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MOTÖRHEAD – The Löst Tapes: The Collection (Vol. 1-5)

~ 1984-2008 / 2024 (BMG Rights) – Stil: Motörhead ~


Ja, ja, ich hatte auch Tapes. Bin ja auch schon mittleren Alters. Ja, ja, und ich wiederhole mich. Habe das schon einmal hier erzählt.

Aber weil sich niemand mehr daran erinnern wird, einfach eine Wiederholung (wie die immer wieder wiederholten Veröffentlichungen von MOTÖRHEAD): Die ersten Metalplatten wurden mir auf Tape überspielt. Der Sohn vom ehemaligen VfB Stuttgart Trainer Jürgen „Wundermann“ Sundermann und „Dalli Dalli“- Moderatorin Monika Sundermann arbeitete beim Plattenladen Govi in Stuttgart. Statt mit Geld ließ er sich mit Platten bezahlen, die über mehrere Runden und meinen Kumpel Ingo dann mich auf Tapes erreichten. Habe den Verursacher leider nie kennengelernt, aber danke! Der Sound auf den Tapes war erstaunlich gut. Habe seitdem ein halbes Vermögen in die Platten und CDs gesteckt, die ich natürlich fast alle – nachdem mich das Metal-Fever erfasst hatte – im Original haben musste.

Das ist meine Geschichte mit den Tapes, die schnell auch bei vielen durch die pathologische Sammlung von Live-Tapes ersetzt wurde. Um die geht es hier. Genauer gesagt um Tapes, die MOTÖRHEAD selbst zu Archivzwecken aufgenommen haben und die irgendwann im Keller von Lemmy gefunden und dann digitalisiert wurden. So zumindest die Legende. Die fünf bisher veröffentlichten Konzerte (als Vinyl, Vol. 5 erscheint zeitgleich mit der CD-Box) sind hier als 8er CD zusammengefasst. Bei den Vinyls ist wohl auch so einiges presstechnisch daneben gegangen, wie zumindest Leidtragende im Web schildern.

Nr. 1 – The Löst Tapes Vol 1: Live at Sala Aqualung, Madrid 1st June 1995 (2CD):

Beginnt etwas dumpf mit ´Ace Of Spades´, der Sound wird dann besser. Lemmy nutzt viele Kraftausdrücke, macht Witze, erzählt kurze Geschichten für die Señoritas. ´Metropolis´ dröhnt aus den Boxen und weitere Klassiker. Aber auch Songs wie ´Sex & Death´ oder ´Dog Face Boy´ („The Song I wrote for Philip“) vom damaligen sehr ordentlichen Opus ´Sacrifice´.  Der Sound ist ziemlich kräftig und klar (für MOTÖRHEAD-Verhältnisse). ´Burner´ wird um die Ohren gehauen. Superhart. ´Orgasmatron´ folgt metallisch fies, bis das Blut in den Ohren kocht. Mit ´Lost In The Ozone´ wird es auch mal sanfter. Bevor Mikkey Dee und Lemmy solieren. Außergewöhnlich vielleicht ´Silver Machine´, Lemmys Hit mit HAWKWIND (in der Schweiz auf Platz 1 der Charts), der an den MOTÖRHEAD-Sound angepasst vor den Rausschmeißern ´Iron Fist´ und ´Overkill´ (leider ausgeblendet oder ging das Band aus?) gespielt wird. 24 Songs werden in Madrid in knapp 90 Minuten heruntergeprügelt. Fazit: Besser als so manche schon veröffentlichten Live-Alben. Sehr stark.

Nr. 2 – The Löst Tapes Vol 2: Live at University of East Anglia Norwich, 18th October 1998 (2CD)

Der Start mit Sirenen und ´Bomber´ standesgemäß. 22 Songs in 90 Minuten. ´Snake Bite Love´ hieß das aktuelle Album. Und neben Klassikern wie einem luftigen ´The Chase Ist Better Than The Catch´ und einem dynamischen ´Too Late, Too Late´ gibt es u.a. das speedige ´Take The Blame´, das eher farblose ´Love For Sale´ und den Titelsong vom neuen Album, aber auch Songs des Vorgängers ´Overnite Sensation´ wie das mächtige ´Civil War´. Sogar ´Shine´ vom verkannten Klassiker ´Another Perfect Day´ und das im Refrain doppelt eingesungene ´Born To Raise Hell´.

Ein düsteres  ´Orgasmatron´, ´Stone Dead Forever´ und das launige ´Going To Brazil´ führen dann in die Power-Schlussrunde mit vier Klassikern (´Killed By Death´ , einem gnadenlosen ´Iron Fist´, ´Ace Of Spades´ und ´Overkill´) ein. Der Sound insgesamt auch stark, nicht ganz so brutal wie Madrid, dafür noch differenzierter und auch sehr empfehlenswert. 1998 sah ich auf der Tournee, die zur ´Everything Louder Than Everyone Else´-Aufnahme führte, auch mein bestes MOTÖRHEAD Konzert.

