
Eine meiner absoluten Lieblingskünstlerinnen ist zurück. Mit einem Knall, der so lange nachhallt, dass ich für dieses kleine Aufsätzchen wochenlang meine Gedanken ordnen musste, laut im Auto mitgesungen und -gelitten als auch für mich ein paar neue Mantras aus den Lyrics gezogen habe. Denn was uns nicht umbringt, macht uns härter – wie dieses Album eindrucksvoll beweist.
Beginnen wir der Ordnung halber (ihr kennt mittlerweile meine ´Rage For Order´ in meinem wirren Hirn) vulkanisch-logisch mit dem Anfang. Meinem Anfang mit AURORA FERRER. 2019. Ich weiß nicht mehr wie und warum ich bei der Fülle an Neuveröffentlichungen ausgerechnet über ´Night Oracles And Falling Stars´ gestolpert bin, habe mich aber direkt in Musik und Stimme verliebt. Leichte Elektronik mit diesem etwas düsteren, dramatischen und nachdenklichen Unterton.
War dieses kleine Juwel sehr intim und introvertiert, so reckt der Nachfolger nach sechs weiteren Jahre Lebenserfahrung die Faust nach oben und versprüht bei ähnlich dunkler Atmosphäre eine positive Energie – trotz oder gerade wegen allem, was Aurora in den letzten Jahren widerfahren ist. Das echte Leben halt.
Die Elektronik wurde minimiert, ist jedoch nicht etwa einer echten Bandkonstellation gewichen, die den Songs alleine schon mehr Wumms verleiht, sondern ist allgegenwärtig gleichberechtigt mit den “organischen” Instrumenten. Somit beschleicht dich bisweilen die Vermutung, dass die Musiker der GUANO APES mit denen von EVANESCENCE und PORTISHEAD sich zu Aurora in den Proberaum gesellt haben, weil sie alle auf ihre Stimme zwischen Tori Amos und Björk stehen, während Peter Gabriel an den Reglern des Mischpults die Feinheiten ausarbeitet. Würden THEATRE OF TRAGEDY heute so klingen, wenn sie die elektronische Richtung von ´Musique´ und ´Assembly´ mit einer überragenden Sängerin weiter verfolgt hätten?
Weiterhin begeistert die Dynamik zwischen leisen Tönen und mitreißenden Refrains. Mal sanft, sinnlich und nachdenklich wie die entrückte Sängerin im Roadhouse zu Twin Peaks oder eine mysteriöse Barsängerin in einem verrauchten Club eines Noir-Krimis von Quentin Tarantino – dann wieder kraftstrotzend, selbstbewusst und abgeklärt wie die Kämpferin, die Aurora wohl definitiv ist.
Nach zwei schwierigen Geburten und einer Diagnose zwischen Stimmverlust und zu frühem Lebensende ist die Unbeugsame wieder zurück im Leben und der Musik. In Indianerepen um weiße Männer, die mit Wölfen tanzen, wäre ihr indigener Name bestimmt „steht mit einer Faust“. Doch genug abgeschweift in die Welt des Films, back to Rock.
Leis´, ganz leis´ entführt uns das Intro ´Maybe´ in die Gefühlswelt von Aurora, wo ´Morning I Became´ die enorme Strahlkraft ihrer Stimme mit epischen, beinahe Metal-Arrangements entfacht. Besonders herauszuheben speziell beim Titelstück ´Time Crawlers´ ist das spannende, teils perkussive Drumming ihres langjährigen Musikgefährten Eric Beckmann, der zu ihren schwebenden Keyboardsounds zusammen mit Raoul Zillani am E-Bass und ihrem Gatten „Codename“ Dennis Bausdorf an der E-Gitarre mystische Atmosphären kreiert. Die Twists im mystischen Titelsong nehmen dich mit auf eine Reise in progressive Rock-Gefilde.
