ME(N)TAL HEALTHNeu!Redebedarf

Auge in Auge

Dies ist ein Beitrag unserer ME(N)TAL HEALTH-Reihe. Mehr Infos zu diesem Projekt findet ihr hier.

 

 

~ Interview mit Daniel Droste, Teil 2 ~


(Teil 1 des Interviews findet ihr hier)

 

Wissenschaftliche Studien beschreiben Metalfans als besonders ausgeglichen, der These gegenüber stehen in den vergangenen Jahren immer wieder Selbstmorde, und auch Biographien von Musikern, in denen z.B. Drogenmissbrauch eine zum Teil tragische Rolle spielt. Was ist Deine persönliche Erklärung hierfür?

Gibt es für dich eine typische “Musikerpersönlichkeit”?

 

 

Zunächst denke ich, dass Musikkonsum, mehr jedoch selbst Musik zu machen, Ausgleich und Ventil sein kann. Sei es die empfundene Stimmung eines Songs, oder ein damit verbundener Text. Musik hören oder selbst ein Instrument zu spielen, ändern das Erleben dieser erzeugten Stimmung meines Erachtens jedoch immens. Ich habe früher auf dem Klavier beispielsweise bevorzugt klassische Musik gespielt und empfand dies durchaus als sehr erfüllend. Zuhause Klassik hören hat mich wiederum überhaupt nicht interessiert. Es wäre in diesem Zusammenhang sehr interessant zu erfahren, wie mir AHAB gefallen würde, wenn ich unsere Songs als Unbeteiligter hören könnte.

Sollten Metalfans ausgeglichener sein als der Rest der Hörerschaft, läge das sicher nicht nur an der Musik selbst. Da Metal ein sehr facettenreiches Genre mit zig Subgenres ist, steht dem Metal-Fan zumindest mal ein sehr breites Spektrum zum potentiellen Stressabbau zur Verfügung. Die gesamte Subkultur könnte jedoch auch ein wichtiger Aspekt sein, der für die These der Ausgeglichenheit spricht. Als Metal-Fan entspricht man nicht der Norm und ist per se erst mal Außenseiter, was gerade in jungen Jahren auch bewusst gelebt wird, um sich von der Masse abzugrenzen. Nun treffen Außenseiter aufeinander, es entstehen Freundschaften und Cliquen, welche verbunden durch das Interesse an Musik verhältnismäßig viel Zeit auf Konzerten und Festivals miteinander verbringen. So entsteht ein stabiles soziales Umfeld, welches einen noch viel fundamentaleren Einfluss auf das seelische Befinden als die Musik selbst haben sollte.

Drogenmissbrauch ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, findet daher logischerweise in der Musikszene bzw. auch speziell im Bereich der Metalszene statt. Die Frage, die sich stellt ist, ob in der Metalszene überproportional Drogen konsumiert werden? Ich kann mich hier nur auf den Rock und Metal Bereich beziehen, da ich zu anderen Szenen keine Erfahrungswerte habe.

Tourende Musiker, vor allem jene, die regelmäßig und über einen längeren Zeitraum unterwegs sind bzw. unterwegs sein müssen, würde ich da durchaus zu einer Risikogruppe zählen. Mit AHAB waren wir nie länger als 10 Tage am Stück unterwegs. Da wir alle normale Jobs und mittlerweile auch fast alle Kinder haben, war von vornherein klar, dass wir nicht für mehrere Wochen unterwegs sein können und wollen. Man bekommt jedoch sehr schnell einen Eindruck davon, wie das Leben auf Tour laufen kann. Zunächst einmal ändert sich der komplette Tagesablauf. Während man im Arbeitsalltag gegen acht Uhr morgens beginnt und dann seinen 8-Stunden-Tag abreißt, ist die Zeitspanne, in der man auf Tour funktionieren muss, wesentlich kürzer.

Von der Planung vorab mal abgesehen besteht der Tagesablauf auf Tour aus Equipment ausladen, Aufbauen, Soundcheck, Auftritt und dem anschließenden Abbau. Das bekommt man auch mit Restalkohol noch hin.

