MeilensteineVergessene Juwelen

LODESTONE – Lodestone

~ (Eigenpressung, Lodestone Records, USA, Kalifornien, 1981) ~


Es ist für einen jungen Musikliebhaber und Plattensammler immer ratsam, sich anderthalb bis zwei Jahrzehnte reifere Kumpels zu halten, mit ähnlichen Musikinteressen und einem Hang zu nicht alltäglichen Kunstwerken. Und so geschah es, dass der noch recht jugendliche Sir Lord Doom in den späten 90ern über einen älteren Freund die Freuden des obskureren 70er Hardrocks kennenlernte, darüber dann die Gruppe POOBAH (heute noch aktiv und fleißig am veröffentlichen) entdeckte und über diese Gruppe auf ein Heftcover von einem gleichsam obskuren US Fanzine namens ´Chaos´ stieß. Und schon war die Büchse der Pandora aufgeklappt und es schwappten Informationen über Musik heraus, die zwar stilistisch nicht fremd, mir aber vollkommen unbekannt war.

Einige Reviews von Meister Ray Dorsey, den ich als einen der Mentoren auf dem Weg zu meinen musikalischen Lieblingen und Vorbild für meine eigenen Reviews ansehe, waren über hardrockige und schwermetallene Juwelen aus der Zeit der späten 70er und frühen 80er. 1998, in der letzten Printausgabe des Chaos Fanzines, einem zusammengetackerten Haufen Din A4 Seiten mit Underground Charme, las ich dann eines seiner vorzüglichen Reviews. In seiner üblichen enthusiastischen und bildhaften Ausdrucksweise beschrieb er, wie er bei einem Kumpel einen tollen Song hörte, den der mit einer anderen Band verglich. Und da Ray natürlich kein Poser ist, der so tut, als würde er schon alles kennen, fragte er nach, wer denn diese andere Band sei. Er bekam eine CDr, gab später gut 100 US$ für ein Original hin und war dann mitten drin in seiner Beschreibung der Musik, die den kleinen Sir Lord Doom faszinierte und mit dem Gefühl von Sucht erfüllte.

Neun Jahre dauerte es, bis ich dann endlich diese Musik hören konnte, als selbstgebrannte CDr. Weitere neun Jahre später spielte mir das Glück für 125 Euro, eine Unsumme für eine einzelne Platte in meiner Sichtweise, dieses Album zu, nach welchem ich so lange gegiert und mich verzehrt hatte. Voilà, da war es und da ich natürlich die CDr irgendwo in den Weiten meiner Abstellkammer verbuddelt hatte, musste ich von Null anfangen und mich vertraut machen. Und jetzt mache ich Euch mit einer Band vertraut, die noch eines handfesten Reissues bedarf, weil sie nicht nur obskur und ihr Vinyl extrem selten, sondern ihre Musik außerordentlich genial ist.

LODESTONE nennt sich die Band. Ein „Lodestone“ ist ein Magnetit, ein Mineral aus Eisenoxid, ein sehr eindrucksvoll aussehender Brocken, wenn man ihn in den Händen hält. Die stabilste Verbindung aus Eisen und Sauerstoff wird es genannt. Und diese Band aus Kalifornien, die 1981 ihr einziges Album selbst veröffentlicht hat, ist ebenfalls eine Verbindung aus Eisen (Heavy Metal) und Sauerstoff (die Musiker atmen förmlich diese Musik). Und auch das Mineralgestein findet sich in der Musik der Band wieder. Denn ja, irgendwo sind LODESTONE ein protometallischer Hybrid, bei dem sich der Heavy Metal-Anteil in den Strukturen von altem Hard Rock kristallisiert. Die Länge des Albums ist mit gut 45 Minuten genau richtig, die Songs sind einprägsam, eindringlich und haben einen eigenen Charakter und das wird vom mittelhohen Gesang noch verfestigt. Die Bandmitglieder sind allesamt keine Technikfreaks. Hier wird unkompliziert und dafür umso mitreißender gerockt, gerne mit einer Atmosphäre tiefster Mystik oder Melancholie. Das Cover ist schon herrlich obskur, obwohl es gar nicht so spektakulär wirkt. Aus einem See vor Gebirgshintergrund taucht mittig in schäumener Gischtwelle eine Gibson SG Gitarre auf. Oben am schwarzen Nachthimmel befindet sich statt des Mondes das Bandlogo, ein weißer Kreis in der Mitte, darin ein um 45° gedrehtes großes N. Vom Kreis geht ein goldener Schimmer aus, oben und unten ist er mit einer Art Seitenflügel verbunden, was ihm die Ansicht eines um 90° auf die Seite gekippten Tie Fighters verleiht. Das Logo versprüht zu beiden Seiten einen sumpfig grünen Nebel. In blauer Blockschrift darunter befindet sich der Bandname. Sehr eigenwillig, sehr geheimnisvoll und gegebenenfalls durch die eher primitive Malkunst des Hintergrunds doch eher auf potentielle Käufer abschreckend wirkend. Was für drittklassige Musik mag sich dahinter verbergen? Auf der Rückseite des Covers finden sich die Texte, Angaben zur Bandbesetzung und nicht einmal eine Kontaktadresse. Bang, Eigentor. Alles versemmelt, die Zukunft verbaut, da kommt doch kein Schwein drauf, dass hier eine der wohl kultigsten und dabei besten US Heavy Metal Bands des Jahres 1981 ihr Unwesen treibt.

