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THE NEGATIVE BIAS – Tapeworm Pyramids (EP)

~ 2021 (Vendetta Records) – Stil: Astral Black Metal ~


Vor vier Jahren überraschten THE NEGATIVE BIAS die Black Metal-Welt mit bisher ungehörten, wahrlich ausserirdischen Klängen. Ihr Debüt ´Lamentation Of The Chaos Omega´ präsentierte nicht nur eine technisch herausragende, sondern vor allem so traditionsverbundene wie kompositorisch grenzenlos offene, neue Band erfahrener österreichischer Musiker, im Kern das Duo I.F.S. (v, Ex-ALASTOR) und S.T. (g/b, GOLDEN DAWN, RAUHNÅCHT), die nach mehr strebten: üppigere Klangfülle, höhere Geschwindigkeit, noch weiter gespannte Melodiebögen, eine noch größere Dosis Dissonanz, ungewöhnlichere Songstrukturen, kosmisch-endlose Weite, ständig wechselnde Rhythmik, brillantes, oft zweistimmiges Riffing, nagelfeine Blastbeats eingebettet in progressives Drumming, sehr diverser Gesang mit keifend harschen wie auch pathetisch-choralen klaren Anteilen, und all dies umgesetzt in packenden, immer wieder überraschenden, gleichzeitig melancholisch erdgebundenen wie befreit sternenwärts strebenden Songs. Mit einer überdurchschnittlichen Produktion setzte dieser Erstling Maßstäbe, an denen sich THE NEGATIVE BIAS ab sofort selbst messen mussten.

Mit ´Narcissus Rising´ folgte dann zwei Jahre später ein larger-than-life Konzeptalbum, das manche Hörer ob seiner ans absolute Limit getriebenen Komplexität und unangepassten Eigenständig-, ja Eigenartigkeit fast schon überforderte, den anspruchsvollen schwarzakustischen Feinschmecker jedoch mit seinen zwei symphonisch-vielgestaltigen über-Zwanzigminütern umfassend verwöhnte.  So viel ups and downs, so viel Ebenen, Kontraste und Dynamikwechsel, so viele versteckte Andeutungen mussten erstmal sinnlich erfasst werden… all dies schwarze Wüten, die überirdischen Gitarrenlinien, epischen Ambientparts und das stellare Drumming von Thomas Leitner ergab einen Black Metal als von Hörgewohnheiten losgelöste Avantgarde-Kunstform, wie man ihn sonst nur aus Frankreich von BLUT AUS NORD oder DEATHSPELL OMEGA kannte, oder eben von diversen Isländern wie aus dem ALMYRKVI / SINMARA-Umfeld. Dabei bleiben die Wiener in der Gestimmtheit stets der typischen alpenländischen Melancholie aus Selbstqual und Verzweiflung treu, die ähnlich zu finden ist bei ihnen nahestehenden Band wie KARG, ELLENDE oder ANOMALIE, haben jedoch immer den Blick frei in die kosmische Unendlichkeit.

 

Filmzitate & Legendentribut

Die gerade gegen das sehr ruhige Ende von ´Narcissus Rising´ deutlich werdende spirituelle Tiefe schliesst dabei den Kreis zur zwischen den beiden LPs entstandenen Split mit der Geschwisterband GOLDEN DAWN, S.T.s zentraler musikalischer Heimat: ´The Temple Of Cruel Empathy´ hatte bereits diesen existentiellen SCHAMMASCH-Touch, der sicher nicht nur in der Zusammenarbeit mit Florian Musil, dem Live-Drummer der Schweizer, begründet ist, der seit Anfang bei THE NEGATIVE BIAS die Kessel rührt, und auf der nun vorliegenden EP noch deutlicher wird: jubilierend in der absoluten Schwärze fragt man sich, ob das noch Abgeklärtheit oder bereits Resignation ist, das selbstverursachte Ende der Menschheit freiwillig akzeptierend zu besingen? Diese beiden Bands live zusammen zu erleben wäre auf jeden Fall ein Erlebnis…

 

 

Und damit endlich zu ´Tapeworm Pyramids´, einer Art pandemischer Zwischenbilanz einer Band, die wie so viele ihre letzte Veröffentlichung nicht auf Tour vorstellen konnte, aber auch ein wunderbarer Einstieg in deren ganz eigenen Kosmos und das Konzept hinter THE NEGATIVE BIAS ist. Sie besteht aus drei Stücken aus verschiedenen Entwicklungsstufen der Österreicher, beginnend mit einem Rückblick zu ihren Anfängen, stammt der Titelsong doch aus der Zeit des Debüts. Wütendes Geknüppel trifft auf epische, bisweilen schon transzendente Opulenz in diesem von TNB als „brutalem Biest“ bezeichnetem Stück, das gleichzeitig „auch ein kleiner Vorbote für den 3. kommenden Output ist“.

Das deutlich schnellere, kontrastreiche ´The Alpha, The Omega´ mit seinem nordisch-kalten, zugleich melodiedominierten DISSECTION-Hauch und dem darauf folgenden Umschlag in einen von epischen Leads gestalteten Viking-Part mit Kriegerchor wurde von Anamnesi (DARVAZA) eingeprügelt, und geht schliesslich über in das eisige Ambient-Instrumental ´Nebulatorian Machines´ mit seinem abschliessendem Weltraumrauschen. Das sind TNB in all ihrer schwarzen, nihilistischen Pracht , wie wir sie von ´Narcissus Rising´ kennen.

Und dann die große Überraschung, so man sich die Tracklist nicht schon zuvor durchgelesen hatte: irgendwo ausserhalb unserer Welt trifft DEAD CAN DANCE auf SUMMONING – und zwar mit einem Urknall! Pures Schwelgen in der unendlichen Ignoranz einer zur Selbstzerstörung verdammten Menschheit, ein Traum! Es ist ja nicht die erste Coverversion dieses Schlüsselsongs der Australier, in dem Brendan Perry lyrisch wie stimmlich brilliert, er hat schon im Original etwas spaceiges und passt daher perfekt, doch wie I.F.S. diese Hommage interpretiert, dem gebührt schon einigen Respekt: „Dieser Song rundet die EP perfekt ab und ist eine Hommage an eine Band, die eine große Inspirationsquelle für uns ist. Eine musikalische Leistung, die auch heute noch einzigartig ist“.

Damit geben TNB einen Ein- wie Ausblick auf ihr Schaffen, das Fans genannter Bands oder eben auch anderer Gruppen, die sich dem kosmischen Black Metal verschrieben haben wie MIDNIGHT ODYSSEY, DARKSPACE oder VORGA, begeistern wird. Die Spannung auf den dritten Langdreher steigt!

 

„Die Menschen haben ein Gespür für ihre totale Auslöschung. Der Tod ist launisch, gerade für die letzten die gehen. Und in 10 Jahren, vielleicht schon früher, wird die menschliche Rasse nichts weiter als ein böser Traum sein, von den Spiralnebeln belächelt. Ein Mythos, weggewischt.“

(´Die Mächte des Wahnsinns´, John Carpenter)

 

(8 Punkte)

 

 

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