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ISAAC HAYES – Hot Buttered Soul

1969/2024 (Craft Recordings/Enterprise) - Stil: Progressive/Psychedelic Soul

Bevor Isaac Hayes mit seiner unglaublichen Stimme, seiner Glatze und einer riesigen Sonnenbrille zum Superstar des Soul wurde, war er der kreative Geist im Hintergrund von “Stax Records”. Dort in Memphis arbeitete er als Songwriter und Produzent, der mit David Porter zusammen viele Hits in die Welt setzte. Sie komponierten auch den mächtigen Klassiker ´Soul Man´, der nicht nur ein großer Erfolg für Sam & Dave war, sondern Musik-Geschichte schrieb.

Lange Zeit war Isaac Hayes nur der Mann hinter den Kulissen. Er schrieb Texte, produzierte Songs und spielte in Sessions, ohne selbst im Rampenlicht zu stehen. 1968 bekam er jedoch mit seinem ersten Soloalbum ´Presenting Isaac Hayes´ seine Chance. Doch das Album verkaufte sich furchtbar schlecht und Isaac Hayes wollte sich bereits wieder hinter die Kulissen zurückziehen, als “Stax Records” all ihre Künstler aufforderte, neue Alben aufzunehmen. Wegen eines Lizenzproblems mit “Atlantic Records” hatten sie all ihre Alben verloren und brauchten zum Überleben dringend neue Songs.

Isaac Hayes wollte allerdings nur unter seinen Bedingungen wieder mit eigenen Studioaufnahmen beginnen. Er beanspruchte die vollständige kreative Kontrolle und konnte somit ohne jegliche Einschränkung die Produktion realisieren. Dementsprechend kreierte er alles, nur nicht ein gewöhnliches Soul-Album. Er schuf ein episches Projekt mit nur vier Kompositionen, aber jede für sich ein kleines Meisterwerk.

Mit in den “Ardent Studios” von Memphis, Tennessee, waren THE BAR-KAYS als seine Begleitband, Marvell Thomas am Klavier und Terry Manning an den Mischpulten. Später in den “Tera Shirma Studios” von Detroit, Michigan, fügten sie noch eine großartige Streicherbegleitung hinzu. Alles klang überlebensgroß. Das war kein normaler Soul mehr, das war Soul in einer neuen Dimension. Isaac Hayes stand dort nicht nur am Mikrofon, sondern leitete die Band, spielte Orgel und schaffte es, jede Aufnahme mit großer Leidenschaft durchzuziehen.

Durch ´Hot Buttered Soul´ blieb Isaac Hayes nicht mehr der Mann im Schatten des Musikgeschäfts. Denn das Album schlug wie eine Bombe ein. Plötzlich gab es jemanden, der Soul neu definierte – langsamer, länger und voller Gefühl. Ein Mensch in Goldkette und Sandalen. Ein Prophet auf dem Plattencover. Zwei Jahre später wurde Isaac Hayes mit ´Black Moses´ und dem Oscar-gekrönten ´Theme From Shaft´ endgültig zur Soul-Legende. Aber es war ´Hot Buttered Soul´, das den Grundstein legte.

´Hot Buttered Soul´ wird aktuell in der “Small Batch”-Reihe von “Craft Recordings” mit einer “One-Step”-Veröffentlichung gewürdigt. Wie alle “Small Batch”-Titel wurde ´Hot Buttered Soul´ durch Bernie Grundman von den Originalbändern (AAA) gemastert und bei RTI mit Neotechs VR900-Compound in einem One-Step-Lackierverfahren auf 180g Vinyl gepresst.

Die auf 3.000 Exemplare limitierte Auflage sollte somit über ein Höchstmaß an musikalischer Detailliertheit und Dynamik verfügen. In diesen Disziplinen sticht die geräuschlose “Small Batch”-Pressung auch andere mit Klarheit und Naturtreue aus. Doch sie kann ebenso mit einer deutlichen Stereotrennung punkten und kommt sogar den Klanglandschaften der frühen Ausgaben nahe. Es erweist sich aufs Neue als zutreffend, dass nicht unbedingt die Erstpressungen mit dem besten Sound ausgestattet sind.

