tanzen, während die Welt um dich herum kollabiert.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/assassunband
https://blackjackilluministrecords.bandcamp.com/album/retrofate

 

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