PlattenkritikenPressfrisch

JACK WHITE – Fear Of The Dawn

 ~ 2022 (Third Man Records) – Stil: Garage Rock/Blues Rock/Experimental ~


Jack White gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Protagonisten im Rock’n’Roll-Business. Er ist erfolgreicher Produzent, besitzt sein eigenes Plattenlabel inklusive Verlagszweig, und ist natürlich vor allem seit rund 25 Jahren die treibende Kraft in gleich drei Rockbands (THE WHITE STRIPES, THE RACONTEURS, THE DEAD WEATHER) gewesen, währenddessen er ebenfalls seine mehr als beachtliche Solokarriere aufgebaut hat. Kreativgeist, Kleinunternehmer, Grammy-Gewinner, Rockkönig – und 2022 bekommen wir obendrein noch zwei komplette Musikalben von ihm geschenkt, wobei ´Fear Of The Dawn´ den Anfang macht, und es ist ein intensives akustisches Trommelfeuer aus Rock!

Gleich zwei Werke in einem Kalenderjahr deuten natürlich zum einen auf die ungemeine Vielfalt hin, die White in sich trägt, andererseits zeugt es von seiner überbordenden Experimentierfreude und Kreativität. Aber es ist gleichzeitig auch ein Rückblick auf die frühen Tage des Rock’n’Roll, als Produzenten und Studios von Künstlern verlangten, zwei Alben pro Jahr zu liefern, eine Ära, die in weiten Teilen der Branche noch fest im Rückspiegel verankert ist.

Whites Energie befindet sich anno 2022 jedenfalls ganz offensichtlich auf einem klaren Höhepunkt, wobei der gitarrenzentrierte Rocker und die gleichzeitige erste Single-Auskopplung ´Taking Me Back´ bereits den Ton für dieses rasende Album angegeben hat – kein Ablenkungsmanöver, denn auch der Titelsong tränkt seinen Swing-Time-Groove in Low-End-Fuzz und Synthesizer-Kreischen, wobei das treibende Gitarrenriff einen verzerrten Bass nachahmt und der Song ganz ohne Refrain und mit intensivem 20-Sekunden-Gitarrensolo voranhämmert.

 

 

Die Caveman-Blues-Licks von ´What’s The Trick´ verfolgen zudem ganz klar die Linie der frühen THE WHITE STRIPES, die in ihrer ureigenen Version von Garagen-Rock-Intensität den Mississippi-Blues, Folk, Country und Punk zu einem eigenwilligen, alchemistischen Gebräu verschmolzen.

Aber White hat noch viel mehr an Ideen erforscht, und er treibt diese Ideen so weit voran, dass es sich immer noch wie ein mutiger Schritt nach vorne anfühlt. ´Fear Of The Dawn´ packt den Hörer am Revers und lässt zwölf Songs lang einfach nicht mehr los! Das Paket enthält Vocal- und Gitarreneffekte, etliche Genre-Vermengungen, mehrschichtige Vocals, Orgeln und Synthesizer sowie auch eigenwillige lyrische Themen.

Bei ´Into The Twilight´ etwa mischt der Maestro seinen Gitarren-Crunch mit einem markanten Vocal-Sample, während die wie durch Computer gesteuerten Gitarren von ´The White Raven´ und ´That Was Then (This Is Now)´ so wirkungsvoll sind, dass sich der Sechssaiter kaum von einem Synthesizer unterscheiden lässt. Das kurze Instrumental ´Dusk´ taucht schließlich im ausgedehnten Outro von ´Morning, Noon And Night´ wieder auf, einer fesselnden Kollision aus gejammter Wildheit und Studiotricks.

´Fear Of The Dawn´ offenbart einen gereiften Riesen, der nicht nur als Gitarrist auf der Höhe seines Könnens zu sein scheint, sondern dessen Effekte eine einzigartige Signatur bilden, die er sowohl verfeinert als auch teilweise überschreitet. White verwebt die Energie des Garagen Rock mit präziser, aber nie auffälliger Percussion, während er sich ausgiebig mit Gesangs- und Soundeffekten befasst – und seine musikalische Neugier und Risikobereitschaft bringen hier beeindruckende Renditen!

(8 Punkte)

https://www.facebook.com/jackwhite


Pic: David James Swanson