Ist man im Nightliner unterwegs, wird man sogar noch gefahren, kann bis in den Morgen durchfeiern und bis nachmittags in der Koje liegen und pennen. Es bleibt sehr viel Zeit, in der nichts passiert und die Clubs, in denen man spielt, liegen meist nicht in einer fußläufig erreichbaren Innenstadt, Sightseeing ist daher auch nur selten eine Option. Auch wenn auf dem Catering Rider nie alle Wünsche der Bands berücksichtigt werden können, was auch vollkommen ok ist, solange auf grundlegende Bedürfnisse eingegangen wird… Alkohol ist IMMER sofort und ausreichend verfügbar.

Ungefähr 15 Personen in einem Nightliner, mit jeder Menge Zeit und stetigem Alkoholnachschub, relativ offensichtlich, wohin das führen kann. Man bewegt sich fortlaufend in einem Umfeld, in welchem gefeiert wird, sozusagen in einer ständigen Ausnahmesituation. Menschen gehen auf Konzerte, um zu feiern und Spaß zu haben, da gehört Alkohol zwangsläufig für die meisten dazu. Es gibt immer den ein oder anderen, der nett sein möchte und dir einen Drink spendiert, vielleicht auch um ins Gespräch zu kommen. Dass dies unter Umständen jeden Abend passiert, man eh schon zuviel getrunken hat oder heute vielleicht mal gar nichts trinken wollte, sehen die Spender logischerweise nicht.

Nun stelle man sich in diesem Szenario jemanden vor, der eventuell schon ein Alkoholproblem hat/hatte, oder vielleicht noch unter Druck steht, mit den Einnahmen der Tour seine Familie ernähren zu müssen. Um all diesen Versuchungen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum zu widerstehen, bedarf es schon einiges an Disziplin und Selbstbeherrschung.

 

Du bist selbst in einer früheren Band mit Corpsepaint aufgetreten. Bei AHAB verzichtet ihr gänzlich auf jegliche “Alter-Ego-Inszenierung”. Hast du selbst Unterschiede festgestellt, wenn du mit oder ohne Corpsepaint aufgetreten bist?
Warum ist es Deiner Meinung nach vielen Musikern so wichtig, ein Bühnenoutfit / eine Bühnenpersönlichkeit zu haben?

Ehrlich gesagt hat mich diese Anmalerei schon damals ziemlich genervt. Ich war jung, hörte andere Musik als heute, hatte andere Idole und dachte das gehört irgendwie dazu bzw. trägt dazu bei, das Bandkonzept, welches rückblickend auch nur so halb durchdacht war, aufzuwerten. Ich würde durchaus sagen, dass ich während einer Liveshow ganz bei der Musik bin und darin aufgehe. Doch obwohl wir damals auch alle Künstlernamen hatten, hatte ich auf der Bühne trotz Corpsepaint und Verkleidung nie das Gefühl, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Ich habe sowohl das Corpsepaint als auch diverse Verkleidungen im Laufe der Jahre abgelegt, trug aber noch lange andere Kleidung auf der Bühne, als ich dies privat tue. Nach einem Auftritt sprach mich eine damalige Freundin an und meinte, sie habe mich auf der Bühne fast nicht wiedererkannt, das sei nicht ich gewesen in diesem Aufzug. Seitdem betrete ich die Bühne gänzlich unverkleidet . Es war und ist mir (und ich denke da spreche ich auch für meine Bandkollegen in AHAB) sehr wichtig, authentisch zu sein in dem, was wir tun. Uns wurde vor ein paar Jahren vor einer Show in München in einem Interview mal die Frage gestellt, ob wir es uns vorstellen könnten in Seemannsuniformen auf die Bühne zu gehen. Ich erinnere mich, dass unser Drummer unmittelbar nachdem die Frage gestellt war schier geplatzt ist vor Lachen.

Ich verstehe durchaus, dass es Bands gibt, welche auch mittels Verkleidung und Alter Ego ein Bandkonzept hervorheben und in der Lage sind, auf der Bühne durch schauspielerisches Talent in andere Rollen zu schlüpfen. Wenn das gut gemacht ist, schaue und höre ich mir das auch gerne an. Eine langweilige Black Metal-Band ist durch das Tragen von Nieten und Corpsepaint aber unterm Strich immer noch eine langweilige Black Metal-Band, wenn du verstehst, was ich meine.

