
JEROME SABBAGH – Stand Up!
2025 (Analog Tone Factory) - Stil: Jazz
Mit ´Stand Up!´ veröffentlicht der in New York lebende Tenorsaxophonist Jérôme Sabbagh ein Album, das zugleich Rückkehr, Weiterentwicklung und künstlerisches Bekenntnis darstellt. Mehr als ein Jahrzehnt nach der letzten Einspielung seines langjährigen Quartetts bringt er jene Besetzung wieder zusammen, die über Jahre hinweg zu seiner musikalischen Identität geworden ist. Ben Monder an der Gitarre, Joe Martin am Bass und als neue, aber sofort prägende Stimme Nasheet Waits am Schlagzeug bilden ein Ensemble, dessen innere Geschlossenheit und spontane Kommunikation den Kern dieser Produktion bilden. Jérôme Sabbagh hat oft betont, dass er seine Musik mit den Stimmen seiner Mitmusiker im Kopf schreibt, mit ihrer Sensibilität, ihrem gemeinsamen Klang. ´Stand Up!´ macht diesen Ansatz unmittelbar hörbar. Die Stücke wirken nicht wie die Präsentationen individueller Virtuosität, sondern wie organisch aus einer lang gewachsenen Vertrauensstruktur hervorgegangen.
Aufgenommen wurde das Album unter dem Dach von Jérôme Sabbaghs eigenem Label “Analog Tone Factory”, das sich kompromisslos dem analogen Arbeiten verschrieben hat. ´Stand Up!´ entstand vollständig live im Studio – ohne Kopfhörer, ohne Overdubs, ohne digitale Eingriffe. Engineer James Farber setzte dabei auf einen offenen, akustisch unmittelbaren Zugang, bei dem die Musiker gemeinsam im Raum agierten und sich ohne technische Barrieren hören konnten. Das Ergebnis ist ein dreidimensionaler, körperhafter Klang, der sich an klassischen, organischen Jazzproduktionen orientiert: Drums rechts, Gitarre links, Saxophon und Bass im Zentrum; eine Stereobreite, die bewusst unprätentiös, aber hochpräzise wirkt. Das Quartett erscheint so nah, dass man meint, die Luft im Aufnahmeraum zu spüren.
Besonders deutlich wird dies in der “One-Step-Pressung” auf 180g Vinyl, die Jérôme Sabbaghs analoge Produktionsphilosophie konsequent fortsetzt. Das Verfahren reduziert die Herstellungskette auf ein Minimum und transportiert die Energie der Aufnahme nahezu verlustfrei.
Die Pressungen sind sehr leise, absolut plan und frei von Artefakten; die dynamischen Feinheiten werden mit beeindruckender Klarheit abgebildet. Einzig das Fehlen einer hochwertigeren Hülle oder eines Gatefold mit Sessionfotos und Hintergrundinformationen kann den “Analog Tone Factory”-Editionen angelastet werden. Doch entscheidend bleibt die Musik, und die ist in dieser Form so unvermittelt präsent, wie es heutige Analogproduktionen selten erreichen.
Inhaltlich ist ´Stand Up!´ ein zutiefst persönliches Album. Jede der acht Kompositionen ist einer Person gewidmet, die Jérôme Sabbagh musikalisch oder biografisch geprägt hat – eine Struktur, die dem Album eine klare innere Logik verleiht. Das eröffnende ´Lone Jack´ trägt jene warme, leicht bluesige Färbung, die sowohl an Ray Charles erinnert als auch an Pete Rende, einen engen Studiopartner Jérôme Sabbaghs. Besonderes die ausgelassene Vorstellung von Ben Monder an der Gitarre und die sich anschließende, mitsingbare Melodie von Jérôme Sabbagh am Tenorsaxophon stechen in die Gehörgänge. ´Michelle’s Song´, einer langjährigen Freundin gewidmet, zeigt die lyrische Seite des Tenorsaxophonisten. Sein Ton wirkt hier fast kammermusikalisch, klar, unaufgeregt und zugleich tief empfunden, während recht früh bereits die Solo-Darbietung am Bass betört.
Mit dem signalisierenden ´Lunar Cycle´ verneigt sich Jérôme Sabbagh vor Sam Rivers und dessen elegantem Umgang mit Freiheit und Form. Nasheet Waits entfaltet eine rhythmische Spannung, die dem Stück eine kantige Lebendigkeit verleiht, ohne je zur bloßen Hommage zu werden. ´The Break Song´, inspiriert von Stevie Wonders melodischer Energie, verbindet popnahe Klarheit mit jazziger Finesse. ´High Falls´ führt das Album nonchalant Richtung Brasilien und öffnet ein helles, schwebendes Bossa-Panorama, das dem dramaturgischen Verlauf zusätzliche Leuchtkraft verleiht.
Einen deutlichen stilistischen Kontrast markiert ´Mosh Pit´, Jérôme Sabbaghs augenzwinkernde Referenz an Trent Reznor und dessen Industrial-Ästhetik in einem wilden und chaotisch anumutenden Szenario. Hier demonstriert das Quartett, wie mühelos es ein raueres Idiom in seinen Klangkosmos integrieren kann, ohne die eigene Identität preiszugeben. ´Vanguard´ wiederum ehrt Paul Motian, und zwar nicht durch stilistische Imitation, sondern durch die Offenheit, die er verkörperte, durch eine aus dramaturgischen Mitteln erzeugte Kunst, wie etwa Lautlosigkeit und Schwebezustände. Der Abschluss ´Unbowed´, Kenny Barron gewidmet, bildet eine ruhige, fast friedvolle Ausklanggeste, das bewusste Weitergehen eines vierköpfigen Ensembles, das seinen inneren Schwerpunkt gefunden hat.

Die herausragende Klangqualität der “One-Step-Pressung” auf 180 g-Vinyl ist dabei kein bloßes Detail, sondern die logische Fortsetzung der künstlerischen Absicht. Sie ermöglicht eine Transparenz, wie sie bei modernen Analogproduktionen nur selten erreicht wird. Jérôme Sabbagh spielt mit warmem, unmittelbar ansprechendem Ton, frei von demonstrativer Virtuosität; seine Stärke liegt im Erzählen. Ben Monder setzt silbrig klare harmonische Akzente, die mal weite Räume öffnen, mal feinste Schatten legen. Joe Martin verbindet Stabilität und melodische Eleganz, während Nasheet Waits mit subtiler Energie und struktureller Sensibilität das Klangbild belebt.
´Stand Up!´ ist damit weit mehr als eine Wiederbelebung eines lang eingespielten Quartetts. Es ist das souveräne Statement eines Musikers, der seine ästhetischen Prinzipien über Jahre geschärft hat und der nun – unterstützt von einem Ensemble höchster musikalischer Intelligenz – zeigt, wie zeitgenössischer Jazz zugleich tief verwurzelt, lebendig und offen sein kann. Die Kombination aus kompositorischem Fokus, kollektiver Musikalität und audiophiler Realisierung macht das Album zu einer vitalen Veröffentlichung. ´Stand Up!´ ist ein Werk von Authentizität, Wärme und Klarheit – und die “One-Step-Pressung” liefert die volle unmittelbare Wahrnehmung des Quartetts, die jedes Detail, jede Interaktion und jede Nuance des Ensembles hörbar und spürbar macht.
(9 Punkte)
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