Ein Akkord durchgerissen, noch einer, ein dritter Akkord. Das Schlagzeug setzt sich in Bewegung wie eine Dampflokomotive, rollt dann als donnernder Rhythmus unter einem infernalisch düsteren Powerriff mit doomiger Atmosphäre bis alles in sich zusammenfällt und einem nicht minder düster hardrockenden Part mit dem eingangs erwähnten, mittelhohen, sehr erzählerisch wirkenden Gesang übergeht. Das hier hat nichts mit kalifornischem Sonnenscheinhardrock oder coolen Lederjackenjungs aus NYC zu tun, das hier ist schwerster epischer Heavy Metal Rock mit einem Ausdruck von Wahnsinn, der textlich von einem Nomaden handelt, welcher sich nirgendwo in der Welt daheim fühlt und dahingetrieben wird. In der Songmitte auf doomigem Untergrund gedeiht ein brodelndes Solo, welches von wenigen Noten und einer unglaublichen Intensität lebt. Der gute Philip Sheldon, welch profaner Name für einen solchen Storyteller, kann auch flotter, aber immer steht sein Solospiel im Dienste der Atmosphäre des Songs. Und die ist wirklich morbide, geheimnisvoll und faszinierend. Er steht in den Strophen im Dialog mit Sänger Joe Silva und nur einige seiner Brücken sind hier und da von etwas leichtfüßigerer Art in der Melodieführung. Wow, was für ein Einstand. Da erschreckt einen ´Golden Rod´, der zweite Song mit seinem erdigen Hardrockfeeling. „I’ve got the golden rod, I’m gonna take you for a ride. I’ve got the golden rod, you’re gonna feel it deep inside“ ist nicht unbedingt bei MANILLA ROAD- oder CIRITH UNGOL-Fans das allerbeliebteste Thema, sondern passt eher zu den zeitgleich in LA zu Weltruhm aufsteigenden Heavy Glamstern MÖTLEY CRÜE. Aber nun, der Sound von ´Golden Rod´ und die Performance sind noch immer von diesem Hauch des Obskuren geprägt und irgendwie ist das Stück cool. Und auch CIRITH UNGOL, die Boys aus Ventura, ebenfalls Kalifornien, hatten auf ´Frost And Fire´ viele typische Hardrocktexte.

