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HEIR APPARENT – The View From Below

~ 2018 (No Remorse Records) – Stil: Metal ~


Düster bestreiten HEIR APPARENT nach 29 Jahren ihr Comeback, genauso finster wie sich die Dekade in diesen Tagen präsentiert. Alle Kompositionen ertönen niemals in dieser glasklaren Melodik ihres letzten Albums ´One Small Voice´, dafür ist der Sound des Comeback-Werkes viel zu gedämpft.

Schwermütig gibt sich der ´Man In The Sky´ als Opener von ´The View From Below´, nur einmal bricht er aus der mittleren Geschwindigkeitsbegrenzung aus. Verraten, verkauft von dem angehimmelten Mann dort oben über den Wolken – zwischen diesen Gedankengängen zeigen sich prog-metallische Kräfte der vergangenen Neunziger Jahre. Neuzeitlicher wird es nicht mehr. Erste Anzeichen für die Größe von Neu-Sänger Will Shaw, der seine Live-Feuertaufe 2016 glorreich bestand, treten bereits zutage. Strebt sein außergewöhnliches Organ in die Höhe, bleiben Vergleiche insbesondere zu Legenden wie Tom Mallicoat von LETHAL nicht aus. In genau diese Stimmlage steigt er beim wirklich übermächtigen Album-Höhepunkt ´The Door´ ein. Die Keyboards umschmeicheln sogleich die anderen Instrumente und verzieren die dezent aggressivere Stimmung. Dennoch völlig einschmeichelnd, seelenzerreißend lässt Will Shaw nicht nur Anhänger von JACBOS DREAM und LETHAL auf die Knie sinken, und versetzt uns den Gnadenstoß mit langgezogenen, überirdischen Gesangsseufzern. Das niederschlagende ´Further And Farther´ steigt nur wuchtig ein, und dankt letztlich mit einem längeren, akustisch instrumentierten Abschnitt ab. Da sich das jetzige Zeitalter immer mehr von der Wahrheit entfernt, heißt der dabei gepriesene Lösungsweg: Raus aus eurer Komfortzone, sie ist der Feind. ´Synthetic Lies´ zeigt sich ebenso halbballadesk als stapfendes Maschinenmonster in der Lichtlosigkeit. So schmerzend wie in der Bibel beschrieben ist ´The Road To Palestine´. Unter einer Zentnerlast ächzend, verläuft sie schwerfällig am Fuße des orientalischen RAINBOW entlang. Als einzige Komposition in roten Drehzahlen berührt dagegen ´Savior´ im heilsbringenden Machtkampf zwischen Mensch und Maschine direkt greifbar die Genießer von CRIMSON GLORY – und ihr Innerstes mit einem endlosen Schrei. Dass die Lieder überwiegend Kopfhörermusik zum Genießen darstellen, belegt die Ballade ´Here We Aren´t´ über die Ängste unseres Daseins, im Hier und Dort. Im Mittelpunkt natürlich Will Shaw – wie in allen Songs, die in ihrer Gesamtheit betrachtet die Finsternis zur Schau tragen, leuchtende Ausstrahlungskraft durch die Keyboards und schillernden Glanz durch den Gesang erlangen. Vielleicht ist es der fehlende Nachdruck der Kompositionen von Gitarrist Terry Gorle und seinen beiden anderen Ur-Mitgliedern Derek Peace und Ray Schwartz der diese in gewissem Maße hinter der brillanten Weltklasse-Leistung ihres Sängers zurückstehen lässt.

Dem schnelllebigen Jahrhundert entgegnen HEIR APPARENT mit Schwermut und Schmerz – und setzen ein notwendiges Gegengewicht, mit erstklassigen Liedern und einem Weltklasse-Sänger. ´The Door´ ist der alles überstrahlende Schlüssel in diese Welt, ein vieles in dieser Dekade übertreffender Song, er öffnet die Tür, ´Savior´ ist hingegen der Song, der uns durch ´The View From Below´ hindurch führt.

(8,5 Punkte)

Michael Haifl

 

 

Noch nie haben mich neue Sänger auf Anhieb so umgehauen wie Mike Cotoia und Will Shaw beim KIT 2016. Während ersterer als perfektes Eric Adams-Double brillierte, war es Shaws Verdienst, die Seattle-Legende HEIR APPARENT wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Entsprechend groß waren die Hoffnungen, als das neue, dritte Album nach fast drei Jahrzehnten Kreativpause tatsächlich Form annahm. Und jetzt, da ich mir die Promoversion ein gutes Dutzend Mal verabreicht habe? Bleibt nichts als ehrfürchtige Begeisterung.

