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ANTYRA – Poiema

~ 2022 (Art Gates Records) – Stil: Epic Metal ~


Wenn der Chronist das Wort erhebt, vor Eifer seine Stimme bebt, schauen die Alten auf vom Krug, der Zauderer fasst neuen Mut. Die Götter weisen Euch den Weg, Ihr Wort Ihr nun vernehmt, wenn der Chronist das Wort erhebt…

Allein dieser Beginn, dieser polyphone Chorus… Wer nicht schon angefixt ist von Cover und Titel und der antiken Thematik, der wird in der Albumeröffnung hineingezogen in die Welt der antiken Legenden. Nicht nur Bilbos Zwerge vermögen magische Chöre zu singen, auch SAVATAGE und eben die Leipziger Epiker ANTYRA.

Diese Band bildete sich 2006. Einer ersten EP ´In The Fields Of Marathon´ folgte mit ´Pentachronist´ das Debütalbum, das fünf Kurzgeschichten zu den fünf Elementen vertont. Mit ´Asgard´ war man Teil eines THERION-Tributes. Und nun erzählen David Thieme (Gesang, Keyboards), sein Bruder Sebastian (Gitarren, Gesang, Growls), Falk Mittenentzwei (der Name ist wie geschaffen für einen Musiker dieser Art von Metal, Bass, Screams, Gesang) und Drummer Kevin Winter Geschichten über die Abgründe der Antike. Es geht um Mythen, es geht aber auch um historische Begebenheiten.

Das eher speedig daherkommende ´Phaeton´ etwa berichtet über den Sohn des Helios. Er wollte unbedingt den Sonnenwagen seines Vaters lenken. Doch jede Warnung, er könne die Rosse nicht zügeln, schlug er in den Wind. ANTYRA fahren schon einmal alles auf, um Spannung zu erzeugen. Dramatische Riffs, mehrstimmigen Gesang, Tempowechsel, Growls. Es sollte klar sein, als Phaeton sich mit dem Wagen auf den Weg macht, erst Zeus mit seinen Blitzen konnte die Bewohner der Welt vor einer Katastrophe bewahren. Ja, das ist eine antike Legende, aber auch ein Gleichnis für heute. 

Hier gefällt auch, die Songs des Albums werden im schön gestalteten Booklet noch begleitet von kurzen Gedichten, die das Thema zusätzlich beleuchten. Gerade auch in den Liedern nutzen ANTYRA eine sehr bildhafte Sprache, manchmal spielen sie mit den Bedeutungen, bauen doppelte Böden. Das erinnert zuweilen, ganz unantik, an Bands, die in der ehemaligen DDR mit Worten spielten, auch um Zensur zu umgehen. So neigt man hier ebenso zum genauer Zuhören wie bei RENFT oder frühen KARAT.

Saugeile Melody-Leads und tolles Epik-Riffing eröffnen ´Die Türme von Kadesh´. Es geht hier um eine Schlacht, die Ramses II. um 1274 v. Chr. gegen das Heer der Hethiter führte. Diese Schlacht ging verloren, ein paar Jahre später schlossen die Parteien den, vermutlich, ersten Friedensvertrag der Weltgeschichte. So wechselhaft wie der Verlauf der Schlacht, so abwechslungsreich dieser Song. Das akustische traurig-schöne ´Quod Erat Demonstrandum´ berichtet vom Tode des Archimedes („Störe meine Kreise nicht!“) und ist ein angenehm ruhiger Moment des Albums. Instrumental geht es weiter in ´Ischtars Rache (Archaia Sonata)´. Harmonische, klassisch klingende Motive finden sich im Widerstreit mit Black Metal-Blasts. Die Band hangelt sich entlang tatsächlich an der klassischen Form des Sonatenhauptsatzes.

Ja, ´Hungry Lions´ klingt ein bisschen nach Mittelalter Rock. Doch der Schein trügt. Das einzige Lied auf englisch ist eben kein Lied zum Feiern, sondern erzählt aus dem Leben der römischen Gladiatoren. Sie kämpften im Zirkus, waren Teil von „Brot und Spiele“. Doch sie wußten, bald kann es zu Ende gehen. Um so ausgelassener tranken sie und feierten, ehe sie am nächsten Morgen grüßten. „Ave Caesar! Morituri te salutant!“ Ja, es klingt nach Trinklied, aber wirklich fröhlich ist dann doch anders. Der nächste Stimmungswechsel, hin zum kriegerischen folgt. Wir bleiben im Imperium, nur weiter nördlich. Im Jahre 9 n.Chr. fand eine der berühmtesten Schlachten der Weltgeschichte statt. Das Museum Varus-Schlacht in Kalkriese sollte sich die Genehmigung einholen, das Stück ´Blutzoll im Barbarenwald´ für die Besucher spielen zu dürfen. 

 

Hendrick Goltzius, Die drei Parzen, Kupferstich, Kunstsammlung der Universität Göttingen

 

Egal ob Gladiator oder Legionär, Autofahrer oder Metal-Fan, das Leben hängt ´Am Seid’nen Faden´. Diese düstere Hymne, zugleich längster Song, beschäftigt sich mit den Moiren, durch Rom auch als Parzen bekannt. Drei Frauen, die jüngste Klotho, die den Lebensfaden spinnt, die mittlere, Lachesis, misst in ab. Die älteste dann, die blinde Atropos schneidet ihn ab, so dass der Mensch den Weg antreten muß in den Hades. Das Gift der Tollkirsche, Atropin, erhielt nach ihr seinen Namen. Düsternis, Drama, Schwärze, Gedenke des Todes und Genieße Dein Leben. Das abschließende instrumentale ´Sumerischer Traum´ bezieht sich noch einmal auf die Mythologie von Ishtar und Gilgamesch. Es beginnt still, träumerisch. Doch immer mehr dunkle, bedrohliche Töne schleichen sich ein. Wird der böse Traum wirklich, oder erwacht der Träumer? Das sollte sich jeder selbst erhören.

´Poiema´ ist für mich nicht einfach nur ein starkes Album. Es ist, für viele wohl aus dem Nichts, ein Kandidat für eines der Epic Metal Alben des Jahres. Es strotzt vor Ideen, es erzählt Geschichten, verleitet zum Hören, Mitlesen und Nachlesen. ANTYRA lauschen und den guten alten Gustav Schwab (Die schönsten Sagen des Klassischen Altertums – Anm. d. Verf.) aus dem Regal holen, das dürfte für viele wohl bald zusammengehören. Wer sich musikalisch bei TEHRION wieder findet, dürfte sich genauso wohl fühlen wie ein Fan von BATHORYs ´Hammerheart´. Ebenso sollte ein Ohr leihen, wer sich an ATLANTEAN KODEX oder ASH OF ASHES erfreut. Also, all Ihr Epiker, greift zu. 

Selbst Zeus zieht neun Blitze aus seinem Köcher, um die Erzähler dieser Legenden zu ehren. 

(9 Punkte)

 

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