FEHLFARBEN – Handbuch für die Welt

~ 2007/2023 (Tapete) – Stil: Rock / Indie Rock ~

FEHLFARBEN haben für mich eine Ausnahmestellung im deutschen Rock. Für viele ist bei der Band nur ihr wegweisendes Debüt ´Monarchie Und Alltag´ präsent. Aber sie haben 2002 mit dem furiosen ´Knietief Im Dispo´ ein großartiges Comeback gestartet. Und seitdem sind fünf weitere hervorragende Alben entstanden. Leider haben sie nur wenig Aufmerksamkeit bekommen.

´Handbuch Für Die Welt´ war dabei immer für mich das am wenigsten geliebte Album unter den sechs. Aber nur im Hinblick auf die gewaltige Konkurrenz der fünf anderen Alben. Denn an sich ist es auch völlig empfehlenswert. Deshalb umso schöner, mal wieder tiefer in die Platte einzutauchen, die jetzt zum ersten Mal auf Vinyl veröffentlicht wird.

Und ja, nach dem ordentlichen, klassischen Opener ´Anders geblieben´ gibt es mit ´Es gibt immer ein Morgen´ (erinnert irgendwie an ´Monarchie und Alltag´) und ´Morgengrauen´ oder ´Traurige Geschichte´ ganz nette, aber musikalisch für mich irgendwie etwas inkonsequente Songs. Textlich ist alles wie immer hervorragend.

Dafür ist mit ´Politdisko´ einer der allerbesten Songs von FEHLFARBEN auf dem Album. Perfekte Medien- und Gegenwartskritik. Klasse. „Es mag ja wirklich schlimm sein. Und es tut mir vielleicht leid. Aber zum richtig gut sein. Da hab ich keine Zeit.“ Auch das suizidale, hoffnungslose und gleichzeitig hoffnungsfreudige ´Am Ende das Meer´ kann 100%ig überzeugen und das auch ähnlich wie ´Poltidisko´ ziemlich böse ´Teufel in Person´. Woher diese Band diese gewaltige Kreativität nimmt, ist bewundernswert.

Das Titellied gegen ständige Erreichbarkeit, Beschleunigung und hirnlose Entblößung und Dauertherapie gerichtet, alles Themen, die 2007 so richtig in Schwung gerieten und auch heute noch aktuell sind. Auch musikalisch ein Schwergewicht und insgesamt sehr stark. Dafür ist ´We do wie du´ ein harmloser Quatsch. Auch ´Das schöne Herz´ kann mich nicht wirklich überzeugen. ´Sprachlos´, ein typischer Peter Hein Titel, aber etwas undifferenziert. Der kulturell affine Wutbürger Peter Hein, wie immer ein Genuss, der einen nachdenklichen und unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. ´Geteilte Welt´ ist ein schöner, einen intellektuell berührender, Abschluss. 

Doch, auch jetzt das Fazit: Es gibt stärkere Alben, mit fast nur starken Liedern. ´Handbuch für die Welt´ ist nicht das absolute Glanzstück seit ´Knietief im Dispo´. Zumindest ´Xenophonie´, ´Über….Menschen´ und das letztjährige ´?0??´ waren insgesamt stärker. Aber immer noch besser als 99% der deutschsprachigen Künstler. Nie peinlich oder langweilig. Insgesamt hat das Album etwas mit der Wiederentdeckung bei mir noch an Ansehen zugelegt.

(8,5 Punkte)

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(VÖ: 15.09.2023)