PlattenkritikenPressfrisch

GROBSCHNITT – Grobschnitt

~ 1972 (Metronome, Brain 1008), 2015 (Brain, Universal Music) ~


Mit dem Super-Deluxe-Boxset ´79:10´ sind in diesen Tagen alle GROBSCHNITT Alben wundervoll vereint erschienen. Die Alben wurden remastered und mit neuem Bonusmaterial versehen, können aber auch einzeln und nicht nur in geballter Form mit der Box erstanden werden. Aus diesem Grunde werden hier in loser Folge alle Alben chronologisch besprochen. Der Startschuss fällt dazu in den frühen 70er Jahren …

Im Jahr 1971 gründeten sich GROBSCHNITT im nordrhein-westfälischen Hagen. Ein vollzogener Zusammenschluss der Schülerbands THE CREW, CHARING CROSS und WUTPICKEL ließ eine Band namens KAPELLE ELIAS GROBSCHNITT entstehen. Rainer Loskand, später bekannt als Toni Moff Mollo, brachte nämlich ein Bild der Soldatenkapelle seines Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg mit dem Namen KAPELLE ELIAS GROBSCHNITT mit und trug so zur Namensfindung bei. Bald nannten sie sich freilich nur noch GROBSCHNITT. Alle Bandmitglieder, aber auch die Roadies, agierten von diesem Zeitpunkt an unter Künstlernamen, so dass die Gründungsformation aus

Stefan Danielak (Willi Wildschwein) – Gesang, Gitarre, Saxophon
Gerd Otto Kühn (Lupo) – Lead-Gitarre
Bernhard Uhlemann (Bär) – Bass
Hermann Quetting (Quecksilber) – Orgel
Joachim H. Ehrig (Eroc) – Schlagzeug, Percussion, Elektronik
Axel Harlos (Felix) – Schlagzeug

und Rainer Loskand (Toni Moff Mollo) – Lichtanlage, später auch Gesang, bestand. Lupo und Wildschwein prägten, neben Eroc, als einzige, durchgehend aktive Bandmitglieder den Sound der Band über die Jahre hinweg bis zur Auflösung im Jahr 1989. In dieser Besetzung erschien im April 1972 ihr Banddebüt ´Grobschnitt´. Die Aufnahme-Sessions begannen dazu im Dezember zuvor in den Hamburger ´Windrose Studios´ unter der Leitung von Conny Plank, der ihr Freund und Haupt-Engineer werden sollte, und Frank Mille.

Das Debüt präsentiert die Band weitaus rauer und härter als in späteren Jahren. Obwohl sie eher einen high-energy Space Rock und weniger Symphonic Rock spielten, wurden vielerorts Parallelen zum ersten YES-Album gezogen, die auch erst später zu ihrem endgültigen, sie berühmt machenden Stil gefunden haben. GROBSCHNITT selber bezeichneten ihren Stil als Klassikrock, wurde allerdings wie in diesen Zeiten allgemein üblich als Krautrock bezeichnet. Doch dieser Oberbegriff wurde längst nicht all den Gruppen gerecht, die allesamt recht vielfältig agierten. Allein im Jahr 1972 erschienen großartige Alben, um nur einige zu nennen, von AMON DÜÜL II, ASH RA TEMPEL, BRAINSTORM, CAN, EMBRYO, FAUST, GURU GURU, HOELDERLIN, JANE, KRAAN, NEU!, POPOL VUH, TWENTY SIXTY SIX & THEN, WALLENSTEIN und XHOL. GROBSCHNITT ragten dagegen mit ihrem Space-, Psych- und Art-Rock vor allem aufgrund ihrer Bühnenshow heraus. Bereits die Vorgängergruppe war für ihren aufwendigen Bühneneinsatz bekannt und GROBSCHNITT konnten dies mit dem Einsatz von Feuerwerkskörpern auf der Bühne sogar steigern.

Gone, like the birds when the winter appears
Gone, like the snow when the springtime comes near
I’ll go to visit distant places, gonna see some other people

Der Opener ´Symphony´, eine vierteilige Suite über knapp 14 Minuten, lässt sogleich, nach einer humorvollen Ansage zu Beginn, das unwahrscheinlich starke Rhythmusgefühl der Band erkennen. Ein nicht enden wollender Groove geht vollkommen dynamisch in Orgel- und Piano-Parts über. Lupo zeigt hier sehr früh sein gefühlvolles, emotionales Gitarrenspiel, das dem jungen Carlos Santana nicht unähnlich erscheint, und Wildschwein hat diese einzigartige Stimme, die höchstens mit Chris Farlow (COLLOSSEUM) zu vergleichen ist. Sogar ein Hamburger Streichquartett konnte engagiert werden. `Travelling´ kehrt anschließend weit mehr das SANTANA-Feeling hervor, während ´Wonderful Music´ eher banduntypisch ein schöner, folkiger Akustiksong in der Tradition früher JETHRO TULL-Lieder ist.

`Sun Trip´ stellt schließlich zum Abschluss des Albums das zweite große Meisterwerk dar. Bereits in diesen frühen Zeiten arbeitete die Band an ihrem späteren Überwerk ´Solar Music´ und schon hier enteilten die Ideen in diese Richtung. Fast 18 Minuten lang treten sie ihren Trip zur Sonne an, inklusive Jam- und Space-Parts der Marke AMON DÜÜL II und PINK FLOYD. Eröffnet wird der Song mit einer in Deutsch gesprochenen, biblischen Parabel (´Am Ölberg, Mountain Of Olives´). Vollkommen ernst schmücken die gesprochenen Worte gleichwohl reichlich Humor. Aufgrund dieser lockeren Art wurden GROBSCHNITT sogar allzu gerne in die Hippie-Ecke gedrängt. Sich selber haben sie wohl ebenso nicht allzu ernst genommen, aber ihre Musik haben sie voller Ernst gespielt. Der restliche Text des Epos entwickelt sich dann zu einer Anti-Kriegs-Ansage und so werden spacige und psychedelische Trips durchlebt sowie aufbrausende und melancholische Emotionen geweckt.

In Vietnam my brother’s shooten down
The sun burns hot, the bombers roaring loud
His mind is dead, his blood runs warm and red
It’s a shame to see, ‚cos he’s a man like you and me
… my brother’s shooten down

Das Debüt `Grobschnitt´ befindet sich, wie alle enthaltenen CDs der Box, in einem edlen Mintpack, einem dünnen Gatefold-artigen Digi, und hat als Bonus eine 10-minütige Live-Aufnahme von ´About My Town´ und eine 26-minütige von ´Another Symphony´ anzubieten. [Weitere Informationen zur Box und zur Bandgeschichte befinden sich hier]

Das Remastering der Alben soll nun das letzte seiner Art sein, sozusagen das ´Grobschnitt-Klang-Vermächtnis´.

(8 Punkte)