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AT THE GATES – To Drink From The Night Itself

2018 (Century Media) – Stil: Melodic Death Metal


Am Ende überwog die Enttäuschung. Nicht nur ein veritabler Teil der AT THE GATES-Fans, sondern auch Frontmann Tomas „Tompa“ Lindberg empfand das 2014er-Comeback ‚At War With Reality‘ im Nachgang als „etwas zu sehr auf Nummer sicher“ gemacht. Mit dem Vorsatz, die 1995 mit dem Klassiker ‚Slaughter Of The Soul‘ definierte Komfortzone zu verlassen, machten sich die Göteborger also an den Nachfolger ‚To Drink From The Night Itself‘, dem ersten Album mit Neu-Gitarrist Jonas Stålhammar (Ex-THE CROWN), der das ausgestiegene Ur-Mitglied Anders Björler zu ersetzen hat.

Herausgekommen ist ein Werk zwischen Faszination und Formelhaftigkeit. Textlich basierend auf der „Ästhetik des Widerstands“, dem monumentalen Kultroman des deutsch-schwedischen Schriftstellers Peter Weiss, in dem die Geschichte des Scheiterns sozialistischer Kämpfe und das Ausgeliefertsein des Individuums in totalitären Zeiten abgebildet wird, kämpfen AT THE GATES für musikalische Nachvollziehbarkeit und gegen (Genre)-Limitierungen. Ersteres gelingt durchgehend, keinem der elf Songs lässt sich echte Sperrigkeit unterstellen, wahre Begeisterung verursacht beim langjährigen Anhänger indes nur knapp die Hälfte des Materials.

Praktischerweise sind die Höhepunkte direkt hintereinander platziert und hätten als EP eine glatte Neun verdient. ‚Palace Of Lepers‘ killt als Track Nr. vier mit VOIVODesken Akkordeinschüben und Exkursen in den melodischen Thrash, der weitgehend im Midtempo zelebrierten Macht kann man sich höchstens an den Mast gebunden, mit reichlich Wachs im Ohr, entziehen. Gleiches gilt für ‚Daggers Of Black Haze‘, in dem sich DISSECTION-Riff-Reminiszenzen mit Cleangitarren zu einer Hymne auftürmen, die den inneren Opferaltar mit einem Wisch entstaubt. ‚The Chasm‘ fräst die geschlagene Kerbe genüsslich aus, die über phasenweise punkigen Drums atmenden Gitarren zeigen allen Pomp-und-Gloria-Posern, wie Atmosphäre richtig zubereitet wird. Abgeschlossen wird die fiktive EP von ‚In Nameless Sleep‘, das die stärksten Momente von ‚At War With Reality‘ bündelt, im zweiten Teil gar die Herrlichkeit der NWoBHM heraufbeschwört und das Ganze mit einem Gastsolo von Königsgitarrist Andy La Roque garniert. Der Rest der Scheibe schließt dort an, wo das generisch-gutklassige Eröffnungsdoppel endet: Qualitätsgehämmer ohne Überraschungseffekte, beeindruckend gespielt, aber ohne das gewisse Extra, das eine Legende wie AT THE GATES in eben diese Vorreiterrolle gehievt hat.

Beschimpft mich, aber da wäre mehr drin gewesen.

(7,5 Punkte)