´Hot Buttered Soul´ klingt wie eine riesige Kathedrale aus Samt, Rauch und Gold, mit Isaac Hayes als Prediger und Verführer. Dieses Werk von 1969 ist kein gewöhnliches Soul-Album; es ist ein echtes Credo. Es gibt nur vier Songs, mehr standen womöglich so kurzfristig nicht zur Verfügung. Es gibt vier lange Epen anstatt kurze Radiostücke, womöglich um dem Album mit einer gewissen Länge gerecht zu werden. Damit widersetzt sich Isaac Hayes allen Konventionen und bricht mit den Regeln der Popmusik. Diese mutige Entscheidung wird fortan den Soul der späten Sechzigerjahre prägen, mit einem Sound, der gleichzeitig schmerzhaft, stolz und funky ist.

Isaac Hayes schnappt sich den Burt Bacharach-Klassiker ´Walk On By´ und verwandelt ihn in etwas völlig Neues, in ein zwölfminütiges Epos. Die wunderschönen und herzzerreißenden Streicherpassage sorgen für die erste Berührung. Dann folgen psychedelische Gitarrenlicks, die alle in ihren Bann ziehen. Die Stimme ist tief und eindringlich, und es ist mehr ein Klageruf als ein Liebeslied. Passend dazu verschmelzen die pochenden Bässe im Studio-Cross-Fade. Sobald Isaac Hayes neue musikalische Wege beschreitet, wird es sogar hypnotisch. Sein brillantes Orgelspiel verleiht dem Lied zwar eine weitere eigene Note, aber erst die Gitarre legt dem Hörer endgültig die Fesseln an. Majestätisch erheben sich zur orchestrierten Präzision auf unorthodoxe Weise die rohen psychedelischen Töne, dramatisch und aufrichtig.

Beim nächsten Song muss der Hörer erst mehrmals schlucken, ehe er den Titel ´Hyperbolicsyllabicsesquedalymistic´ in seiner Gänze erfasst hat. Der neunminütige Zungenbrecher treibt sein funky Spiel mit Worten über Intellekt und Coolness entsprechend der sündigen, aber gleichzeitig ernsten Stimmung des Albums weiter voran. Dabei dominiert der Groove und der Bass bleibt schwer. Isaac Hayes philosophiert, als ob er die Straßen von Memphis im Cadillac abfährt, derweil ebenfalls wieder diese aufreizende Wah-Gitarre vorbeischaut.

Innerhalb von ausnahmsweise nur fünf Minuten zeigt Isaac Hayes in den ruhigen Momenten von ´One Woman´ seine verletzliche Seite, es ist eine ehrliche Beichte, über Begehren und Untreue – einfach und ergreifend. Seine kraftvolle und warme Stimme steht dabei unberührt vom Orchesterarrangement im Mittelpunkt.

Am Ende werden alle Zeuge eines epischen Dramas über Abschied und verletzliche Männlichkeit, während die Musik zwischen minimalistisch und eruptiv schwankt. Das achtzehnminütige ´By The Time I Get To Phoenix´ beginnt mit einem langen Monolog, in dem der Prophet die traurige Geschichte einer zerbrochenen Ehe schildert. Somit wird das Stück zu einer wahren Neuinterpretation des Originals, von Jimmy Webb geschrieben und von Glen Campbell popularisiert, zu einer endlosen Katharsis aus gebrochener Liebe und pulsierenden Rhythmen. Am Ende gibt es zwar keine wirkliche Auflösung, aber musikalisch einen orgasmisch erwachsenden Höhepunkt – und alle werden Zeuge von etwas Echtem.

Isaac Hayes hat mit diesem Meisterwerk eine musikalische Welt erschaffen, die heute noch zeitgemäß klingt. Und er beantwortet mit ´Hot Buttered Soul´ letztlich auch die Frage, ob Soul echte Kunst sein kann.

(Klassiker)

https://www.facebook.com/isaachayes

 

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