Nr. 3 – The Löst Tapes Vol 3: Live at KB Hallen, Malmö 17th November 2000 (2CD)

Zwei Jahre später, Skandinavien und ´We Are Motörhead´ veröffentlicht. Tatsächlich startet die Band mit dem Titelsong des neuen Albums . „Good evening. We are Motörhead with feedback on the vocals and we gonna brush your head“. ´Bomber´ folgt. Der Sound ist zu Beginn noch etwas dünner, wird aber schnell besser. Die Spielfreude ist groß, die Setlist die gewohnte Mischung aus Klassikern und damals aktuellen Songs wie dem Cover ´God Save The Queen´ oder dem düsteren ´Stay Out Of Jail´. Stimmlich liegen Lemmy und die Kollegen bei den gemeinsam gesungenen Refrains nicht immer ganz dicht zusammen (´Born To Raise Hell´), sonst ist alles wie aus einem Guss. Viele Höhepunkte wie ein launiges ´Damage Case´ oder ein wieder sehr dunkles ´Orgasmatron´. Ansonsten keine Überraschungen bei den Klassikern, die wie im vorherigen Konzert wieder aus den vier gleichen Songs bestehen, auch vorher gibt es zumindest mit ´Broken´ von ´Overnight Sensation´ noch ein nicht so häufig gespieltes, interessantes Lied. Insgesamt alles auch super.

Nr. 4 – The Löst Tapes Vol 4: Live at Sporthalle, Heilbronn, 29th December 1984 (1CD)

Ja, die Weihnachtskonzerte in Deutschland, beliebt und legendär. Pete Gill, Würzel und Phil Campbell folgten hier auf die Episode mit Brian „Robbo“ Robertson, die live bei Lemmy eher Traumata verursachte. Also Doppel-Gitarre angesagt, was kein Fehler ist. „Guten Abend“ dieses Mal, dann entfacht die Band mit ´Iron Fist´ einen Höllenlärm. Ja, wir sind deutlich früher dran in der Geschichte der Band als auf den vier vorherigen Aufnahmen. Die Band ist weniger eingespielt, dafür sehr angriffslustig. ´Stay Clean´ und ´Heart Of Stone´ bringen die alte Sporthalle zum Glühen. ´The Hammer´ und ´Jailbait´ waren hier noch feste Bestandteile des Live-Sets. Der Sound wird deutlich besser. ´Steal Your Face´ vom ´No Remorse´- Album, einer von den damals neu eingespielten Songs wie auch der spätere Klassiker ´Killed By Death´ („This is our last single (…) however it’s still available. Buy it tomorrow!“) setzen hörbare Duftmarken der neuen Besetzung. ´Ace Of Spades´ folgt ohne Pause. Und dann werden ab ´(We Are) The Roadcrew´ (mit Schreiansage für Adrian) Klassiker auf Klassiker (´Bite The Bullet´ und ´The Chase Is Better Than The Catch´ im kräftigen Doppelpack, ´No Class´, ´Motörhead´ mit berstendem Bass-Intro, ´Bomber´, ´Overkill´) den Heilbronnern um die Ohren gehauen. Die neue Besetzung und Lemmy wollten nach den wenig geglückten Konzerten mit Gitarrenmeister Brian „Robbo“ Robertson etwas beweisen (und Lemmy konnte wieder auf die alten Krachmacher zurückgreifen). 19 Songs insgesamt und 64 Minuten. Starkes Stück. Legendär.

Nr. 5 – The Löst Tapes Vol 5: Live at Donington, Download Festival 13th June 2008 (1CD)

Einen ganz anderen MOTÖRHEAD-Lebensabschnitt präsentiert dann das letzte digitalisierte Tape. 2008, Festival in Donington. ´Motörizer´ war im Anflug, aber noch nicht veröffentlicht und berücksichtigt. ´Doctor Rock´ von ´Orgasmatron´ startet und es wird deutlich, dass sich Lemmys unverwüstliche Stimme im direkten Vergleich zu 1984 schon ganz schön verändert hat. Etwas tiefer und ein wenig kaputter. Der Sound ist aber sofort sehr präsent. Nach ´Stay Clean´ kommt das bleischwere ´Be My Baby´ vom ´Kiss Of Death´ Album und ´Killers´ vom 2004 Album ´Inferno´. ´Metropolis´ in einer leicht abweichenden Variante (gitarrenmäßig). ´Over The Top´ von der ´Bomber´- Single ist auch dabei. Und natürlich Bob Segers ´Rosalie´ in der Power-Variante von Lemmy Kumpel Phil Lynott und THIN LIZZY. Nach ´In The Name Of Tragedy´ von ´Inferno´ biegt man unwiederbringlich auf die Klassiker-Schiene ab. Insgesamt sehr überzeugender Sound und 14 Songs über eine gute Stunde. Bei ´Ace Of Spades´ und ´Overkill´ („The best drummer in the world – Mikkey Dee“) kommt sogar der sympathische Krachmacher Würzel als Gast mit auf die Bühne (der leider schon 2011 verstarb).

Wer alles von MOTÖRHEAD braucht (und das hier braucht man dann schon) kann auf diese Box zurückgreifen oder die deutlich teueren Vinyl-Varianten wählen.

Insgesamt: historisch äußerst wertvoll. 99 Songs und nie langweilig. Ehrlich. Das verstehen nur MOTÖRHEAD-Verrückte. Aber die sofort. Nostalgikerinnen und Nostalgiker können die CDs ja auf Tape überspielen und von Hand beschriften (vielleicht kommt die Tape-Ausgabe aber auch noch, heute ist man ja eher faul).

 

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(VÖ: 22.02.2024)