 

 

Im Metal legt man viel Wert darauf, besonders “trve” zu sein, was wenig Toleranz zulässt. Wie offen erlebst Du die Metalszene in dieser Hinsicht? Du hast dich mit deinen Bands in zum Teil unterschiedlichen Genres bewegt. Konntest du bezüglich Toleranz Unterschiede feststellen?

Von MANOWAR und einigen norwegischen Black-Metal Bands mal abgesehen, sind es meines Erachtens eher die Fans, die in ihrem Verlangen, Bands in Schubladen zu stecken, diese Begrifflichkeit verwenden. Einen Musikstil oder eine Band als „true“ zu bezeichnen ist per se recht albern, wie ich finde. Der Begriff soll demnach Grenzen eines Genres stecken, deren Überschreitung oder Erweiterung eine unmittelbare Fehlinterpretation zur Folge haben. Würde man stattdessen den Begriff „traditional“ verwenden, wäre dies meiner Ansicht nach viel treffender und entspannter formuliert. Musik ist eine Kunstform, die aus Kreativität wächst; starre Regeln schränken ein und sind meines Erachtens daher nicht zielführend. Ob eine Band nun true ist oder nicht, liegt am Ende auch immer ein Stück weit im Auge des Betrachters. Toleranz innerhalb der Metalszene bezüglich ihrer Vorreiter sehe ich durchaus… und den Grundgedanken, die Werke wegweisender Bands, welche neue Genres geschaffen oder bereits bestehende entscheidend geprägt haben, wertzuschätzen, erachte ich als etwas sehr positives….was jedoch nicht automatisch heißen muss, dass einem dann nur das erste Album gefallen darf. Mir selbst gefallen auch nicht alle großen Wegbereiter der Metalszene, und dennoch würdige ich deren Schaffen und würde auf einem Festival durchaus den ein oder anderen Auftritt anschauen.

In der heutigen Popmusik sind Künstler wesentlich kurzlebiger und irgendwann dann schlicht nicht mehr angesagt. Ich denke auch, dass sich prozentual mehr junge Metalfans für die Anfänge und Wegbereiter ihrer Musik interessieren, als der klassische jugendliche Pop Musik-Hörer für Michael Jackson.

Da ich privat nur noch selten auf Konzerte gehe, tue ich mir schwer aufgrund von Erfahrungswerten einer gewissen Szene einen bestimmten Stempel aufzudrücken. Die Doom-Szene erlebe ich als äußerst aufgeschlossen, tolerant und unkompliziert. Dies liegt zum einen sicherlich daran, dass sowohl Musiker als auch Zielgruppe etwas älter sind. Zudem ist Doom-Metal immer noch Underground. Fans müssen Bands eher entdecken, anstatt diese in Magazinen präsentiert zu bekommen, und vielleicht bringen eben diese Fans dann auch mehr Herzblut und Interesse für den Kern des Ganzen, die Musik, mit, anstatt sich über oberflächliche und letztendlich unwichtige Kategorisierungen zu scheren.

 

 

Du selbst hast einen sozialen Beruf. Euer Bassist ist Lehrer. Schaut man sich in der Szene um, gibt es auffällig viele, die im sozialen Bereich arbeiten. Siehst Du da einen Zusammenhang?

In den meisten Fällen scheint da tatsächlich was dran zu sein, zumindest für mein Umfeld würde dies zu 90 Prozent zutreffen. Dass die soziale Ader zwangsläufig den Gegenpol in lauter, aggressiver Musik sucht, belegt diesen möglichen Zusammenhang für mich nicht schlüssig. Es gibt eine Menge andere Berufe außerhalb des sozialen Bereichs in welchen Etikette, Dresscode oder strenge Hierarchien Arbeitende in ein derart enges Korsett zwängen, dass Metalmusik als Ausgleich und rebellischer Gegenpol hier viel treffender wäre. Zudem hat sich der persönliche Musikgeschmack gewöhnlich bereits ausgebildet, bevor die berufliche Laufbahn eingeschlagen wird.