Indeed, Mastermind Terry Gorle und seine original Rhythmusgruppe haben es zusammen mit Keyboarder Op Sakya und erwähntem Weltklasse-Shaw geschafft, den beiden so unterschiedlichen Klassikern ´Graceful Inheritance´ und ´One Small Voice´ einen würdigen dritten Teil zur Seite zu stellen. HEIR APPARENT wahren auf ´The View From Below’ zum einen ihre ureigene Identität zwischen Prog und feinstem US-Metal, dazu gesellen sich Querverweise zu frühen DREAM THEATER (´The Door´), SAVATAGE (´Here We Aren’t´), CRIMSON GLORY (´Synthetic Lies´) und FATES WARNING (´Further and Farther’), die einem Schauer um Schauer über sämtliche Körperteile jagen.

Bis auf den lediglich sehr guten Opener ´Man In The Sky´ und das unspektakuläre Quoten-Uptempostück ´Savior´ sprechen wir hier also von einem späten Meisterwerk, einem Statement, wie es zuletzt allenfalls ARCH/MATHEOS und ARMORED SAINT veröffentlicht haben. Drum kniet hin, lauschet offenen Herzens und lasset uns die Tage zählen bis zum Headliner-Gig auf dem 2019er-Headbanger’s Open Air. Amen.

(9 Punkte)

Ludwig Krammer

 

 

Knapp 30 Jahre sind seit ´One Small Voice´, dem zweiten Werk HEIR APPARENTs, vergangen. Zusammen mit dem legendären Debüt ´Graceful Inheritance´ hat die Band aus Seattle um den begnadeten Gitarristen Terry Gorle zwei wunderbare Meisterwerke hinterlassen, die keinerlei Abnutzungserscheinungen aufweisen. Über die Ups and Downs der Band braucht man heute – im Rückblick – nicht mehr diskutieren.

Terry Gorle setzt nun auf dem dritten offiziellen Album der Band seine Version von HEIR APPARENT – von der ersten bis zur letzten Sekunde – um. Acht Songs lang ist man hin- und her gerissen. Aber vorab kurz zu den harten Fakten: Der Sound ist enorm, die Gitarrenarbeit episch. Der Gesang sorgt für Schnappatmung und ist definitiv das Highlight des Albums. Will Shaw liefert! Und wie er liefert: Das ist pure Gesangsmagie. Nicht nur, dass er eine gute Stimme hat, nein, er setzt seine gesanglichen Fähigkeiten wie eine präzise Waffe ein. Emotional gesehen gehört das mit zum Besten, was man in diesem Genre zu hören bekommt. Irgendwo zwischen QUEENSRYCHEs gleichnamiger EP, LETHALs ´Programmed´ sowie CRIMSON GLORYs Debüt.

Die Songs bewegen sich überwiegend eher im Niedrig-Tempo-Sektor, nur selten brechen sie aus. Das funktioniert im Ganzen gesehen ziemlich gut, macht die Sache allerdings auch weniger abwechslungsreich. Zwei bis drei flottere Hymnen hätten dem Album gut zu Gesicht gestanden. Somit zählt ´The Door´ für mich persönlich zu den Höhepunkten des Albums, da hier energischer, mit leicht angezogenem Tempo gespielt wird. Generell bin ich kein Balladenfan, aber mit ´Here We Aren´t´ haben sie doch eine magische Nummer aus dem Ärmel geschüttelt, die selbst Balladenhasser wie mich beeindrucken können. Das liegt eventuell daran, dass der Track weder schnulzig noch eindimensional klingt. Eher eine Art Prog-Ballade mit prägnanter Gitarrenarbeit bei der eigentlich nur das Schlagzeug irgendwie hohl klingt. ´Synthetic Lies´ läuft mir dagegen mit einem zu ausgeprägtem Progressive Feeling gar nicht rein. Ein gefühlsmäßig recht dunkler Song. Der durchgehend schnellste Track nennt sich ´Savior´ und ist zugleich der metallischste des Albums. Der Gesang haut einen hier komplett weg. Trotz seiner treibenden Heavyness hat auch dieses Stück ein kleines Manko – selbst der Refrain bleibt nicht hängen, wenn man überhaupt von einem Refrain reden kann. Eines der generellen Schwächen des Albums, wobei „Schwächen“ ziemlich drastisch klingt: Es bleibt kein Stück längerfristig wegen eines bestimmten Refrains oder einer Textzeile hängen. Alles überzeugt, alles beeindruckt, aber die Nachhaltigkeit leidet darunter. Möglicherweise habt ihr die Erfahrung schon selbst gemacht: Geiles Album, echt stark zu hören, aber irgendwie bleibt nichts hängen. Ein paar prägnante Melodien, Refrains, die sich ins Gehör beißen? Fehlanzeige, trotz der imposanten Gesamtleistung. Selbst einem meiner Faves des Albums, ´Insomnia´, fehlt beides, trotz seiner beeindruckenden Klasse sowie den treibenden Passagen, die vorzüglich mit dem Gesang harmonieren und das Stück zu einem echten Epos machen. Vielleicht das Referenzstück des Albums.