Balladenalarm gibt es mit dem dunklen, melancholischen ´And Then I Met You´. Eine lange, balladeske Passage mit sehr emotionalem Gesang und entsprechender Melodieführung nimmt den Hörer vorerst mit sich in eine tristgraue Traumwelt, wo die Luft salzig schmeckt. Phil Sheldon spielt schöne halbverzerrte Leads mit feinen Harmonien. Und urplötzlich bricht das Inferno los, ein Heavy Rock-Part in treibendem Mid-Tempo, worin sich Gitarre und Gesang wieder eine Art Dialog liefern, weckt den Headbanger aus seinen Träumen auf. Ein spannender Solopart schließt sich an und Phil Sheldon spielt mit Melodien, während der Bass und das Schlagzeug unter ihm ohne Rhythmusgitarre einen straighten Beat liefern. Leidenschaftlich liebkost Phil die Gitarre und bringt sie und sich schließlich zur schieren Ekstase. Nach dem Höhepunkt klingt das Stück wieder sanft mit der balladesken Eingangspassage aus. Die Jungs aus Wichita, Kansas, um den jüngst zu früh verstorbenen Mark ´The Shark´ Shelton, genau, MANILLA ROAD oder die LEGEND von der englischen Kanalinsel Jersey hätten für solch einen Song getötet. Und damit ist die Spitze des Eisbergs nicht erreicht. Mystische Orgel bzw. Synthesizerläufe, morbide Riffs mit großer erzählerischer Kraft und verspielte Strukturen bilden das Grundgerüst von ´Take Me There´, zumindest von seiner Einleitung. Heavy rifft sich dann die Gitarre durch die Strophe, während die Rhythmen eher tänzelnden Charakter haben. Die Synthesizerorgel spielt darüber eine orientalisch anmutende Melodie, die Dich in einen Strudel knallbunter Alptraumfantasien reißt. Und der Song ändert wieder seine Richtung, fließt langsam, aber irgendwie nervös dahin. Auf ihm reitet der Gesang mit einer sehr düsteren, bedrohlich anmutenden Melodie. Der Refrain ist forscher, wütender, eindringlich und mitreißend, als bräche der Sturm jetzt los. Aber die Band verfällt immer wieder auf die Strophe, geht zurück zu dieser Unheil verkündenden Melodie. Ein kurzer instrumentaler Lauf mit gleichsam düsterer Atmosphäre und die A-Seite ist vorüber. Wobei der Text wiederum gar nicht so finster ist. Ein wohl junger Mensch lamentiert, dass er die Welt gerne bereisen, andere Dinge sehen und erleben möchte. Ihn langweilt der Ort, an dem er lebt, und die Tatsache, dass er nur in seinen Visionen zu anderen Plätzen reisen kann. Viele von uns können sich damit sicherlich identifizieren.

Was geht auf der B Seite? ´Last Days´ klingt nun nicht nach einer schönen Zeit. Dafür ist die Musik umso schöner. Erst sanft beginnend, mit leicht folkiger Melodie, dann wird es intensiver, fällt wieder auf den entspannteren Lauf zurück. Die Melodie ist einfach, aber dafür umso größer und epischer. Hat was von JEFFERSON AIRPLANE und ´White Rabbit´, nur wie Kaugummi langgezogen und entspannter. Ein hektischer Übergang in eine hardrockige Passage auf tänzelndem Beat, wo sich Gesang und Leadgitarre wieder zu unterhalten scheinen, schließt sich an. Die Hauptpassage wird immer wieder von kleinen instrumentalen Brücken unterbrochen, in denen sich Phil Sheldon gitarrentechnisch etwas austoben kann. Joe Silva ist hier immer noch der beschwörende Geschichtenerzähler und spielt ein wenig Rhythmusgitarre, während sich Phil im Solo wieder in Trance rockt. Und das Riff an sich ist hier immer eine hohe Kunst, mag es auch einfach sein. Ein solches beschließt ´Last Days´ und ein dunkler, sanfter Lauf mit einer Atmosphäre zwischen Traurigkeit und Mystik säuselt Dich langsam in einen weiteren Traum hinein, der Dein tiefstes Inneres in Brand steckt. Du hängst förmlich an Joe Silvas Lippen, wenn er über dieser Passage beinahe schon wehklagend singt, bevor dann auch hier wieder schwungvoller, mitreißender Heavy Rock die Leitung des Songs übernimmt. Und das Stück ´One More On The Shelf´ wird dann in der Tat sehr energetisch, bis einschließlich des Soloparts, bei dem Phil Sheldon inbrünstig die Sechssaitige jaulen und brodeln lässt. Und wieder kommt die mystisch dunkle Passage, woraus sich das Stück in einen dunkel bleibenden, mittelschnellen Rockpart steigert, bei dem die Gitarre gar nicht so zerrig erscheint. Dann darf Phil wieder mit einem Prachtsolo loslegen und freut sich so sehr darüber, dass er gar nicht wieder aufhört. Doch…urplötzlich ist der Song vorbei.

