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JOHN COLTRANE – Coltrane Jazz

1961/2025 (Analogue Productions/Atlantic 75 Series) – Stil: Jazz

Nur wenige Monate nach den Aufnahmen zu seinem Meisterwerk ´Giant Steps´ holt sich John Coltrane im November und Dezember 1959 vertraute Begleiter in die “Atlantic Studios” von New York City. Mit Wynton Kelly am Klavier, Paul Chambers am Bass und Jimmy Cobb am Schlagzeug spielt er sein nächstes Album unter dem Titel ´Coltrane Jazz´ ein

Anders als ´Giant Steps´, das ausschließlich aus eigenen Kompositionen bestand, wirkt ´Coltrane Jazz´ eher wie eine Zwischenetappe. Es verbindet John Coltranes melodische Klarheit mit dem Blick nach vorn, so dass erste Anzeichen seines nächsten künstlerischen Schrittes hörbar werden. Das Album zeigt damit nicht nur eine kreative Übergangsphase, sondern markiert auch John Coltranes Weg in die musikalische Unabhängigkeit. Im Frühjahr 1960 löst er sich endgültig von der Miles Davis Band, um mit einer eigenen Formation auf Tour zu gehen. Nach ersten Konzerten in wechselnder Besetzung findet sich schon bald das legendäre klassische Quartett zusammen.

Einen markanten Ausblick auf diese neue Ära bietet ein Titel in der Besetzung aus Pianist McCoy Tyner, Bassist Steve Davis und Schlagzeuger Elvin Jones. ´Village Blues´ entsteht am 21. Oktober 1960 als erstes Stück dieser Formation und nachträglich letztes Stück von ´Coltrane Jazz´. Die Aufnahme dieses einen Titels markiert daher nicht nur die Geburtsstunde eines der bedeutendsten Ensembles der Jazzgeschichte, sondern auch einen stilistischen Wendepunkt hin zu mehr Offenheit, Raum und spiritueller Tiefe.

´Coltrane Jazz´ erscheint Anfang 1961 als erstes Album nach ´Giant Steps´ und bezeugt mit seiner Mischung aus Kraft, Eleganz und Reife einmal mehr John Coltranes unermüdlichen Drang zur Weiterentwicklung. Es ist somit ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zu einer ganz neuen Sprache im Jazz.

´Coltrane Jazz´ erscheint derzeit zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ im echten Goldstandard auf Vinyl. Denn „Analogue Productions“ haben sich dem Jubiläum angeschlossen und veröffentlichen die Scheibe ihrerseits auf einem 180g schweren Doppel-Vinyl mit 45 rpm, natürlich gepresst bei „Quality Record Pressings“, vom analogen Original-Masterband von Ryan K. Smith gemastert, in einem aufklappbaren Gatefold Pocket Jacket.

Die bekannte Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt zu diesem unglaublichen Sound. Völlig rauschfrei, makellos flach und ohne jegliche Nebengeräusche. John Coltranes Spiel wirkt so lebendig, dass man ihn förmlich um das Mikrofon herumgehen hört. Ryan K. Smiths Remastering lässt jede Nuance glänzen und rückt das Album in ein audiophiles Licht, das es so bislang kaum erfahren hat.

Nach dem visionären Aufbruch von ´Giant Steps´ wirkt ´Coltrane Jazz´ auf den ersten Blick wie eine Rückkehr zur Normalität. Doch bei genauem Hinhören zeigt sich, wie sehr sich John Coltrane bereits weiterentwickelt hat. Die meisten Stücke, eine ausgewogene Mischung aus Standards und eigenen Kompositionen, machen deutlich, wie ausgeprägt sein harmonisches Denken und wie präzise sein technisches Können zu dieser Zeit schon sind.

Der Einstieg mit ´Little Old Lady´, einer charmanten Komposition von Hoagy Carmichael und Stanley Adams, überrascht mit Leichtigkeit und swingender Spielfreude. John Coltrane interpretiert die Melodie auf seinem Tenorsaxophon äußerst flüssig, während Wynton Kellys Piano das Ganze elegant umspielt. Mit einem flotten Tempo und einem Hauch von Bossa Nova im Ausklang wird das Stück zu einer unerwartet beschwingten Eröffnung.