Ob sich das Werk über kurz oder lang zu einem echten Favoriten entwickelt, ist noch nicht abzusehen. Einige Stücke sind es wert, öfters gehört zu werden. Trotz mangelnder Earcatcher-Qualitäten (manche nennen das auch Ballermann-Refrains…) hat es seine Momente. Aber in Anbetracht der fehlenden, markanten Referenz-Ohrwurmqualitäten bleibt es schwierig. Und was auch nicht unerwähnt bleiben darf: ´ The View From Below´ ist nicht im Geringsten mit dem Debüt vergleichbar.

(7,5 Punkte)

Jürgen Tschamler

 

 

Um die Tragweite dieser kommenden Veröffentlichung zu verdeutlichen, zu Beginn der reale Dialog zwischen meiner Liebsten und mir – der Einfachheit halber im Folgenden schlicht Agents K und L genannt:

Tag 1 – K: “Was läuft hier gerade?“ L: “Die neue HEIR APPARENT.“ K: “Aha.“
Tag 2 – K: “Was hören wir nun?“ L: “Die neue HEIR APPARENT.“ K: “Ach, ja.“
Tag 3 – K: “Oh, genial, was ist das?“ L: “Die neue HEIR APPARENT.“ K: “Klar.“
Tag 4 – K: “Boah, was ist das für ein Sänger?“ L: “ Der neue bei HEIR APPARENT.“ K: “GEIL!“

Brave Kinder ahnen’s schon: Das dritte Werk dieser unvergleichlichen Macht aus der Hauptstadt unvergessener Metalperlen Seattle beinhaltet nach 29 Jahren unvorhergesehenes Suchtpotenzial. In wenigen Worten zusammengefasst erwartet den Hörer die perfekte Mischung aus dem legendären Debütklassiker ´Graceful Inheritance´ und dem ruhigeren Nachfolgewerk ´One Small Voice´ – erfreulicherweise ohne dessen streitbare, wenn auch großartige Kommerzialität, den MODERN TALKING-Backings und der in den Hintergrund gemischten Gitarre des Masterminds Terry Gorle.

Dieser und auch seine alten Mitstreiter Derek Peace am melodieliebenden Bass und Raymond Schwartz/Black am filigranen Schlagwerk können hier auf ganzer Linie ihre musikalische Vielfalt ausleben, ohne dass der songdienliche Tastenzuwachs Op Sakiya das Schiff in die Keyboardklippen steuert wie einst der Namenszwilling eines King of Pop oder eines legendären SATAN-/ PARIAH-Fronters. Was hätten wir für Alben bekommen ohne diesen dramatischen Bruch nach dem Zweitling? Antwort: Vielleicht mehrere wie dieses. Doch nicht mit solch einem Granatensänger wie Will Shaw. Mehr als nur ein Ersatz für Paul Davidson oder Steve Benito lässt dieser Mann selbst die Todds dieser Welt hinter sich.

Der Opener ´Man In The Sky´ nimmt alle Bedenken bezüglich Modernisierung und glänzt als reiner Metaltrack mit typischen Trademarks der Combo. Im Midtempo öffnet sich ´The Door´ und bietet Will gleich Gelegenheit, seine überragenden Fähigkeiten auszuleben. Ballädchentime, die Erste auf Position drei. Wie auch mein US-Jahresfavorit OPEN BURN setzt man mehrfach auf das unkitschige Kuschelpferd und gewinnt über weite Strecken. Die ´Synthetic Lies´ lassen beinahe CRIMSON GLORY’schen Wahnsinn und die Erinnerung an die Verzweiflungsausbrüche des unvergessenen Midnight wieder aufleben. Die Geduld des gracefullen Anhängers wird mit dem ´Savior´ belohnt, die Inheritance gelingt – mehr flottes APPARENT geht nicht. Ruhig und gefühlvoll verzaubert ´Further And Farther´ und auch die ´Road To Palestine´ wird würdevoll-langsam-episch beschritten. ´Insomnia´ raubt euch nicht den Schlaf, sondern weist eine schwebende SACRED BLADE-Atmosphäre auf.

Das wäre dann auch der einzige Kritikpunkt, dass vielleicht zwei Uptempobrecher mehr dem Werk gut getan und die härtere Metalfraktion voll bedient hätten. Doch nach all dieser Studioabstinenz kein halbgares Comeback abzuliefern, wie leider so viele andere Mitbewerber aus dieser goldenen Ära, führt bei mir zu multiplen Mystikorgasmen, wie sie mir in diesem Jahr ausschließlich OPEN BURN beschert haben.

Neun erb-rechtlich nicht anfechtbare Punkte

Less Leßmeister

 

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https://www.heirapparent.com/


(VÖ: 15.10.2018)