Der absolute Top Ten-Hit des Albums ist definitiv die flotte und schnell gesungene Nummer ´Get Some Sleep´, die im Gegensatz zum Titel eine aufputschende Wirkung entfaltet mit dem Drive, der mich an das RUSH-Stückchen ´Breaking The Habit´ von LINKIN PARKs zweiten Album ´Meteora´ erinnert und mit einer fetten Orchestrierung aufwartet. Der Vergleich trifft gerade jetzt, da die Amis mit der wunderbaren Emily Armstrong eine richtige, wenn auch mutige Entscheidung getroffen haben und ebenfalls die Brücke zu den GUANO APES schlagen. Vorsicht dabei mit dem Gas beim Autofahren! Der Sommerhit für Abfahrer statt Leutchen, die sich um Bauch, Beine und Po Gedanken machen.
Danach begeben wir uns in den schützenden ´Cocoon´ dessen hypnotischer Rhythmus von doomig-fetten Gitarrencords unterbrochen wird, über denen Auroras fantastische Stimme thront, uns danach ausbremst und ruhig, ganz ruhig in ruhige Gefilde entlässt, wo wir unser hoffnungsvolles Mantra finden:
Become yourself:
Don’t drown your soul in misery
Nach einem fast schon proggigen Bandfinale vor einer mächtigen Wall of Sound führt das einfach wunderschön gesungene E-Piano-Interludium ´Random Page´ inklusive PURE REASON REVOLUTION-Elektronik weiter zu den ´Ripping Tongues´, die anfangs leise in deinen Geist vordringen und dort im Hard & Heavy-Mantel einen mitreißenden Refrain hinterlassen, der geschaffen ist, dort zu bleiben. Ja, genau so könnten THEATRE OF TRAGEDY heute klingen.
How much of your pride are you able to swallow?
Nun werden aufmerksame Kinder langsam ungeduldig und beginnen trotz all’ dieser überirdischen Klasse zu fragen, ob auch wieder ein kleines Stückchen Avantgarde-Queensryche mit einem ´Rage For Order´ Moment auf diesem zweiten Album zu entdecken ist. Ja, Kinder – wer sich in der Materie auskennt, wird sich nach den anfangs hektischen, schnell gesungenen Strophen von ´Autospcopy´ beim ersten Refrain (oder Bridge) sofort vorstellen, wie der gute Geoff diese Melodie auf besagtem Album verewigt hätte. Die Überraschung ist der Wechsel zu einem ruhigen, schwebendem zweite Höhepunkt. Der geneigte Metaller wird dagegen den Rest des Tages diese Zeilen am oberen Ende seiner Lungenskala mitsingen:
I’ll never come back to my self and I know now
Doch Aurora wäre nicht Aurora, wenn sie zum Schluß mit ´The Covenant´ noch einmal an der Spannungsschraube drehen würde. Schleichender, atmosphärischer Progressive Rock geleitet uns in das zweite Mantra des Tages mit einer über allem tanzenden Stimme und der Erkenntnis:
With the eyes of god we will face our fears
Yet there is no god, so what’s there to fear?
Was schon für ´Night Oracles And Falling Stars´ galt, findet ihr auch hier: die Essenz des Lebens und der Musik. ´Time Crawlers´ macht genau das, was diese Kunstform Musik so aufregend gestaltet: Sie transportiert und weckt Emotionen. Und bei AURORA FERRER geht das so tief wie bei kaum einem anderen Künstler zur Zeit in meiner kleinen Welt. Momentan fällt mir gerade kein Album dieser Art ein, außer Toris ´Little Earthquakes´ oder Mimmis ´Semper Eadem´, was mich mal so mitgenommen hat. Genießt diese Achterbahnfahrt der Gefühle und bereitet euch jetzt schon auf ein Live-Erlebnis der Sonderklasse vor. Bis dahin viel Freude und emotional hohe Herzfrequenz mit einem der zehn besten Alben des Jahres 2025… und darüber hinaus.
And all the things they said that I would know
Don’t matter here at all
Life will dance with Death at dawn
And drink tea after midnight – or until it’s over
auroraferrer.bandcamp
facebook.com/aurora.ferrersancho
Artwork by Alfi Feijoa
Illustration by Dinah Tenten