Auf andere Weise zeigt sich hingegen ´Village Blues´ in der Ästhetik der kommenden Jahre, sozusagen als musikalischer Beginn der „Classic Quartet“-Ära. Denn es ist als einziges Stück des Albums mit der neuen Band um McCoy Tyner, Elvin Jones und Steve Davis aufgenommen worden. Die harmonische Sprache öffnet sich, das Tempo verlangsamt sich, das Zusammenspiel bekommt mehr Raum. McCoy Tyner malt impressionistische Akkordflächen, während John Coltrane in dieser ruhigen, fast meditativen Atmosphäre mit reduzierten, aber eindringlichen Linien antwortet.

´My Shining Hour´ von Harold Arlen und Johnny Mercer bringt jedoch umgehend wieder Schwung ins Album. John Coltrane spielt die Melodie kraftvoll, beinahe hymnisch, mit auffälligen Phrasen sowie melodischen Sprüngen und Wynton Kelly steuert hier ein besonders geschmackvolles Solo am Klavier bei, traditionell, aber nie konventionell.

Die Originalkomposition ´Fifth House´ beendet die erste LP-Seite. Auf Grundlage der Akkordstruktur von Tadd Damerons ´Hot House´ entwickelt John Coltrane eine Kontraversion, ein neues melodisches Konzept, das durch weite Intervallsprünge und eine geheimnisvolle Ostinato-Figur geprägt ist. Sein Solo zieht sich spiralförmig in die Höhe und wird dabei vom feinfühligen Zusammenspiel des Trios getragen.

Die B-Seite beginnt mit ´Harmonique´, einer rhythmisch abstrakten, doch melodisch klar gezeichneten Miniatur. Hier spielt John Coltrane mit dem Klang, mit Glissandi, mit Schichtungen, sozusagen eine Mischung aus „Harmonie“ und „Technik“, denn beides steht im Zentrum dieses Stücks. Die Phrasierung ist dabei geschärft, der Ausdruck hochkonzentriert.

John Coltranes musikalische Hommage an Sonny Rollins, ´Like Johnny´, ist eine weitere Eigenkomposition, samt einem weichen Bossa-Groove und einer melodischen Idee, die auf Sonny Rollins’ Solo in ´My Old Flame´ zurückgeht. John Coltrane verarbeitet diese Phrase zu einem komplexen Solo, voller rhythmischer Feinheiten und harmonischer Umspielungen. Wynton Kelly spielt zurückhaltender, denn der Fokus liegt klar auf John Coltranes Improvisation.

´I’ll Wait And Pray´ ist ein Song aus der Vorkriegszeit, bekannt durch Sarah Vaughan, und gehört zu den seltenen Momenten, in denen John Coltrane sein Spiel fast vollständig zurücknimmt. Ohne Vibrato, mit trockenem Ton und viel Respekt vor der Vorlage spielt er subtil und fast zerbrechlich, doch gerade darin liegt die Wirkung dieses Tracks.

Abgeschlossen wird das Album durch ´Some Other Blues´, ein swingender, originärer Blues im mittleren Tempo. John Coltrane bleibt dabei stets über dem Groove. Das Stück bringt das Quartett allerdings noch einmal richtig in Fahrt, bevor das Album mit einem Augenzwinkern und einem offenen harmonischen Schluss ausklingt.

´Coltrane Jazz´ ist kein Klassiker im Sinne von ´Giant Steps´ oder ´My Favorite Things´ – es ist vielmehr eine Verortung im Moment, eine Konsolidierung der Errungenschaften mit Blick auf das Kommende. Der Ausdruck bleibt kühl und kontrolliert, doch die Virtuosität ist unbestritten.

Zwischen lyrischen Standards und durchdachten Eigenkompositionen entsteht ein Album, das zwar nicht experimentell aufbricht, aber musikalisch souverän zeigt, warum John Coltrane zu Recht als einer der einflussreichsten Saxophonisten seiner Zeit galt.

´Coltrane Jazz´ ist ein Album von bleibender Relevanz, auch ohne lebensgroßen Kultstatus.

(Meisterlich)

https://www.facebook.com/johncoltrane

24. November 1959 und 2. Dezember 1959
John Coltrane – Tenorsaxophon
Wynton Kelly – Klavier
Paul Chambers – Bass
Jimmy Cobb – Schlagzeug

21. Oktober 1960 (´Village Blues´)
John Coltrane – Tenorsaxophon
McCoy Tyner – Klavier
Steve Davis – Bass
Elvin Jones – Schlagzeug

 

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