Das seltsam betitelte ´Cerebrate´ beginnt mit einem verspielten Duell von Leadgitarre und ganzer Band, welches von der Melodie her erneut tiefe Mystik erkennen lässt. Und so ist es auch dann im entspannt vorantreibenden Song ein Sud dunkler Melodien, der Deine Sinne betört. Ein wenig klassisches Melodiegespür, ein Ausdruck von Wüstenromantik, ein kurzes Zitat aus einem alten BLACK SABBATH-Song im Solo, genauer ´A National Acrobat´ von meiner Lieblingsplatte ihrerseits ´Sabbath Bloody Aabbath´ und ein Beat, der wie ein morbider Twist wirkt, sind Garant für eine absolute Mystik Metal-Hymne. Heavy Metal, okay, viele stellen sich was anderes darunter vor, aber das war 1981, da war alles noch im Gedeihen und in der Entwicklung. Und auch wenn wir LODESTONE heuer als Protometal und Hardrock bezeichnen würden, auch das war Heavy Metal 1981. ´Kim’s Song´ baut sich dann als Rauswerfer vor Dir auf und Du verfällst diesem intensiv rockenden Monster von einem wahnsinnige Geschichten erzählenden Heavy Rocker sofort. Auch hier wird melodisch kräftig soliert, auch hier kommt es zu Umbrüchen, werden extrem bedrohliche Passagen mit Synthesizerorgeln eingeflochten, die Dich in die Tiefe ziehen, wo unaussprechliche Kulte Rituale von nicht nennbarer Widersinnigkeit zelebrieren. Und LODESTONE untermalen das mit ihren verspielt angelegten Songs. Keine Spur von „Strophe / Refrain / Strophe / Refrain / Solo / Refrain“-Komposition. ´Kim’s Song´ ist eine Klangwelt für sich, eine Reise durch eine unnatürliche, faszinierende Gegend. Diese Band ist wie H.P. Lovecraft in Musik gefasst, auch wenn die Texte wirklich gar nicht so derbe sind. Die Sehnsucht und Leidenschaft der Musiker ist hier sehr intensiv spürbar und vielleicht ist es der Spirit der kalifornischen Musikszene der späten 60er, der LODESTONE dazu inspiriert hat, die Stücke ausladend, mit vielen spannenden, freimütigen Instrumentalteilen auszustatten, die Dich förmlich hypnotisieren und Deine Sinne zum Glühen bringen, während sie Deine Seele mit dunkelbunten Träumen erfüllen. Das hier sollte jeder kennen, der die letzten Jahre über zu Konzerten von MANILLA ROAD gepilgert ist. Diese Musik ist mehr als Unterhaltung, sie ist Spiritualität in Klänge gefasst und erfüllt den Sinn von Musik für mich allerbestens.

Die 18 Jahre – vom ersten Lesen bis zum Erwerb der LP – haben sich für mich gelohnt. Umso tiefer berührt mich ein jeder Song auf diesem Album. LODESTONE sind EPIC METAL in Reinkultur und können mit den größten Helden ihrer Zeit aus diesem Bereich und anderen Obskuritäten wie den US LEGEND von 1979 locker mithalten. Da sieht man Gnome und Elfen beim Anhören vor Freude tanzen. Das musikalische Märchen hat natürlich eine eher bodenständige Produktion, die Gitarre klingt oft dreckig und heavy, aber nicht im Sinne von zu viel physischer Direktheit. Das Spiel und die Komposition hier auf diesem Album, der Gesang, all dies strahlt eine Art Besessenheit aus, die mich als Hörer fasziniert und begeistert. Für den gemeinen Popkonsumenten oder Fan straighter AC/DC Kost (bin ich übrigens auch, ist also durchaus ein Kompliment von meiner Seite aus) mag das hier zu viel sein. Epic Metal-Fanatiker, die Protagonisten der Szene sind bekannt, werden sich vor Verzückung heulend in schierer Ekstase winden. AMEN!!!!! Und wenn LODESTONE nicht gestorben sind, dann rocken sie noch heute.