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JOHN MELLENCAMP – Strictly A One-Eyed Jack

~ 2022 (Universal) – Stil: Songwriter/Folk Rock ~


71 Jahre hat der gute John Mellencamp jetzt auch schon auf dem Buckel, und seine Stimme, die schon in jungen Jahren sehr rau und lebenserfahren geklungen hat, klingt noch reifer. Schon nach ein paar Sekunden packt einen der akustisch mit Streichern und Akkordeon untermalte Opener ´I Always Lie To Strangers´. Diese Stimme und die Worte, die immer sehr durchdacht sind. ´Driving In The Rain´ geht in eine ähnliche Richtung und sein Gesang klingt schon fast wie der von Tom Waits. John erzählt von der fehlenden Verantwortung und Leichtigkeit der Jugendjahre und den Schmerzen und der Schwere, die das zunehmende Lebensalter mit sich bringt. Da wird mir ganz mulmig zumute. Ein dunkler Frauenchor vertieft diese Gedanken gegen Schluss noch musikalisch.

Seit einem Herzinfarkt vor langer Zeit hat sich John zurückgenommen, ist Vegetarier geworden und live weniger präsent, was auch dazu geführt hat, dass er in Europa nur noch begrenzte Popularität und Aufmerksamkeit genießt. John Mellencamp kann schon lange nur das machen, was er will und das hört man der Platte an, die im Gegensatz zu vorherigen komplett von ihm geschrieben wurde. Es geht nicht um Radiotauglichkeit oder die Aufnahme neuer Trends. Die gefälligen Rock-Hits wie ´Jack & Diane´ hat er schon seit einer halben Ewigkeit für authentischen Folk Rock eingetauscht. Nein, es geht um 100% John Mellencamp. Auf ´I Am A Man That Worries´ klingt er wie ein alter Bluesmeister aus Chicago. HOWLIN‘ WOLF lässt grüßen.

Balladen wie ´Streets Of Galilee´ gibt es auch. Aber auch die sind bittersüß gehalten und nichts Kuscheliges. Aber schön und melancholisch. Bei ´Sweet Honey Brown´ kommen auch einmal eine kleine Dosis elektrische Riff-Gitarre und Mundharmonika in den Vordergrund, insgesamt ist das Album aber konsequent in seiner musikalischen Ausrichtung und das ist hier auch sinnvoll.

John Mellencamp war immer kämpferisch und politisch. Er ließ sich nicht in strenge Marketing-Strategien von Plattenfirmen pressen. Aufrecht mit Rückgrat – auch gegen mächtige Politiker. So ist auch die Musik auf dieser Platte. Auch ein ´Did You Say Such A Thing´, das dann etwas kommerzieller und richtig rockig klingt, passt gut in den Gesamtzusammenhang. Das ist auch der erste von drei Songs, bei denen Kumpel Bruce Springsteen aushilft und im Duett mit John singt. ´Wasted Days´ geht auch mit Bruce in eine ähnliche Richtung. ´Chasing Rainbows´ klingt dann doch stark nach den 80er Jahren und ist als Single ausgekoppelt worden. ´Lie To Me´ ist auch eher auf der Rock-Schiene mit Piano unterwegs. Mit dem melancholischen ´A Life Full Of Rain´ endet die Platte standesgemäß mit Kumpel Bruce. Ein Höhepunkt mehr.

Sein Sohn Speck (toller Name) Mellencamp hat auch die Kreativität des Vaters geerbt. Früher mal gerne in den Schlagzeilen mit Schlägereien, hat er hier seinen Vater auf dem Cover des 25. Albums portraitiert. Selbst die glasklare und trotzdem erdige Produktion von John trägt zum runden positiven Gesamteindruck bei.

(8 Punkte)