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TIGER MOTH TALES – A Visit To Trading Boundaries

2025 (White Knight Records/Just For Kicks Music) - Stil: Prog Rock

Es gibt Live-Aufnahmen, die das Gefühl vermitteln, unmittelbar Teil eines Moments zu sein. Andere eröffnen einen Raum, in dem Musik nicht nur gespielt, sondern gelebt wird. ´A Visit To Trading Boundaries´ gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Das Doppelalbum dokumentiert ein besonderes Konzert, mit dem Peter Jones das zehnjährige Jubiläum seines Debütwerks ´Cocoon´ feierte. Aufgenommen im unverwechselbaren Ambiente des “Trading Boundaries” in East Sussex, ist diese Veröffentlichung weit mehr als ein Rückblick. Sie zeigt TIGER MOTH TALES in einer künstlerischen Reife, die den Zauber der frühen Jahre aufgreift und zugleich eine beeindruckende Gegenwärtigkeit entfaltet.

Der Abend beginnt mit einem Akustik-Set, das Peter Jones allein trägt. Mit ´Spring Fever´ eröffnet er den Raum mit leichter Hand, sein Klavierspiel funkelt, sein Gesang strahlt eine Wärme aus, die das Publikum augenblicklich einbindet. Es ist eine Darbietung, die seine Liebe zur barocken Eleganz ebenso offenbart wie seine Fähigkeit, Melodien mit spontaner Freiheit zu formen. ´The Lock Keeper´ und ´We’ll Remember´ rücken das erzählerische Element stärker in den Vordergrund. Die akustische Schlichtheit legt die melodische Klarheit offen, der Gesang bleibt fein nuanciert und trägt die Erinnerungen und die Zärtlichkeit beider Stücke mit großer Selbstverständlichkeit. Mit ´Match Girl´ zeigt Peter Jones erneut sein besonderes Gespür für berührende Figuren und leise Tragik, bevor ´Hygge´ wie ein warmer Lichtschein über dem Publikum liegt und die erste Hälfte des Abends mit einem Gefühl der Geborgenheit abschließt.

Für den zweiten Teil des Konzerts betritt die Band die Bühne. Andy Wilson an der Gitarre, Paul Comerie am Schlagzeug und Gareth Cole am Bass bilden ein Ensemble, das die komplexen Welten von TIGER MOTH TALES mühelos trägt und zugleich bereichert. Das lange, in seiner Fantasie schillernde ´The Isle Of Witches´ entfaltet eine kaleidoskopische Szenerie voller Stimmen, Stimmungen und schrulliger Einfälle, die den spielerischen Kern der frühen Aufnahmen wunderbar aufleben lassen. In ´Overture´ glänzt das Quartett mit lebendiger Energie, bevor ´Tigers In The Butter´ die farbenreiche Magie des Debüts in einer Version präsentiert, die klanglich gereift und doch unverkennbar verspielt bleibt.

´The First Lament´ zeigt TIGER MOTH TALES von einer anderen Seite. Der melancholische Atem des Stücks entfaltet sich mit großer erzählerischer Kraft. Peter Jones’ Saxophon öffnet diesen Raum mit einer emotionalen Klarheit, aus der heraus Andy Wilsons Gitarre ein Solo formt, das zwischen Zurückhaltung und Aufschrei schwingt. Der anschließende ´The Merry Vicar´ beweist, dass selbst die übermütigsten Miniaturen des Repertoires in der Live-Situation nichts von ihrer Lebendigkeit verloren haben. Die Band gleitet mühelos zwischen humorvollen Details, musikalischen Anspielungen und kleinen dramatischen Gesten hin und her.

Der Mittelteil des Abends erfährt mit ´A Visit To Chigwick´ seinen wohl herzlichsten Moment. Die Melodie, begleitet vom leisen Ticken einer Uhr, wirkt wie eine Rückkehr in eine Welt, die zugleich vertraut und idealisiert erscheint. Es ist ein Lied, das auf intime Weise erzählt, warum dieses Projekt für Peter Jones zu einer Lebensaufgabe wurde. Die emotionale Offenheit setzt sich in ´Don’t Let, Go Feels Alright´ fort. Das Stück wächst aus einem nach innen gerichteten Beginn in eine weite, hoffnungsvolle Geste hinein, getragen von Peter Jones’ Stimme, die jede Phase dieser Reise mit feinem Gespür gestaltet.

Die Zugaben fügen sich organisch in dieses Bild. ´Return To Chigwick´ schlägt den Bogen zurück zum Ursprung, reflektiert die vergangenen Jahre und dankt zugleich all jenen Momenten, die zur Entwicklung von TIGER MOTH TALES beigetragen haben. ´Still Alive´, entstanden in einer Phase globaler Unsicherheit, beendet den Abend mit einer lebensbejahenden Klarheit, die nicht laut ist, sondern aus echtem, geerdetem Optimismus erwächst.

Der Klang dieser Live-Aufnahme ist bemerkenswert. John Holden hat das Konzert so gemischt, dass seine Unmittelbarkeit erhalten bleibt. Kleine Unregelmäßigkeiten wurden bewusst nicht geglättet, und gerade dadurch gewinnt das Album an Authentizität. Es ist eine Aufnahme, die Nähe erzeugt, ohne die musikalische Präzision zu verlieren.

´A Visit To Trading Boundaries´ ist ein eindrucksvolles Dokument eines Künstlers, der längst zu einer festen Größe innerhalb des modernen Progressive Rock geworden ist. Es verbindet Erinnerungen, Gegenwart und Zukunft auf eine Weise, die sowohl neue Hörer als auch langjährige Mothingtons gleichermaßen berührt. Wer sich auf diese zwei Stunden Musik einlässt, betritt eine Welt voller Fantasie, handwerklicher Tiefe und menschlicher Wärme. Und man verlässt sie mit dem Gefühl, einem besonderen Abend beigewohnt zu haben – auch wenn man nie einen Fuß in den Saal gesetzt hat.

https://www.facebook.com/TigerMothTales/

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