Wenn ich eine Verbindung zwischen Sozialem Beruf und Metalmusik herzustellen versuche, basiert diese Wahl eher auf den Texten als auf der Musik. Vielleicht sind es eben jene bereits erwähnten sensiblen Themen, welche die Verbindung zwischen Metal und sozialem Beruf darstellen. Vielleicht ist man in sozialen Berufen einfach näher an menschlichen Schicksalen und Abgründen, welche eben auch im Metal thematisiert werden.

 

 

Dieses Interview mit dir ist das erste Musiker-Interview unserer „Me(n)tal Health“-Reihe, in der wir verschiedene Thesen zur heilsamen Wirkung gerade „unserer“ Musik beleuchten wollen, mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt.

Mit Dir haben wir uns vor allem das Thema Kreativität genauer angeschaut, Du hast im Verlauf jedoch selbst mehrfach angedeutet, dass Musik eine starke emotionale und auch therapeutische Wirkung hat, und gerade im Metal oft sensible Themen aufgegriffen werden. Wie siehst du das Thema Musik & seelische Gesundheit im Kontext deines Berufes als Ergotherapeut?

In der therapeutischen Arbeit kann der Einsatz von Musik je nach Klientel unterschiedliche Funktionen erfüllen. Ich habe früher hauptsächlich mit Kindern gearbeitet, hierbei war Musik beispielsweise zu Beginn in der Kennenlernphase ein wichtiges Element, um die Situation zu lockern und den Kindern den Einstieg zu erleichtern. Auch beim Beüben motorischer Fähigkeiten mittels Bewegungsspielen lief eigentlich immer Musik, wenn es wilder wurde tatsächlich auch mal Heavy Metal. Es zeigte sich einfach, dass Kinder sich in einem solchen Setting wesentlich leichter tun, aus sich herauszugehen und sich ausgelassener, mitunter auch zu der Musik bewegten.

Wie tief Musik und die damit verbundenen Gefühle in uns verankert sind, zeigt sich sehr deutlich in der Arbeit mit Demenzerkrankten. Menschen, welche kognitiv eingeschränkt und oftmals nur sehr schwer verbal erreichbar sind, reagieren häufig auf ihnen bekannte Lieder, nicht selten auch sehr emotional. Musik kann hier sowohl als Türöffner dienen als auch zentrales Element der Therapie sein. Sie kann als stimmungsaufhellendes Medium, als Brücke zum Langzeitgedächnis oder aber aktiv praktiziert eingesetzt werden, um motorische Fähigkeiten zu beüben bzw. zu erhalten.

 

Und zum Abschluss: was war, ganz ehrlich, dein erster Gedanke, als wir dich um ein Interview zu diesem Thema baten? Hat sich an deiner Sicht auf „Musik & seelische Gesundheit“ nun, am Ende des Interviews, etwas verändert?

Bevor ich im Detail wusste, worum es inhaltlich geht, habe ich mich ehrlich gesagt schon gefragt, was ausgerechnet mich als Interviewpartner da prädestiniert.

Aufgrund meines Jobs weiß ich, welchen Einfluss Musik auf die Psyche haben kann. Setzt man sich intensiver mit diesem Thema auseinander, wird deutlich, wie weit das Erleben von Musik über den normalen Konsum hinaus geht. Vielleicht liegt letztendlich der tiefere Sinn und Zweck des Musikkonsums darin, als Stellschraube unsere Grundstimmung bewusst als auch unbewusst zu lenken und uns somit zu innerer Ausgeglichenheit zu verhelfen.

 

ALL TIME FAVOURITES

Daniel Drostes Lieblings-Alben, die ihre Handschrift hinterlassen haben:

http://www.ahab.bigcartel.com

https://www.facebook.com/AhabDoom/

 

Wir sagen herzlichen Dank an Daniel für dieses ausführliche Interview, und seine Bereitschaft, Teil unseres ME(N)TAL HEALTH-Projektes zu sein!

Für die Bilder in Teil 2 geht unser Dank an Johannes Rehorst/picsfromthepit!

Die Me(n)tal Health Crew: Ute & Jessi

(Zu Teil 1 des Interviews geht es hier)