
FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD – Welcome To The Pleasuredome
1984/2025 (Universal Music Recordings) - Stil: Pop
Als ´Welcome To The Pleasuredome´ im Herbst 1984 aus den Londoner Studios auf die Plattenteller der Welt trat, war die Wirkung überwältigend, beinahe schon militärisch: ein Sturm aus Sound, Sex und gesellschaftlicher Provokation. FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD hatten nichts Geringeres als die Grenzen des Pop neu definiert.
Von den ersten Takten der Titeltrack-Ouvertüre an öffnete sich eine Welt, die sich gleichzeitig rauschhaft, intellektuell und gefährlich anfühlte. Orchesterschläge donnerten wie Einschläge, digitale Synthesizer wanden sich wie Schlangen durch den Klangraum, während Holly Johnsons Stimme wie ein Leitstern aus Ekstase und Unschuld zugleich die Luft elektrisierte: „The world is my oyster“, rief er, und tatsächlich öffnete sich ein Universum an Lust, Angst, Macht und Verheißung. Die fast vierzehnminütige Reise durch den Titeltrack wurde zu einer Grundsatzerklärung aus Klang und Symbolen, einem Prolog zu allem, was noch kommen sollte.

Dann traf ´Relax´ wie eine Explosion. Schon die Basslinie vibrierte unter der Haut, als Holly Johnson und Paul Rutherford eine Hymne der Lust sangen, die bis dahin im Pop unerhört war: ein direkter, unverschämter, offener Lobgesang auf Homoerotik, sexuelle Ekstase und Selbstermächtigung. Die BBC reagierte mit einem Bann, doch das Verbot machte den Song nur noch gefährlicher, noch begehrenswerter. Überall schlichen sich die Worte durch den Äther, „come“ wurde zum Inbegriff der Provokation, die Dancefloors füllten sich, und die gesamte Musikwelt begriff, dass Frankie hier ein Manifest veröffentlicht hatten, das über jedes Genre hinausging. Trevor Horns Produktion war ein Meisterwerk der digitalen Orchestrierung. Jeder einzelne Ton baute die Spannung auf, bis der Song in einem ekstatischen Höhepunkt explodierte, der tatsächlich wie ein kollektiver Orgasmus wirkte.
´Two Tribes´ folgte und spiegelte die Ängste der Zeit wider: Kalter Krieg, nukleare Bedrohung, die Angst vor der Zerstörung der Welt. Doch Frankie machten daraus keinen belehrenden Song, sondern ein schweißtreibendes, apokalyptisches Spektakel. Die Basslinien groovten wie amerikanischer Funk, die orchestralen Passagen trieben den Hörer in ein Drama, das gleichzeitig politisch und sexuell aufgeladen war. Patrick Allen sprach die Anweisungen zur nuklearen Selbstrettung, während Ronald Reagan und Konstantin Tschernenko als schweißnasses Doppel in den Videos aufeinandertrafen. Alles an diesem Song war Theater, Provokation, Überwältigung. Wer zuvor geglaubt hatte, Pop sei harmlos, wurde hier eines Besseren belehrt.
Dazwischen führten die Coverversionen – Edwin Starrs ´War´, Bruce Springsteens ´Born To Run´, Gerry And The Pacemakers’ ´Ferry Cross The Mersey´ und Dionne Warwicks ´Do You Know The Way To San Jose´ – in eine Art popkulturelles Kabinett der Kuriositäten. Doch Frankie machte aus diesen Songs keine bloßen Nachahmungen. Jede Interpretation wurde überhöht, aufgeladen, in das Gesamtkunstwerk der Platte eingearbeitet. ´War´ pulsierte mit einem funkelnden Funkbass und Barries Ronald-Reagan-Stimme, die Hitlers Worte zitierte und gleichzeitig die Absurdität von Macht karikierte. ´Ferry (Go)´ wurde zur elegischen Hymne der Heimat, während ´Born To Run´ den amerikanischen Traum in europäische Ekstase verwandelte. Selbst die scheinbar unschuldige Bacharach-Adaption ´San Jose (The Way)´ bekam durch Holly Johnsons ironische, beinahe clowneske Interpretation eine neue Schärfe.
Die provokante Erotik setzte sich in Stücken wie ´Krisco Kisses´ fort, wo Margerine als Anal-Lubrikant thematisiert wird, begleitet von einer sexuellen Direktheit, die noch heute den Atem raubt. ´The Ballad Of 32´ vermischt instrumentale Prog Rock-Passagen à la PINK FLOYD mit Samples aus erotischen Filmen, und in ´Black Night White Light´ verschmelzen Rhythmus und Bass zu einem beinahe tranceartigen Tanz, der die körperliche Reaktion des Hörers provoziert. Alles ist zugleich Sünde und Schönheit, Provokation und Sensibilität.
Schließlich erreicht das Album seinen emotionalen Höhepunkt mit ´The Power Of Love´, einer Ballade, die Romantik, Spiritualität und körperliche Ekstase untrennbar verbindet. Holly Johnsons Stimme kämpft sich auf die höchsten Höhen, trägt die Emotionen durch orchestrale Wogen und hinterlässt eine Erschütterung, die man selten in Popmusik findet. Es ist eine Erinnerung daran, dass FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD nicht nur provozieren wollten, sondern dass sie das Herz, das Gefühl, die menschliche Erfahrung ernst nahmen – Liebe, Lust und Verlust vereint in einer einzigen, epischen Erfahrung.

Historisch betrachtet steht ´Welcome To The Pleasuredome´ am Scheitelpunkt der britischen Popkultur. Es war der Moment, in dem der Synthesizer auf homoerotische Offenheit, politische Satire und mediale Manipulation traf. FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD waren keine Band, sie waren ein Ereignis, eine Erfahrung, die alle Sinne beanspruchte. Sie nutzten die Medien, T-Shirts, Videos und Auftritte, um eine Aura von Macht und Provokation zu erzeugen, die heute noch nachhallt. Das Album ist kein bloßes Pop-Produkt, sondern ein lebendiges Dokument einer Ära, die in ihrer Mischung aus Angst, Ekstase und Überfluss nie wieder erreicht wurde.
´Welcome To The Pleasuredome´ bleibt ein Triumph über Konventionen, eine Proklamation des Überflusses, ein Werk, das Sex, Macht, Politik und Kunst in einem einzigen, berauschenden Strom zusammenführt. Hier ist Musik nicht nur Musik – sie ist körperlich, geistig, politisch und erotisch zugleich. Wer dieses Album erlebt, versteht, warum FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD nicht nur Charts dominierten, sondern für kurze Zeit die Welt elektrisierten.
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Holly Johnson – Leadgesang
Paul Rutherford – Hintergrundgesang
Brian Nash – Gitarre
Mark O’Toole – Bassgitarre
Peter Gill – Schlagzeug



