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SLIPKNOT – The End, So Far

~ 2022 (Roadrunner) – Stil: Nu Metal ~


Die Mythologie rund um SLIPKNOT ist zweifellos auch ein erheblicher Teil ihres Erfolgsgeheimnisses, und seit ihrem selbstbetitelten, bahnbrechenden Debüt von 1999 wurde ein Großteil dieses Schleiers nach und nach gelüftet. Wie ein gewundenes Erbe, das die Band durch mehrere Iterationen geführt hat: Masken, Mitglieder und Musik haben sich alle weiterentwickelt, während die glorreiche Nu-Metal-Ära aus ihrem eigenen Zeitgeist heraus verpufft ist, und 2022 findet SLIPKNOT nun wieder in einem ganz anderen Raum statt.

„Ist das nicht das, wofür du hierher gekommen bist?“, schreit Corey Taylor auf ´Warranty´, mit einem wilden Ruf zu den Waffen, und auf halbem Weg durch ihr mittlerweile siebtes Album – und schon fünf Sekunden später setzt eine Batterie aus Schlagzeug und gezackten Gitarren ein, und die Hölle bricht los! Es ist eine tollwütige Erinnerung daran, dass nach 27 Jahren Vernichtung die unberechenbare neunköpfige Abrissmannschaft so unzähmbar ist wie eh und je.

Dennoch startet ´The End, So Far´ mit einer faustdicken Überraschung. Der ruhige, nachdenkliche Opener ´Adderall´ wirkt wie eine gespenstische Version von RADIOHEADs ´Kid A´, komplett mit gruseligen Keyboards und verstümmelten Effekten, bevor er in das benebelte Gebiet von ALICE IN CHAINS` ´Jar Of Flies´ abbiegt.

 

 

Natürlich servieren die neun Maskenmänner mit den frenetischen Singles ´The Chapeltown Rag´ und ´The Dying Song (Time To Sing)´ auch jede Menge Madenköder der alten Schule, und das unerbittliche ´H377´ stürzt mit wahnsinniger, aber methodischer Präzision und kolossalen Refrains direkt in die Kehle hinein. Aber schon der düstere und experimentelle Vorgänger ´We Are Not Your Kind´ hatte eindrucksvoll bewiesen, wie schwierig es ist vorherzusagen, wohin SLIPKNOT als nächstes gehen werden.

Das Album ist in seiner Gänze zwar keineswegs ein zynisches Derivat von Taylors Hardrock-durchdrungenen STONE SOUR, aber das lebhafte ´Heirloom´ beispielsweise ist oft nur aufgrund der perkussiven Instrumente von Clown und Tortilla Man sowie der Samplings von Diskjockey Sid Wilson als wirkliche SLIPKNOT-Ware zu identifizieren.

Die Songs spielen dennoch überwiegend mit zahlreichen Schichten, experimentellen Tönen und neuen Ideen, und mischen jede Menge Melodien mit blutiger Brutalität, wie etwa auch ´Medicine For The Dead´, das sich in einen gespenstischen Albtraum verwandelt, in dem Taylor wie ein Wahnsinniger „Drink Me!“ brüllt, ein täuschend eingängiger Refrain, der mit einem Vocoder-Refrain endet.

Auf ´The End, So Far´ hinterfragen SLIPKNOT nun jedenfalls sogar erstmals ihre eigene Mythologie, zusammen mit den Geschichten, die wir uns selbst erzählen, und bieten verwirrende Perspektiven inmitten einer größtenteils überzeugenden Instrumentierung. Nihilistisch, herausfordernd und so euphorisch destruktiv wie eh und je, ist es der Sound einer Band, die immer noch ihren eigenen Weg des akustischen Gemetzels beschreitet.

(8,5 Punkte)

 

https://www.facebook.com/slipknot


(VÖ: 30.9.2022)
Pic: Jonathan Weiner